Medienschau

"Ich lasse mir die Errungenschaften der Demokratie nicht kaputtmachen"

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Wolfgang Tillmans über die Nahost-Debatten, Gallery Weekend in Berlin und Schirmer/Mosel wird 50: Das ist unsere Presseschau am Freitag

Interview

Wolfgang Tillmans hat ein neues Album herausgebracht und eröffnet zum Gallery Weekend heute Abend eine Ausstellung bei der Galerie Buchholz in Berlin. Kai Müller und Nicola Kuhn nehmen dies im "Tagesspiegel" zum Anlass mit dem 55-jährigen Künstler ein Gespräch zu führen über Haltung beim Fotografieren, die Gewalt des Internets und die Nahost-Debatten im Kulturbetrieb. "Teil des Problems ist, dass alle autoritären Denkweisen, sei es von links oder rechts, dir sagen, wie es ist, und in ihren Worten kein bisschen Bewusstsein mitschwingt, dass sich alles eigentlich viel komplizierter darstellt. Zu verlangen, sich auf eine Seite zu stellen, erzeugt einen Shitstorm von der anderen Seite. Deshalb bin ich für die Stärkung der Mitte, für Differenzierung. Ich lasse mir die Errungenschaften der Demokratie nicht kaputtmachen."

Auch Marius Babias, Direktor des Neuen Berliner Kunstvereins n.b.k., spricht in seinem "Spiegel"-Interview mit Hannah Pilarczyk über die Gaza-Proteste. Im Februar hatten die Künstlerinnen Banu Cennetoğlu und Pilvi Takala ihre jeweiligen Einzelausstellungen im n.b.k abgesagt. In der Erklärung hieß es, sie hätten versucht, mit dem Ausstellungshaus in einen Dialog zu treten, um "Bedenken und Forderungen in Bezug auf den anhaltenden Völkermord in Palästina zu erörtern" - was aber gescheitert sei. "Der Druck kommt von vielen Seiten, von der Politik, den Medien, aber eben auch von Künstlerinnen und Künstlern", sagt Babias jetzt im "Spiegel". "Zusammen ergeben sie eine Entwicklung, die ich einengend finde: Die Autonomie, die Unabhängigkeit und die Selbstbestimmung der Kunst und der Kunstinstitutionen wird in Zweifel gezogen, das Publikum soll wieder mit eindeutigen Botschaften versorgt werden. Wenn sich das weiter verbreitet, erleben wir die Rückkehr des empirischen Publikums: Es gibt nur noch die konkrete Ansprache, die Meinungsbekundung und die Positionierung, keine Abstraktion und keine Mehrdeutigkeiten mehr."

Antonia Ruder, die neue Chefin des Gallery Weekend Berlin, geht im Interview mit Timo Feldhaus für die "Berliner Zeitung" auch auf die weltpolitischen Krisen ein: "Die Zeiten sind nicht einfach, das kann man schon sagen. Die weltpolitischen Krisen machen ebenso wie die wirtschaftliche Situation die Lage etwas unwägbar. Zu dieser Gemengelage kommt noch etwas Multikausales hinzu, das man gar nicht so richtig benennen kann. Gleichzeitig sind aber die Messen und Kunstveranstaltungen sehr gut besucht. Man wird sehen, ob sich das auch in den Verkäufen niederschlägt. Und das wird sicher jede Galerie unterschiedlich beantworten."

Ausstellung

Peter Richter empfiehlt in der "SZ" zum Berliner Gallery Weekend zwei Ausstellungen, die nicht eigentlich in kommerziellen Galerien gezeigt werden: einmal Cory Arcangels "Let's Play Majerus G3" im Michel Majerus Estate ("Der Amerikaner Cory Arcangel hat sich des abgestürzten Computers des von ihm hochverehrten Malers Michel Majerus angenommen. Und abgestürzt war dieser Laptop ausnahmsweise mal nicht wie sonst nur metaphorisch, sondern sehr buchstäblich und aus hoher Höhe: Majerus hatte ihn dabei, als er 2002 beim Heimflug von Berlin-Tempelhof zu seinen Eltern nach Luxemburg bei einem Flugzeugunglück ums Leben kam.") und "Die Auto-Perforations-Artisten" im Kunstverein Ost "Als Gruppe waren sie in den letzten Jahren der DDR mit ihren spektakulär selbstquälerischen Performances tatsächlich eine Offenbarung, und zwar wirklich im Sinne einer apokalyptischen Prophetie.")

Bücher

Der Verlag Schirmer/Mosel wird 50 und Florian Illies gratuliert in der "Zeit": In Lothar Schirmers Bücherreich sind die Trennungen von High und Low genauso aufgehoben wie die zwischen Alt und Neu und die zwischen Special und General Interest: Völlig selbstverständlich vereinigen sich in seinem Verlagsprogramm die fulminanten Œuvrekataloge von Cy Twombly, Joseph Beuys und Anselm Kiefer mit den schwarz-weißen Modefotografien Peter Lindberghs und Isabella Rossellinis flatternden Gedanken zur Hühnerzucht. Auch der Film wird bei Schirmer/Mosel zum Buch, ob es um Rainer Werner Fassbinder geht oder um Wim Wenders, und über Fotografie erscheinen schwergewichtige Werke zur Theorie ebenso wie leichtfüßige Beweise ihrer Praxistauglichkeit. Zwischen allem, über allem, in allem thront mit gurgelndem Lachen und stupendem Qualitätsgespür dieser besondere Lothar Schirmer, der von München aus Saison für Saison ein neues Bücherfüllhorn über die kargen deutschen Landschaften ausschüttet wie biblisches Manna."

Film

Internationale Verleihe haben ihre Filme von den Kurzfilmtagen Oberhausen zurückgezogen, berichtet Katja Nicodemos in der "Zeit", "etwa ein Fünftel des Programms, schätzungsweise hundert Filme, waren direkt oder indirekt von der Aktion betroffen – und mussten ersetzt werden." Der Grund: "Zwei Wochen nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober des vergangenen Jahres hatte der Festivalleiter Lars Henrik Gass auf dem Facebook-Account der Kurzfilmtage einen Aufruf für eine Solidaritätskundgebung mit Israel veröffentlicht, unter anderem mit der Formulierung: 'Zeigt der Welt, dass die Neuköllner Hamasfreunde und Judenhasser in der Minderheit sind.'"