Teilhabe an Ausstellungen

"Noch weiß niemand, was das Museum der Zukunft ist"

Es ist ein alter Traum: Das Publikum darf das Museum und seine Ausstellungen mitgestalten. Durch die Digitalisierung rückt diese Utopie näher. Das Projekt Nextmuseum.io will einen Schritt in diese Richtung gehen. Ein Gespräch mit den Projektleiterinnen von Nextmuseum.io, Alina Fuchte vom NRW-Forum Düsseldorf und Marina Bauernfeind vom Museum Ulm

Was ein Museum heute leisten kann und soll, ist Gegenstand stetiger Verhandlung. Was es nicht mehr sein soll, scheint jedoch relativ unstrittig: Ein hermetischer Kulturtempel, in den sich nur das ergraute Bildungsbürgertum verirrt.

Museen wollen Orte des Diskurses und der Teilhabe sein und engagieren sich, auch schon vor der Corona-Krise, zunehmend digital. Peter Weibel, Direktor des ZKM in Karlsruhe, sagte kürzlich im Monopol-Interview, dass Museen "das bessere Netflix" werden müssten, um nicht den Kontakt zu ihrem Publikum zu verlieren. 2019 forderten der Autor Stefan Heidenreich und der Ökonom Magnus Resch, dass Museen ihre Aura des Elitären ablegen und ihre Besucher darüber entscheiden lassen sollten, was gezeigt wird.

Die Forderung wurden vielerorts als populistisch kritisiert, aber das Thema Partizipation wird für Ausstellungshäuser zweifellos immer wichtiger. So experimentieren viele Häuser mit interaktiven Konzepten, so zum Beispiel das Zeppelin-Museum am Bodensee. Auch das Projekt Nextmseum.io versucht sich am gemeinschaftlichen Kuratieren. Wir haben mit den Projektleiterinnen Alina Fuchte und Marina Bauernfeind gesprochen

 

Frau Fuchte, Frau Bauernfeind, worum geht es bei Nextmuseum.io?

AF: Nextmuseum.io ist eine digitale, partizipative Plattform zur Co-Kuration und Co-Kreation. Es ist ein Projekt, das von der Kulturstiftung des Bundes im Rahmen des Fonds Digital gefördert wird, mit dem insgesamt 15 Digitalvorhaben unterstützt werden. Wir sind eines davon und machen das als NRW-Forum aus Düsseldorf und Museum Ulm im Verbund. Unsere große Vision, unser Vorhaben ist es, gemeinsam mit den Leuten, mit der Community, mit allen, die Interesse haben, das Museum der Zukunft zu formen, zu gestalten, zu entwickeln. Dafür finden wir verschiedene Wege.

Was bedeutet das konkret?

AF: Zum einen gibt es Open Calls, bei denen man Ausstellungsprojekte hochladen kann, Künstler und Künstlerinnen ihre Werke einreichen und alle Interessierten mitdiskutieren. Zum anderen unsere Veranstaltungsformate, unsere digitalen Experimente. Und all das wird auf einer institutionsübergreifenden Plattform koordiniert.

MB: Die Bundeskulturstiftung möchte mit dem Fonds Digital mehr Digitalität in öffentlich finanzierten Kultureinrichtungen fördern und da stimmen wir vorbehaltlos zu. Wir glauben daran, dass die Museen digitaler werden müssen. Und zwar nicht nur in Form virtueller Ausstellungen, sondern wir gehen einen Schritt weiter und sagen, dass Digitalisierung uns die Möglichkeit bietet, eine neue Beziehung mit Kunstinteressierten zu schaffen. Egal, ob sie schon Besucherinnen oder Besucher der Häuser sind oder es noch werden sollen. Unsere übergeordnete Klammer umschließt die Themen "Partizipation" und "Mehr Demokratie". Wir wollen mehr Leute mitnehmen und sie früher in den Prozess einbringen.

Also mehr Mitspracherecht im musealen Betrieb?

MB: Ebendas. Du kannst dich heute ja mit allem unterhalten. Mit deinem Schokomüsli, mit deiner Bürgermeisterin und mit deinem Lieblingsstar. Über Kunst sollte man dementsprechend mit Kuratoren und Künstlerinnen sprechen können – auch bevor eine Ausstellung beginnt. Und damit andere Arten von Ausstellungen erzeugen. Wir versprechen uns von dieser Partizipation im Vorfeld und dem gemeinsamen Arbeiten und Sprechen über Ausstellungen diversere Ausstellungen. Und am Ende des Tages mehr Interesse und mehr Besucherinnen und Besucher, wenn mehr Leute im Prozess involviert sind.

Was soll das Museum der Zukunft leisten können?

AF: Eindeutig beantworten lässt sich das nicht, aber das Digitale ist auf jeden Fall wesentlicher und fester Bestandteil davon. Dieselbe Diskussion wird derzeit innerhalb von Icom geführt: dass das Digitale auch Teil der Definition des Museums sein sollte. Die Lösung sollte kein reines Online-Museum sein – da wollen wir mit diesem Projekt nicht hin. Wir zielen immer auf die Schnittstelle zwischen Digitalem und Analogem. Das Resultat sind Ausstellungen, die vor Ort, im Museum Ulm, im NRW-Forum oder wo auch immer stattfinden. Das Museum als physischer Raum soll nicht verschwinden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Vernetzung mit anderen Institutionen. Man kennt das in Bezug auf Digitalisierungsstrategien: Jeder kocht sein eigenes Süppchen und bespielt eigene Websites, den eigenen Instagram-Account … Aber eigentlich könnte man derart viel voneinander lernen und miteinander an Projekten arbeiten, sodass bestimmte Prozesse beschleunigt werden könnten.

Digitalisierung war in diesem Jahr ein besonders wichtiges Thema …

AF: Während der Coronakrise waren die Museen mutig, was nicht immer der Fall ist. Dann wurde eben auch mal mit einer wackeligen Kamera der Direktor gefilmt oder eine Künstlerin interviewt. Es war nicht alles perfekt, aber dieser Mut zum Experiment ist auch die treibende Kraft für dieses Projekt. Einfach mal ausprobieren! Noch weiß niemand, was das Nextmuseum.io, das Museum der Zukunft ist. Und das möchten wir eben gemeinsam herausfinden.

MB: Ein Museum analog zu betreiben und Ausstellungen zusammenstellen zu lassen, Ausstellungs- und Vermittlungsprogramme zu kreieren, die Türen aufzusperren und in Social Media Werbung zu machen, das alles funktioniert bereits und hat sich in der Vergangenheit bewährt. Es funktioniert aber für viele Häuser immer schlechter. Das Museum Ulm ist ein gutes Beispiel dafür. Wir sind ein städtisches Universalmuseum. Wir sind mitnichten so poppig wie das NRW-Forum, obwohl wir sehenswerte Objekte im Museum haben und ein riesiges Haus sind. Aber wir kämpfen da an zu vielen Stellen: Wir wollen mehr Leute ins Museum holen, wir wollen jüngere Menschen begeistern für das, was wir haben und konkurrieren mit anderen Häusern um Aufmerksamkeit. Das Nextmuseum.io soll da eine Möglichkeit bieten, diese Kräfte zu bündeln.

Wie weitreichend ist denn das Mitspracherecht der Interessierten?

MB: Wie viel Mitspracherecht die Community in den jeweiligen Projekten bekommt, das darf jede Kuratorin, jeder Kurator selbst entscheiden. Natürlich würden wir uns wünschen, dass man irgendwann vollumfänglich offen zusammenarbeitet, aber wir nähern uns dem selbst erst an. Erstmal gib es eine gemeinsame Diskussion. Das Versprechen von Nextmuseum.io ist, diese Diskussionen in die Entscheidung der Kuratorinnen und Kuratoren einfließen zu lassen. So kann die Community Einfluss nehmen auf ein Ausstellungsprojekt, an dem man über Monate hinweg in einem Open Call zusammenarbeitet. Theoretisch ist es möglich, die Community komplett entscheiden zu lassen, aber weder das NRW-Forum noch das Museum Ulm sind sofort in die Vollen gegangen. Wir nähern uns dem an und schauen mal, wie weitreichend das funktioniert. Wir trauen der Community eine ganze Menge zu: In den ersten sechs Monaten des Projektes hat sie uns wirklich begeistert, Input gegeben, Impulse gesetzt, lebhaft an allem teilgenommen. Deshalb finden wir: Da kann man weitergehen.

AF: Daraus speist sich eine der großen Fragen, die im Gespräch mit anderen Häusern immer wieder aufkommt: Wie viel Macht gibt man wirklich ab? Wie sind die Entscheidungswege, wie sind die Hierarchien? Wir wollen nicht die Kuratorinnen und Kuratoren abschaffen, keine Sorge. Das ist eine Profession, die ihren festen Platz hat, wir wollen sie lediglich neu denken und die Rollen verschieben. Das ist der Punkt, wo das Konzept des Co-Kuratierens beginnt.

MB: Eigentlich wollen wir die Arbeitsmöglichkeiten für Kuratorinnen und Kuratoren mit diesem Projekt erweitern. Und da hat nicht jeder Lust drauf, das ist völlig okay. Es ist auch entsprechend intensiv. Wenn man mal mit so einer Gruppe von 75 Leuten auf dem Chatdienst Telegram unterwegs ist, die Impulse gibt, Fragen stellt, die im Prinzip eine Beziehung führen möchte! Da hat man echt eine Menge zu tun …

Wie ist diese Community zusammengesetzt? Wie groß ist der Pool von Leuten?

MB: Der größte Pool von Menschen, die wir aus dem Stand bespielen können, sind im Moment 450 Chatteilnehmerinnen auf Telegram, die in unserer allgemeinen Austausch-Gruppe sind. Dazu hat jede Ausstellung eine eigene Chatgruppe und da sind bisher zwischen 50 und 150 Leute dabei. Tausende sehe ich eher im Sinne von Betrachterinnen: Wir sehen über Google Analytics, wie viele Zugriffe wir auf die Seite haben, sprich wie viele sich die Kunst angucken. Der nächste Schritt ist, den Button zu drücken und zu sagen: "Ich will mitreden!" Dann geht’s in die Chatgruppen.

Das Handlungsfeld des Kuratierens soll übertragen werden, bei Ihnen wird die Community kuratiert, bevor es an die Ausstellung geht. Ist diese Verschiebung eine zwangsläufige Reaktion auf die Einflüsse zeitgenössischer Debatten um soziale Medien, wo letztlich auch Profile und Feeds kuratiert werden?

AF: Ja, das ist einer der Ausgangspunkte gewesen. Wir sind beide die Projektleiterinnen, während Alain Bieber vom NRW-Forum und Stefanie Dathe vom Museum Ulm diejenigen waren, die sich das Konzept ausgedacht haben. Im vorausgehenden Antrag ging es auch um soziale Medien und dass man es von diesen Formaten gewohnt sei, digital zu partizipieren. Über das Kommentieren, über das Chatten, über das Liken. Unser Ziel ist es, darauf zu reagieren und diese Erscheinungen gleichzeitig kritisch zu hinterfragen. Man hätte auch ein Voting-System machen können: Welches Werk hat die meisten Likes? Aber das hat nichts mit Kuratieren oder musealer Praxis zu tun. Wie kann man beides also zusammendenken? Der Begriff des Kuratierens selbst hat eine große Rolle gespielt: Zum einen spricht man davon, wenn man bei Spotify seine Playlist kuratiert oder bei Pinterest die Wall und gleichzeitig ist das der Heilige Gral der musealen Praxis. Zwischen diesen Extremen sollte versucht werden, die Handlungsspielräume zu erweitern, damit das Museum im Kontext neuer Medien ein gesellschaftlicher Ort für die Bürger und Bürgerinnen bleibt.

MB: Die Museen waren von jeher Orte der Repräsentation, und wir finden es logisch, dass Menschen, die repräsentiert sein sollen im Museum, auch mitbestimmen dürfen, wie die Sache aussieht. Uns begegnete oft die Sorge vor Qualitätsverlust. Wenn jetzt jeder da mitreden darf, wie sieht das denn am Ende aus? Genau deshalb gibt es kein Voting, sondern es gibt eine Diskussion, in der Kunsthistoriker und Kunsttheoretikerinnen zu Wort kommen und Wissen einfließen lassen können. Aber man kann ja auch nicht von vorneherein ausschließen, dass aus der Community ein wertvoller Impuls kommt. Wir finden, es muss möglich sein. Vielleicht enttäuscht es uns an der einen oder anderen Stelle, deshalb ist es ja ein Experiment. Aber es ist ein Experiment, um herauszufinden, ob ein Museum mit diesem digitalen Element der Co-Kuration und Co-Kreation besser funktionieren könnte, eine neue Form und neue Narrative schaffen kann.

"Wer nie zu weit geht, kommt nicht weit ..."

MB: Total! Und wir haben ja noch Zeit. Wir haben vier Jahre lang die Chance, mit unseren beiden Häusern und allen, die mitmachen wollen, auszuprobieren, ob es funktioniert. Immer wieder testen wir freiwillig (und unfreiwillig) neue Tools, um zu schauen, wie dieses gemeinsame Arbeiten funktionieren kann. Kürzlich ist uns die Chance genommen worden, uns persönlich mit den Leuten zusammenzusetzen. Wir hatten am 19. November unser erstes Tech-Time-Event geplant, die erste Kunst-Tech-Late-Night-Show mit einem Mix aus Referentinnen, Musik und Experimenten. Pandemiebedingt konnten wir das Event nicht mal hybrid durchführen, sondern mussten komplett auf eine Online-Alternative umdisponieren.

AF: Gerade in diesem Fall, das Oberthema war Multisensorik beziehungsweise multisensorische Reisen, war der digitale Ersatz nicht ganz so einfach. Wir haben zum Beispiel unsere jungen Kunstfreunde eingesetzt, damit sie als Tech-Tester den Icaros – das ist ein VR-Paraglider, der auch über Duft und Windbewegungen arbeitet – am eigenen Leib ausprobieren und live von ihrem Erlebnis berichten. Und dann arbeiteten wir mit einem italienischen Künstler, Mattia Casalegno, der ein VR-Dinner gemacht hat, basierend auf einem Kochbuch aus den 30er-Jahren. Das hat die Community ebenfalls getestet und selbstständig ein Rezept ausprobiert, es nachgekocht. Zwangsläufig findet man die verschiedensten Wege, wie man’s dann doch nach Hause transportieren kann.

Wer wären Ihre Wunschpartnerinnen für die Zukunft?

MB: Wir sind eine offene Plattform, das heißt, bei uns kann jeder einen Open Call für ein Ausstellungsprojekt live stellen und sagen: Ich möchte mit eurer Community arbeiten. Das kann eine analoge Ausstellung, das kann ebenso ein Buch sein. Was wir uns wünschen würden, wären natürlich weitere, etablierte Häuser aus der internationalen Museumsszene, die solche kollaborativen Projekte bei uns anbieten. Da können wir auf unsere Wunschliste "Alle" schreiben.

AF: Wir sind bereits im Gespräch, aber ich denke, da dürfen wir nicht zu viel verraten. Für das nächste Jahr ist zumindest schon etwas geplant. Nach den ersten abgeschlossenen Open Calls können wir sagen: Das Ganze funktioniert. Bei "Willkommen im Paradies" hatten wir über 400 Einreichungen von Kunstwerken. Die Entscheidung ist derart schwergefallen, dass man am Ende mehr Werke ausgewählt hat als geplant. Darunter waren Namen, die wir vorher nicht kannten. Das Bereichernde daran ist, dass man neue Künstlerinnen kennenlernt, die man gar nicht auf dem Schirm oder in der eigenen Bubble hatte. Wir sind da sehr positiv gestimmt, dass die Kuratorinnen, Kuratoren und die Häuser einen großen Mehrwert davontragen. Sie haben diese Community, sie haben die Plattform, müssen da nichts mehr groß machen. Damit verbunden ist auch eine gewisse Kostenfreiheit für die Häuser. Zusätzlich betreuen wir das unterstützend – es gibt eigentlich nur Vorteile!

MB: Und wir haben im Museum Ulm ab nächstem Jahr sogar einen eigenen Raum, den wir mit Nextmuseum.io bespielen können. In unserem Haus, für unser Umfeld, ist es wirklich eine einzigartige Chance ist, mit einer Zielgruppe in Kontakt zu kommen, die nicht selbstverständlich ins Städtische Museum geht.

AF: Wichtig ist, dass wir Positionen austarieren und unterschiedliche Modelle anbieten: In Ulm gibt es diesen Extra-Raum, was natürlich ein absoluter Luxus ist, und bei uns im NRW-Forum ist es so, dass Ausstellungen co-kuratiert werden, die konzeptuell bereits stehen, teilweise auch schon Kunstwerke ausgewählt sind und dann die Community eingreift. Beides hat seinen Reiz und ich finde es gut, dass wir beispielsweise mit diesem Modell signalisieren, dass auch Ausstellungshäuser oder freie Kuratorinnen und Kuratoren teilhaben können, die vielleicht nicht einen eigenen Raum zur Verfügung stellen können, aber gerne Teil dieses gemeinschaftlichen Projektes werden wollen. Je mehr mitmachen, desto besser wird es!