"Präraffaelitische Girls erklären Hexerei"

Wenn Musen ihre Magie entdecken

Als hätte man Zeitreisenden die Macht von Twitter erklärt: Die Autorin Christiane Frohmann macht in ihrem neuen Buch feministische Memes aus präraffaelitischen Gemälden 

Wenn man ein präraffaelitisches Girl ist, könnte das Leben ziemlich einfach sein. Vorwiegend liegt man in kostbaren Gewändern auf kostbaren Polstern, hält zierliche Blumensträuße in den schlanken Fingern oder bürstet sich ausdauernd das lange Engelshaar. Der Nachteil: Jenseits dieser Tätigkeiten und eines Vollzeitjobs als Muse gibt es wenige Entfaltungs­möglichkeiten. Manchmal ist man tot, aber natürlich trotzdem noch sexy und wunderschön. Und man ist eben das Produkt von Fantasien einer männerdominierten Kunstströmung aus dem 19. Jahrhundert.

Die Bruderschaft (there you have it) der Präraffaeliten gründete sich um 1850 in London und sehnte sich nach einer Proto-Renaissance vor Raffael, in der die Kunst ihrer Auffassung nach noch "natürlich" und unverdorben war. In ihren Werken schufen Maler wie John Everett Millais, William Holman Hunt und Dante Gabriel Rossetti sinnliche, aber meist passive Frauengestalten, die zwischen mythischen oder biblischen Gestalten und zeitgenössischen Schönheitsidealen changieren. Welche Interpretationsmöglichkeiten in diesen Malerei­fantasmen liegen, haben Künstlerinnen schon öfter gezeigt. So inszenierte beispielsweise die Fotografin Elfie Semotan ihre Modelle in der Serie "Präraffaeliten" (2006) als gefährliche Schönheiten, die statt zu schlummern oder zu träumen vielmehr auf ihren Einsatz lauern.

Eine besonders unterhaltsame und Social-Media-inspirierte Version der Musenermächtigung findet sich im Buch "Präraffaelitische Girls erklären Hexerei" von Christiane Frohmann. Den Protagonistinnen bekannter Gemälde legt die Autorin und Verlegerin lustvoll feministische Erkenntnisse und Plädoyers für mehr Magie in den Mund. Die Figur der Hexe, lange eine Projektion, die Frauen mit Wissen marginalisierte und im schlimmsten Fall das Leben kostete, wird hier zur Schutzheiligen der Selbstbehauptung: Ein Bild des Künstlers Briton Rivière, auf dem die Zauberin Circe von einer Horde böse dreinblickender Schweine belagert wird, betextet sie mit der Beobachtung: "Der Moment, nachdem du als Frau etwas über Popkultur gesagt hattest." Ein milde gemaltes Mädchen mit Kätzchen lässt sie sagen: "Kleine Hexen verfügen oft über die stärkste Magie." Eine griechische Göttin, an Marmor gelehnt, denkt lächelnd: "Vergiss nicht, wenn du das Haus verlässt, den Herd anzulassen."

Der zweite Band der präraffaelitischen Reihe (im ersten erklären die Girls das Internet) ist ein schlauer und visuell verführerischer Hybrid aus Literatur und Meme – als hätte man den zeitreisenden Frauen aus dem 19. Jahrhundert die Macht von Twitter erklärt. Zu den einzelnen Bildern erfährt man leider nichts, was die Kunst auf die Illustration von Geistesblitzen reduziert. Andererseits wird so auch deutlich, wie sich die Protagonistinnen der Bilder durch ihren neuen Kontext den Intentionen ihrer Schöpfer entziehen. Musen? Wir doch nicht.