Rückblick

2018, das Jahr der Diskussion um koloniales Erbe

Bald wird das Humboldt Forum mitten in Berlin eröffnet. 2018 war das Jahr, in dem klar wurde, wie wichtig die Diskussion um das koloniale Erbe auch in Deutschland ist. Ein Kommentar

Zu Beginn der Comic-Verfilmung "Black Panther", die in diesem Frühjahr in die Kinos kam, gibt es eine Szene in einem Londoner Museum, für das offensichtlich das British Museum als Vorbild diente. Der Held/Anti-Held Killmonger, ein junger Schwarzer in hipper Streetwear, betritt die "Westafrikanische Abteilung" des Museums (die Wärter, in racial profiling erprobt, sind ob des Anblicks des Besuchers nervös-alarmiert). Er erkundigt sich bei einer weißen Kuratorin nach der Herkunft der ausgestellten Stücke. 

Diese Maske sei vom Stamm der Bobo Ashanti im heutigen Ghana, erklärt die Expertin in vollendeter Kuratorenarroganz, jene von den Edo in Benin, 16. Jahrhundert. Die beiden gehen weiter zu einer Vitrine, in der eine Axt ausgestellt ist. Dieses Stück stamme von den Fulde in Benin, so die Kuratorin – doch Killmonger widerspricht: Sie liege mit ihrer Bestimmung falsch. Das sei jedoch kein Problem, denn er würde ihr das Stück abnehmen. Die Kuratorin protestiert naserümpfend: Die Artefakte stünden nicht zum Verkauf. Darauf Killmonger: "Wie sind denn deine Vorfahren an die Axt gekommen?"

Mit "Black Panther", vielfach ausgezeichnet und mit einem Einspielergebnis von rund 700 Millionen Dollar in den USA auf Platz 3 der umsatzstärksten Filme aller Zeiten, hat die Debatte über den Umgang mit kolonialem Kulturgut die Popkultur erreicht. Damit ist ein Thema, das jahrzehntelang unter den Teppich gekehrt und allenfalls in Experten-Runden diskutiert wurde, in den Blick einer breiten Öffentlichkeit geraten.

Auch in Deutschland hat die Debatte, die hier neben den vielen ethnologischen Sammlungen das Prestige-Objekt Humboldt Forum betrifft, endlich an Fahrt aufgenommen. Viele der jahrelang wiederholten Vorurteile und Vorbehalte gegen Restitutionen sind mittlerweile vom Tisch gewischt. So wagt niemand mehr ernsthaft zu behaupten, in den Herkunftsländern gäbe es keine adäquaten Museen für die Aufbewahrung der Kulturgüter. Und nachdem jahrelang abgewiegelt und abgestritten wurde, herrscht mittlerweile auch darin weitgehend Einigkeit: Gestohlenes muss zurückgegeben werden. 

Dass zuletzt ausgerechnet Horst Bredekamp, Gründungsintendant des Humboldt Forums, in die ganz alten Muster verfiel und behauptete, dass Deutschland keine Kolonialmacht war und "im Geist der Aufklärung" gesammelt habe, ist schlimm genug. Aber immerhin: Bredekamp steht damit diskreditiert und weitgehend isoliert da. Selbst Generalintendant Hartmut Dorgerloh und der Sammlungsdirektor des Humboldt Forums, Lars-Christian Koch, widersprechen ihm offen: Deutschland war Kolonialmacht.

Durch den Restitutionsbericht der Wissenschaftler Bénédicte Savoy und Felwine Sarr und die offensive Restitutionspolitik von Präsident Macron hat Frankreich Deutschland unter Druck gesetzt. Mittlerweile hat aber auch Kulturstaatsministerin Grütters erstaunlich deutlich Stellung bezogen: "Wir stellen uns diesem unrühmlichen Teil unserer Geschichte", schrieb Grütters Mitte Dezember in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Und: "Von Museen  und Sammlungen erwarten wir die Bereitschaft, sich offen der Frage einer Rückgabe von Kulturgütern aus kolonialen Kontexten zu stellen."

Alles gut also? Bei weitem nicht. Zunächst einmal müssen auf die netten Bekenntnisse jetzt Taten folgen. Die von Emmanuel Macron für Januar angekündigte europäisch-afrikanische Konferenz in Paris, an der sich Deutschland "aktiv beteiligen" will, darf in dieser Hinsicht mit Spannung erwartet werden. Wichtig ist diese Konferenz aber auch als Plattform für einen Dialog auf Augenhöhe mit den afrikanischen Partnern: Es wäre verhängnisvoll, wenn sich Europa in kolonialer Tradition die Wortführerschaft anmaßte. 

Geschätzte 30 Millionen Kulturobjekte gelangten einst nach Europa, 90 Prozent des afrikanischen Kulturerbes befindet sich außerhalb des Kontinents. Das Leid, die Morde, der Verlust an Würde und Identität sind nicht zu ermessen, und sie wirken bis heute nach. "Die Wahrheit ist, dass Europa uns Dinge genommen hat, die es uns nie wieder zurückerstatten kann", schreibt der Philosoph und Politikwissenschaftler Achille Mbembe in der aktuellen Monopol-Ausgabe. "Wir werden lernen, mit diesem Verlust zu leben. Doch seinerseits wird Europa für seine Handlungen geradestehen müssen, für diese Schattenseite unserer gemeinsamen Geschichte, derer es sich zu entledigen sucht. Damit jedoch neue Bande geknüpft werden können, wird Europa die Wahrheit respektieren müssen, denn die Wahrheit ist die Schule der Verantwortung."

Dekolonisierung meint in diesem Sinne, dass Deutschland den Blick nicht nur nach außen richtet, sondern sich seiner eigenen Vergangenheit und ihrem Fortwirken in unserer Gesellschaft stellt: Wir haben ein Problem. Das Projekt der Dekolonisierung erschöpft sich auch nicht in der Debatte um Restitutionen, sondern geht über kulturhistorische oder museale Kontexte weit hinaus. Unsere globalisierte Gegenwart ist nur im Zusammenhang mit den Expeditionsreisen und Raubzügen der Kolonialzeit zu verstehen, unsere multiethnische Gesellschaft braucht dieses Wissen als Fundament künftigen Zusammenlebens. Daher ist die Frage auch nicht nur, wie diese Geschichte erzählt wird, sondern auch, wer sie erzählt. Am Beginn einer grundlegenden Neukonzeption der ethnologischen Sammlungen muss personelle Diversifikation stehen.

2019 wird das Humboldt Forum im Herzen der Republik eröffnen, eine 600 Millionen teure Attrappe eines Preußen-Schlosses. Es wird abzuwarten sein, ob dies ein Ort wird, an dem sich Deutschland seiner Weltoffenheit rühmt, garniert mit ein bisschen Selbstläuterung. Oder ob hier tatsächlich andere Geschichten, andere Denkweisen, andere Perspektiven, ein anderer Geist einziehen.