"New Queer Photography"

Das Schlüsselwort heißt Stolz

Hier schämt sich niemand: Der eindringliche Bildband "New Queer Photography" macht Menschen sichtbar, die zur weltweiten LGBTQ+ Bewegung jenseits der westlichen Wohlstandszone gehören

Die beiden Frauen haben die Gesichter von der Kamera abgewandt, doch ihre Zuneigung ist unübersehbar. Wie bei den beiden Männern in 
feinen Anzügen, die sich bei der Hand halten und deren Köpfe von Blumen verdeckt sind. Der Fotograf Laurence Rasti benutzt auch Luftballons oder Blattwerk, um die homosexuellen Paare zu anonymisieren, die aus dem Iran in die Türkei geflohen sind, weil ihnen die Todesstrafe drohte. Die Grenzstadt Denizli ist aber auch nur eine Zwischenstation auf dem Weg in ein freies Leben. Die Serie "There Are No Homosexuals in Iran" konterkariert ihren eigenen Titel, der auf eine Behauptung des früheren iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadineschad zurückgeht. Es gibt sie natürlich überall. Mitunter müssen sie sich verstecken.
 
Der Bildband "New Queer Photography" macht Menschen sichtbar, die zur weltweiten LGBTQI+-Community gehö­ren. In vierjähriger kuratorischer Arbeit hat der Artdirector Benjamin Wolbergs eine Anthologie zusammengestellt, in der Werke von 52 Fotografinnen und Fotografen aus aller Welt berücksichtigt sind. Der Untertitel „Focus on the Margins“ formuliert dabei das Bestreben, gerade über die Ränder der westlichen Wohlstandszone hinauszublicken, dorthin, wo jede Art von Queerness bedeutet, vogelfrei zu sein. Körper, Sexualitäten, Lebensstile, Zwangslagen – in diesem Buch steckt eine gewaltige Themenvielfalt. Zugleich eint die Bilder so etwas wie eine "queere" Innenperspektive. Die Kamera verbindet, statt die Seiten in Paparazzi und Opfer zu scheiden.

Schönheit findet sich gerade dort, wo die Porträtierten in eine gesellschaftliche Außenseiterposition gedrängt sind. Zum Beispiel in der Serie "Where Love Is Illegal" von Robin Hammond, der über Jahre in Ländern unterwegs war, in denen LGBTQI+-Menschen verfolgt oder bedroht werden. Man sieht den Menschen aus Mosambik, Libanon, Nepal oder Russland ihre Bedrängnis an, doch Hammond begegnet ihnen mit Empathie, lässt in 
den sorgsam komponierten Bildnissen auch den Stolz der Porträtierten aufleuchten. Stolz ist das Schlüsselwort dieser Anthologie. Hier schämt sich niemand.