Saxon Baird, Sie beschäftigen sich in Ihren Fotos mit Männlichkeit, wie kam es dazu?
Das Projekt begann mit Porträts von meinem Vater. Er ist ein komplizierter Charakter. Aufgrund körperlicher und emotionaler Misshandlung leidet er unter einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung. Er hat viele Kämpfe hinter sich. Und ich habe darüber nachgedacht, wie ich ihm näher kommen kann, um ihn besser zu verstehen. Auch, um zu verstehen, wie ich konditioniert wurde und zu dem wurde, was ich bin. Irgendwann habe ich mich dann vor die Kamera gestellt. Die Fotografin Whitney Hubbs hat mich ermutigt, das öfter zu tun. Sie sagte, sie kenne nicht viele weiße Heteromänner, die sich selbst vor die Kamera stellen. Es war wie eine Übung, um mich besser zu verstehen. Und aufgrund des soziopolitischen Kontextes, in dem wir leben, führt das unweigerlich zu Gesprächen über Männlichkeit, Geschlecht und Identität. Und dann hat sich für mich etwas aufgetan, weil ich einfach diese Druckkammer erkannt habe, wie sie bell hooks in ihrem Buch "Men, Masculinity and Love" beschreibt.
Haben Sie irgendwelche Beispiele für diesen Druck?
Weiße, heterosexuelle Männer werden so oft als gewalttätige und unterdrückerische Figuren gesehen. Ich verstehe, warum. Aber welche Möglichkeiten haben wir, aus diesem Bild auszubrechen? Wie komme ich über die Art und Weise hinaus, wie ich konditioniert und gelehrt worden bin? Es gibt nur sehr wenige Möglichkeiten. Wenn ich ein Kleid anziehe, gilt das als Umkleidekabinen-Humor. Wenn ich Nagellack trage und in den Club gehe, wird das als queer baiting bezeichnet. Welche Möglichkeiten habe ich also, aus den Stereotypen auszubrechen?? Und so geht es in meiner Arbeit im Wesentlichen um das Scheitern. Weil ich denke, dass das Ausbrechen im Moment vielleicht unmöglich ist. Aber ich denke auch, dass meine Arbeit ziemlich lustig ist, weil sie sich mit diesem Scheitern beschäftigt. Es ist ganz einfach: Wenn ich mich ausziehe, impliziert das Verletzlichkeit. Hier bin ich, nur ein Mensch mit einem hängenden Stück Fleisch zwischen meinen Beinen. Aber selbst diese Verletzlichkeit wird oft als nicht ausreichend angesehen.
Jetzt steht der weiße Mann wieder im Mittelpunkt - die Instagram-Feministinnen werden sich beschweren ...
Es gibt doch eine echte Krise. Weiße Menschen haben keine Kultur. Was zum Teufel ist weiße Kultur? Was ist die weiße Community? Ich habe eine Zeit lang im ländlichen Georgia gelebt, oben in den Bergen, der nächste Lebensmittelladen war 45 Minuten entfernt. Die Kirchen sind am Aussterben. Niemand redet mehr miteinander. Was ist unsere Kultur? Ich identifiziere mich nicht mit Donald Trump oder einem dieser Idioten. Aber ich identifiziere mich auch nicht mit Gender-Fluidität. Womit kann ich mich also identifizieren? Foucault hatte diese Idee, dass es, auch wenn wir in einem unterdrückerischen System leben, immer Räume der Freiheit gibt. Wie können wir diese kleinen Freiräume erweitern, um etwas Neues und nicht Unterdrückendes zu schaffen? Ich glaube, das hat viel mit dem zu tun, was ich in meinem Studio, in meiner kleinen Wohnung, mit meiner beschissenen Lichtanlage mache. Ich ziehe mich an wie PJ Harvey und erweitere den Raum.
Aber warum PJ Harvey?
Ich bin einfach ein großer Fan. Sie war mein Kurt Cobain.
Lassen Sie uns auf die weißen Männer zurückkommen ...
Bei ihnen ist etwas besonders kaputt. 69 Prozent der Menschen, die im Jahr 2020 in den USA Selbstmord begingen, waren weiße Männer. Ironischerweise glaube ich, dass ich besser verstehe, warum das so ist, seit ich bell hooks gelesen habe, eine afroamerikanische Linke, eine radikale Feministin, die über Männlichkeit schreibt, und es ist alles wahr. Dieser ständige Kreislauf von Trauma und Bullshit, der weitergegeben und weitergegeben wird.
Werden die Probleme tatsächlich durch die alten Bilder von Männlichkeit verursacht? Oder ist es die Tatsache, dass sie immer mehr zerfallen?
Was haben wir denn sonst außer diesen alten Tropen? Ich habe mich in ihnen nie zu Hause gefühlt, aber gleichzeitig wollte ich auch so sein. Das ist die Spannung. Ich will der harte Kerl sein. Ich will den Truck fahren. Ich will der heiße, coole Typ sein. Und fühle mich dabei nicht wohl. Aber alle Tropen sind sozial konstruiert. Selbst queere Tropen sind sozial konstruiert. Und dann ist da noch die Frage: Was ist die Zukunft?
Was ist also die Zukunft?
Meine Schlussfolgerung ist eigentlich diese: Wenn ich dich akzeptiere und dich für das liebe, was du bist, für deine Andersartigkeit, kannst du mir dann die gleiche Liebe entgegenbringen – auch wenn ich nur ein dummer Dude bin? Kerle sind nicht anmutig, Kerle sind unbeholfen, wir sind dumm. Kannst du mich auch dafür lieben?
Aber werden Kerle jemals weniger dumm werden?
Ich glaube nicht, dass sie das werden müssen. Man kann dumm und albern und ein Dude sein, solange man kein Arschloch ist und niemanden körperlich verletzen will.
Okay, und was lastet noch auf den Schultern des weißen Mannes?
Es gibt eine totale Besessenheit mit Gesundheit und Jugend. Und viele Leute sind davon wirklich erschöpft und werden depressiv. Sie werden mit Bildern auf Instagram überschwemmt und fragen sich: Warum habe ich nicht dieses Auto oder diese Kleidung oder diese Muskeln?
Das ist bei Frauen und allen anderen Geschlechtern nicht anders.
Ich stimme zu. Aber ich glaube, es wird viel weniger darüber gesprochen. Ich habe kürzlich eine Fotoausstellung zum Thema Nacktheit gesehen. Sie war sehr divers, aber es gab kein einziges Foto, auf dem ein weißer Mann mit einem anderen weißen nackten Mann abgebildet war. Das ist schon komisch.
Sie sagten vorhin, dass Sie durch Ihre Arbeit etwas lernen wollten. Was haben Sie bis jetzt gelernt?
Ich weiß nicht, ob ich etwas gelernt habe. Ich denke, es ist in Ordnung, mich so zu lieben, wie ich bin, solange ich auch andere Menschen so liebe, wie sie sind. Ich war diesen Sommer bei einem Lacan'schen Analytiker, um wirklich ins Unterbewusstsein einzutauchen, und am Ende war die einzige Schlussfolgerung vielleicht, dass wir alle ein bisschen durcheinander sind.
Aha! Und können Sie weitere Erkenntnisse teilen?
Es ist schwierig, den Klischees zu entkommen. Aber ich denke auch, dass meine Arbeit komplexer ist, weil ich mich nicht von Klischees lösen kann. Was gibt es denn noch außer Klischees, wenn es um Kunst geht, die sich mit Identität beschäftigt?
Und haben Sie eine Idee, für eine Lösung?
Es ist nicht meine Aufgabe, das herauszufinden. Aber ich denke, wenn wir das Patriarchat "abschaffen" und eine gerechtere Gesellschaft schaffen wollen, was, seien wir ehrlich, den meisten Menschen egal ist, dann muss man die Unterschiede zwischen den Menschen akzeptieren und nur die unterdrückenden Hierarchien umgestalten wollen.