Masken als Accessoires der Zukunft

Eine Zeit der Genügsamkeit bricht an

Die Diskussion um die Maskenpflicht lenkt den Blick auch auf die Mode der Zukunft. Designer zeigen Mundschutz als Fashion-Teil, eine Trendforscherin sagt ein Revival des Handwerks voraus

Folklore hatte Li Edelkoort für den Frühling und Sommer 2020 prophezeit. Kaftane, Ponchos, Kimonos. Die verehrte Trendforscherin aus den Niederlanden sagt voraus, was wir tragen und wie wir leben werden, und vermutlich wusste sie sogar, dass so etwas wie Corona uns erwischen würde. "Die Modebranche ist am Ende der Straße angekommen, sie ist zynisch und verkehrt – doch da stehen wir heute nun", sagte Edelkoort bei einer Trendprognose in Zürich im Jahr 2018. Und nun sehen wir uns statt Kaftan mit etwas konfrontiert, was viele sich vermutlich ebenso wenig vorstellen konnten wie ein folkloristisches Gewand: dem Mundschutz.

Österreich und die Stadt Jena sind die Vorreiter der Mundschutzpflicht. Ob bald auch alle Deutschen ihr Gesicht bedecken sollen, ist noch unklar, genauso wie die Frage, inwieweit filterlose Mund-Nase-Masken vor Tröpfcheninfektion schützen. Sie lassen Viren hinein, aber weniger heraus, besser als nichts?

"Warum sollte man denn noch shoppen gehen, wenn es nichts Neues mehr gibt?" fragte Lidewij Edelkoort ihr Publikum 2018. Doch etwas Neues gibt es jetzt. Viele haben es sicher noch nie anprobiert, doch ob Maskengebot oder nicht, es gibt wohl kein gegenwärtigeres Requisit, als den Mund- und Nasenschutz.

Schutzausrüstung - "but make it fashion"

Cosima Peth zum Beispiel näht fast jeden Tag ein neues Modell und postet es auf Instagram. Als Covid-19 sich auszubreiten begann, und mit ihm Ratschläge und Forderungen nach Schutzmaterial, sah die selbstständige Modedesignerin eine gute Gelegenheit, ihr Modelabel "Neema" zu retten und gleichzeitig das gefragte Schutzaccessoire auch als ein modisches anzubieten. Die Idee: Wenn wir das sowieso bald alle tragen müssen, wieso dann nicht in schön?

Cosima Peth verwendet für die feingeformten, handgenähten Schutzmasken die gleichen, oft afrikanischen Stoffe wie für ihre Kleider und ordnet sie so gleichberechtigt ihrer Garderobe zu. Sie trage die Atemmasken momentan beim Einkaufen, beim Gang zu den Mülltonnen oder beim Spazierengehen, erzählt sie. Viel mehr Gelegenheiten blieben ja gerade nicht. Doch auch nach Corona könnte sie sich vorstellen, die Masken weiterhin in ihrem Onlineshop anzubieten und so als Mode-Element zu etablieren, wie sie es auf ihren Reisen durch Asien schon erlebt hat. "Aber, ob die Deutschen wirklich so mutig oder modisch sind, die Maske als Stilmittel dauerhaft zu tragen, ist die andere Frage."

Mode spiegelt wider, was in der Gesellschaft passiert, und so ist jedenfalls während der Krise die Nachfrage groß. "Ich bin ganz verblüfft, die Menschen melden sich aus allen Richtungen und feiern dieses Projekt sehr." Die Designerin erklärt das damit, dass ihre Entwürfe nicht "abschreckend klinisch" sind, sie deuten nicht auf  Krankenhaus und Atemnot hin. "Mir fiel auf, wie oft ich und andere Menschen uns täglich unbemerkt ins Gesicht fassen. Die Maske hilft definitiv dabei, sich daran zu erinnern, das nicht zu tun."

Klassische Vliesstoff-Masken sind knapp und werden gestohlen, gehortet und zu astronomischen Preisen weiterverkauft, sodass auch Pflegeheime und Krankenhäuser für ihr Personal bei Cosima Peth nach einfachem Baumwoll- Atemschutz fragen. "Es ist ein gutes Gefühl, dass ich mit meinem Handwerk einen Beitrag leisten kann", erzählt die Designerin und ruft auch andere Schneider und Designerinnen dazu auf. Inzwischen gibt es zahllose Anleitungen zum Selbernähen von Masken, die sozialen Netzwerke quellen über vor Mundschutz-Selfies mit süßen Tiermotiv-Stoffen oder recycelten Kleidern. Und da wäre Li Edelkoort auch wieder ganz einverstanden.

Post-Pandemie-Mode 

Vergessene Fertigungstechniken seien die Rettung vor Jobverlust durch Roboter, sagte Edelkoort in ihrem Trendreport für 2020. Und unsere Hände und Kreativität letztlich das, worauf wir uns verlassen können - wohl auch bei Pandemien. Denn zu dem herrschenden Notstand hat sich Lidewij Edelkoort ebenfalls zu Wort gemeldet. "Quarantäne des Verbrauchs" nennt sie den derzeitigen Stillstand, der auch die Modeindustrie betrifft und nach Edelkoort in einem besseren System enden werde, das die menschliche Arbeit mehr respektiert und an die Not des Klimas angepasst wird. "Wir sind jetzt gezwungen, all die Systeme, die wir seit unserer Geburt kennen, zu überdenken – und uns zu fragen, wie unsere Welt ohne sie aussehen würde." Also, zurück zu den Wurzeln.

In der Post-Corona-Ära werden wir laut Edelkoort genügsamer sein, Altes wieder ehren, und mit angelernten Fähigkeiten unser Leben so schön wie möglich gestalten. Länder sollten sich auf ihr Know-how und ihre spezifischen Qualitäten besinnen. Sie regt an "ein Jahrhundert der Kunst und des Handwerks einzuläuten, in dem Handarbeit wieder geschätzt wird." Der plötzliche Stopp werde die Dinge auf ein beängstigend langsames Tempo zurückführen. Do-It-Yourself-Attitüde werde gefragt sein und Improvisation und Kreativität künftig das höchste Gut.

Mehr durch weniger

"Exzess ist nicht mehr in Mode. Kreativität ist der neue Luxus", predigt das alternative Modemagazin "More or Less" schon seit seiner ersten Ausgabe 2018. Das von der ehemaligen Vogue-Redakteurin Jaime Perlmann gegründete Journal sträubt sich gegen saisonale Mode von Laufstegen, stattdessen verwenden renommierte Stylisten für die Modestrecken mehr oder weniger alles andere. Vintage-Kleidung aus Wohnungsauflösungen, Plastikmüll, Zelte - und Handarbeit. Übrig gebliebene Stoffreste von den Dachböden großer Modehäuser werden zu neuen Kleidungsstücken zusammengesetzt, junge, nachhaltig arbeitende Designer in den Vordergrund gestellt. Das Ergebnis sind lang ersehnte, inspirierende und berührende Editorials, die jede Fast Fashion aus dem Hirn verbannen und einen neues Verständnis für den Begriff Mode schaffen.

Für den Sommer 2021 sagt Li Edelkoort übrigens den Trend Grün voraus - die Farbe der Hoffnung.