Neues Bauhaus-Museum in Weimar

Es gibt angenehm wenig zu sehen

Staubwischen im Bauhaus: Im neuen Museum in Weimar werden die Ikonen der Moderne in innovativen Formaten gezeigt 

Oft sind es Einzelpersonen, die die Geschichte der Gemeinschaft schreiben. 1925 musste das Bauhaus in Weimar seine Sachen packen. Der politische Druck war zu groß geworden. Die erst 1919 gegründete Schule, die Kunst und Handwerk zusammendachte, zog weiter nach Dessau. Der Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen in Weimar, Wilhelm Köhler, wollte dennoch Objekte in seine Sammlung übernehmen. 168 Teppiche, Keramiken, Glasobjekte, allesamt entstanden in den Werkstätten des Bauhauses, packte Chef Walter Gropius damals in Kartons und schenkte sie der Stadt zum Abschied. 30 Jahre lang, bis 1955, standen sie eingepackt in einem Seitenraum des Weimarer Schlosses, überdauerten die Nazi-Zeit unbeschadet. Ein einzigartiger Schatz, erweitert – auch dank zahlreicher Schenkungen von Bauhaus-Erben – auf eine Sammlung von 13.000 Objekten. Darunter die Teekanne von Marianne Brandt, die Leuchte von Wagenfeld und Jucker und die ikonische Wiege aus geometrischen Grundformen von Peter Keler, die 1965 in die Sammlung kam und heute jedes Werbeplakat ziert.

Die wichtigste deutsche Schule für Gestaltung im 20. Jahrhundert am Ort ihrer Gründung durch ein eigenes Museum zu würdigen, diese Überlegung gab es bereits im Jahr 1990. Seit 1995 konnten wichtige Teile der Sammlung am Theaterplatz präsentiert werden. Doch die nur 206 Quadratmeter gegenüber vom Goethe-Schiller-Denkmal waren von Beginn an Provisorium, konnten dem Anspruch einer umfassenden Würdigung und Vermittlung nicht gerecht werden. 100 Jahre nach seiner Gründung und 94 Jahre nachdem Gropius die Studiensammlung verpackt hat, eröffnet am heutigen Freitag das neugebaute Bauhaus-Museum in Weimar. Fünf Etagen und 2.000 erstaunlich luftig daherkommende Quadratmeter Ausstellungsfläche verstecken sich in dem grauen Betonkubus von Architektin Heike Hanada.

Keine Sockel nirgends

Die Erwartungen an das Haus waren und sind groß. Internationale Touristen wollen genauso adressiert werden wie Schulklassen. Kuratoren und Ausstellungsgestalter sind diesem Anspruch auf besonnene wie innovative Art begegnet: "Ausstellen und Vermitteln sollen sich hier gegenseitig durchdringen", erklärt Ulrike Bestgen von der Klassikstiftung Weimar. Auf drei Etagen sortieren sich Skizzen, Leinwände, Lampen, Puppen, Möbel und Medienstationen angenehm  übersichtlich vor poppigen Farbflächen. Nicht ein klassischer Sockel findet sich im kühlen Betonbau, stattdessen Podeste, Stoffbahnen, Spiegelflächen. Studienarbeiten aus den frühen 20ern liegen auf Tischen – um die Originale zu schonen wurden sie von den Restauratoren faksimiliert, wie die App "Bauhaus+" eindrücklich dokumentiert.

Noch vor den VIPS aus der Kunstwelt durften die ins Museum, die seit Jahren daran mitgewirkt haben: Schülerinnen und Schüler aus Thüringen. Seit 2016 arbeiten drei Bauhaus-Agenten mit neun Partnerschulen zusammen, um neue Vermittlungsformate, Gestaltungsideen und Bildungsinhalte zu entwickeln und zu testen: Wie kann sich das Museum für neue Zielgruppen öffnen? Wie und mit welchen Mitteln kann Bauhaus-Geschichte spannend erzählt werden? Und wie sollten Ausstellung und Rahmenprogramm gestaltet sein, damit das Bauhaus heute noch inspiriert? Die Vermittlung bereits in die Konzeptionsphase eines Museums einzubinden, ist in der deutschen Museumslandschaft einmalig und soll anderen als Modell dienen – eine Herausforderung, die sich gelohnt hat.  

Kluge Brücken in die Gegenwart

Die Ausstellung verzichtet auf einen chronologischen Rundgang, sortiert sich thematisch und schlägt klug die Brücke in die Lebensrealität der Besucher: Wie heute in jedem schwedischen Einrichtungshaus kann man sich durch Bad, Kinder- und Wohnzimmer bewegen, wie sie sich die Bauhäusler erdacht haben. Die Anordnung der Küchenmöbel richtete sich nach den idealen Arbeitsabläufen, nur die Beteiligung des Mannes an der Hausarbeit war noch nicht mit angedacht. Mit dem Finger wischt man an Medienstationen durch Originalkataloge aus den 20er Jahren. Auch die liebevoll gestalteten Fotoalben der einzelnen Werkstätten, die sich noch heute im Besitz der Bauhaus Universität Weimar befinden,  sind so objektschonend zugänglich. Nahezu lebensgroß sind Tänzer des Bayerischen Staatsballetts München an eine Wand projiziert und verlebendigen das "Triadische Ballett" von Oskar Schlemmer – in Originalkostümen.

Auch die zeitgenössische Kunst hat ihren Platz: Im Luftraum des Foyers spannt sich die Installation "Sundial for Spatial Echos" von Tomás Saraceno, eine netzartige Landschaft aus verspiegelte Wolken, inspiriert von Spinnen, der er im Studio in Berlin hält. Ausschlaggebend für dieses Kunst-am-Bau-Werk war der Zusammenklang von Kunst und Wissenschaft, von Natur und Kultur, den schon Gropius an Goethe faszinierend fand.

Balanceakt zwischen Design, Kunst und Geschichte

Und so zeugt das Bauhaus-Museum Weimar in mehrfacher Hinsicht von einem geglückten Balanceakt: Es ist zugleich Kunst-, Design- und historisches Museum. Es schafft Themeninseln, die intuitiv anziehen. Angenehm wenig ist zu sehen in der luftigen Architektur. Hier hat niemand den Fehler gemacht, eine Dauerausstellung mit einer wissenschaftlichen Publikation zu verwechseln. Erfrischend kurze Texte werfen kleine Orientierungsanker, machen Lust auf mehr. Im Vordergrund stehen die gut 1.000 ausgestellten Objekte. Ihre Farbigkeit. Ihr Material.

Diese erfreulich konsequent kuratorische Haltung, man will sie zurückführen, auf die Stimme der beteiligten Schüler: "Unsere Frage war grundsätzlich: Wollen wir die komplette Bauhaus-Historie mitgeben oder vermitteln, dass Gestalten Spaß macht und Dinge beeinflussen kann?" erklärt Maxie Götze, eine der drei Agenten, die Visuelle Kommunikation und Ausstellungskonzeption studiert hat und zuvor am ZKM | Zentrum für Kunst und Medien arbeitete. Über die Praxis sind sie mit den Schülern eingestiegen in den Bauhaus-Kosmos, ob bei einem einzelnen Workshop oder einer ganzen Projektwoche. Manche Schule hat dafür Grundgedanken des Bauhauses in ihre Strukturen übertragen, etwa den Tag mit gemeinsamem Frühsport begonnen und die Woche mit einem großen Fest abgeschlossen. Das Bauhaus ist eine Gemeinschaft gewesen, man hat geteilt, zusammen gearbeitet und gefeiert.

Gebt den Kindern das Kommando

Die Kids wiederum haben deutlich den Wunsch formuliert, selbst aktiv zu werden - vor allem analog und handwerklich. Kuratoren und Ausstellungsdesigner haben immer wieder mit ihnen zusammengesessen, ihre Impulse aufgenommen, weiterentwickelt, umgesetzt. Dauerhaft ins Museum geschafft haben es Tastmodelle aus Beton: Schüler einer 8. Klasse aus Apolda haben sie auf Grundlage von Walter Gropius‘ "Baukasten im Großen" gegossen und daraus selbst ihre idealen Wohnhäuser entworfen – interessanterweise zumeist mit Innenhöfen, Balkonen, Dachterrassen. Rückzug statt Transparenz. Die unterschiedliche Kombination einzelner Bausteine zu neuen Formen war in den 20ern eine grundlegende Gestaltungsidee.

Das Stadion besiegt das Kunstmuseum

"Wie werden wir wohnen, wie werden wir siedeln, welche Formen des Gemeinwesens wollen wir erstreben?" Das waren die zentralen Fragen des Bauhaus, das nach seiner Schließung in Berlin 1933 Weltkarriere machte. "Was bleibt?" ist die Frage, die das Museum in der obersten Etage stellt. Erst hier treffen Besucher auf das, was sie erwarten: Ein großes Regal fasst die 1925 verpackte Studiensammlung von Gropius. Die ikonografischen Möbel von Mies van der Rohe, für viele heute Inbegriff des Bauhaus, leiten über in den abschließenden Raum zu Hannes Meyer, dem zweiten Direktor. Dieser Raum wurde kuratiert von de Agenten. Statt Objekten steht Meyers textlich formulierte Zukunftsvision „Die neue Welt“ im Zentrum. Einzelne Sätze daraus sind aktueller denn je und wurden von Schülern und Passanten auf einer Audiospur entsprechend kommentiert: "Wir leben schneller und daher länger." "Wir werden Weltbürger." "Das Stadion besiegt das Kunstmuseum." Und: "Die Gemeinschaft beherrscht das Einzelwesen." Eine Videoinstallation fragt nach der Aktualität dieser Feststellung, porträtiert einen Kleingartenverein und ein Jugendgefängnis. "Wir wollen ein diskursives Museum sein, zum Nachdenken anregen und Besucher einladen, die Themen mitzubringen, die sie beschäftigen“, erklärt Kuratorin Ulrike Bestgen.

Aus den luftigen Räumen tritt man in schmale Treppenhäuser, die die Konzentration nach innen richten sollen. Aus einem Fenster fällt der Blick in Richtung Buchenwald. Im gegenüberliegenden "Gau-Forum" entsteht derzeit eine Ausstellung zum System der NS-Zwangsarbeit. Und das benachbarte Neue Museum eröffnet zeitgleich mit einer Dauerausstellung zu Van der Velde, Nietzsche und der Moderne um 1900. Das Bauhaus wird so eingebunden in ein gesellschaftliches, politisches und kulturelles Kräftefeld, dessen Schwingen bis in die Gegenwart wirken. Abzuwarten bleibt, wie das Haus von den Weimarern angenommen wird: Der Platz vor dem Museum wird einer der größten öffentlichen Plätze in Weimar sein. Die Stadt ist klein, hat ein eher gebündeltes Zentrum, das nun erweitert wird. Eine kostenfrei zugängliche Werkstatt mit großem Workshopangebot und ein sonniges Café laden auch unabhängig vom Ausstellungsbesuch dazu ein, sich im Museum zu verabreden. Kann das Museum ein Ort des Alltags sein? Diese Frage stellt auch die nächste Konferenz der Bauhaus Agenten im Juni. Bis dahin bleiben ein paar Wochen für die Praxis.