Postmoderne Architektur

Eins bekloppter als das andere

Postmoderne Architektur bewegt sich irgendwo zwischen Fiebertraum und zum Leben erweckter Kinderbuch-Illustration. Der Bildband "Less is a Bore" versammelt die schönsten und verrücktesten Beispiele

Die Provinz erreichten die neuen Farben und Formen damals noch etwas gemächlicher. Aber irgendwann in den frühen 90ern war es dann selbst bei uns so weit: Häuser mit türkisfarbenen und violetten Applikationen und Rohren, die vermutlich so etwas wie Plastiksäulen darstellen sollten, und allerlei ähnlichem Dekor zierten plötzlich das Stadtbild. Mit großen Augen hingen wir an den Autoscheiben und überboten uns fortan gegenseitig in Mein-Haus-Phantasmen.

Klar, im direkten Vergleich zu den Architektenhäusern der bundesdeutschen Metropolen oder gar jenen in den USA war das, was uns hier geboten wurde, nur ein lauer Abglanz. Aber schon der hatte noch genügend kritische Masse, um den kindlichen Größenwahn anzustoßen: Ganz echte Häuser können genauso irre aussehen wie die von Barbie, Disney oder wie die Behausungen in den Lieblingsbüchern. No more kleinstädtische Ennui, zumindest optisch. Denn in diesen sich verändernden Oberflächen, das begriffen wir offenbar ganz intuitiv, lag doch schon irgendeine Art von Versprechen begründet.

Ein ganz ähnliches Fieber befiel mich jetzt wieder beim Warten auf dieses neue Buch, das die großen Vorbilder für den plötzlichen Farbanstrich in unseren Straßen versammeln sollte: Einen tutti completti artifiziellen, auf immer und ewig deplatziert erscheinenden italienischen Dorfplatz in Downtown New Orleans zum Beispiel (Charles Moores "Piazza d’Italia"), oder das knallbunte "The Judge Institute" von John Outram Associates, in dem ein höchst offizielles Gebäude wie ein wahrhaftiger Kinderspielpalast daherkommt. Rund 200 Abbildungen und somit Bauwerke sind es an der Zahl, eins bekloppter als das andere, manches nur ein liebevoll-ironisches Augenzwinkern wie das schöne Katzenhaus des Kinderbuchautors Tomi Ungerer, anderes stahlhart mit allen Bad-Taste-Wassern gewaschen.

Prinzip Bunte Tüte

"Less Is A Bore" heißt das laut Verlag erste Standardwerk dieser Art überhaupt über die postmoderne Architektur - was erstaunlich genug ist. Den Titel hat sich Autor Owen Hopkins bei Robert Venturi geborgt, der für das programmatische Zitat verantwortlich zeichnete, sich allerdings selbst nie so recht mit dem Label postmodern respektive "PoMo" identifizieren wollte. Trotzdem kommen sowohl er als auch seine Frau, die wunderbare Denise Scott-Brown, gleich mehrfach mit Zitaten und eigenen Bauten im Buch vor. Und natürlich hat mit dem "Vanna Venturi House", das Robert Venturi 1962 bis 1964 in Chestnut Hill für seine Mutter konzipierte, die postmoderne Architektur einen ihrer Anfänge genommen.

Das Buch gibt sich nun aber nicht als Standardwerk im strengeren Sinne, sondern verfolgt – mit Ausnahme eines persönlichen, sehr schönen Plädoyers des Autors – das Prinzip Bunte Tüte: Bauwerke aus allen Teilen der Welt und aus unterschiedlichen Dekaden werden mit kessen Zitaten angereichert; weder eine zeitliche Chronologie noch eine stilistische Unterteilung geben die Struktur vor. Aktuelle Bauten des bolivianischen Autodidakten Freddy Mamani sind ebenso zu finden wie zeitgenössische Kitschhochhäuser aus den superspätkapitalistischen Metropolen Chinas, wobei letztere im Vergleich mit den Klassikern der 70er-, 80er-, 90er-Jahre doch deutlich abfallen. Zauberhaft hingegen das "Basket Building" der Longaberger Company in Ohio, ein siebenstöckiger Einkaufskorb, der aber doch eher der programmatischen bzw. phantastischen Architektur zugeordnet wird, die in den USA schon eine deutlich längere Geschichte als die der Postmoderne umfasst.

Kränkung der Architektur

Man kann Hopkins folgen, dass ein solch Slogan-hafter, assoziativer und an den Rändern ausfransender Umgang die einzig gültige Lösung für eine Architekturströmung ist, deren Herzstück das Auseinanderdriften, Divergieren und dann wieder Zusammenführen von Schund und Schönheit, Konzept und Spinnerei, von objektiven (jedes Bauwerk muss noch immer den physikalischen Gesetzen von Statik und Co. gehorchen) und subjektiven Prinzipien darstellt. Man kann es aber, vielleicht ist das nur zugleich zu denken, ebenso schade finden, nicht noch ein bisschen mehr über die Strömung, ihre wichtigsten Bauprinzipien wie Fragmentierung, Komplexität und Widerspruch, Humor und Camp sowie deren intellektuelle Einbettung zu erfahren.

Abgesehen vom ästhetischen Ekel, den postmoderne Bauten wie in den herrlichen Zitaten im Buch ("Verbrechen gegen die Menschlichkeit!") nachlesbar bei vielen Betrachtern heraufbeschworen, gab es auch Kritik über Stilfragen hinaus. Ein nachvollziehbarer Vorwurf lautete beispielsweise, dass die Strömung jegliches utopische und gesellschaftliche Potential missen lasse. Und selbstverständlich stellte "PoMo" eine regelrechte Kränkung dar, sägte sie doch am Heils- und Repräsentations-Anspruch der Architektur selbst und tat dies auch noch mit ihren eigenen Mitteln. Handelte es sich hierbei nun um einen architektonischen Kontrapunkt zur Moderne mit ihren bekannten Verfehlungen oder nicht vielmehr um ihre logische Fortführung in damalig-heutigen Zeiten?

Wo ist eigentlich Vegas?

Wer die Bilderschau mit Lektüre fundieren möchte, der oder dem sei noch Robert Venturis "Komplexität und Widerspruch in der Architektur" oder das gemeinsam mit Denise Scott-Brown herausgebrachte "Learning From Las Vegas" empfohlen. Und dann vielleicht noch die "Klotz-Tapes" der deutschen Architekturzeitschrift ARCH+, quasi eine niedergeschriebene Oral History der jüngeren BRD-Geschichte über ebenjene Postmoderne Architektur.

Für den ersten visuellen Rausch aber eignet sich "Less is a bore" hervorragend. Was fehlt: Vielleicht das Frankfurter Museum für Moderne Kunst von Hans Hollein. Und wo ist überhaupt Vegas abgeblieben? Auch der maltesische Architekt Richard England hätte das Programm mit seiner mediterranen Version einer postmodernen Architektur sicherlich noch bereichert. Wenn man die Postmoderne kategorisch ohnehin ausdehnt, dann sollte es, eingedenk des Titels, doch vielleicht heißen: Bitte noch mehr davon!