Fotos von Ragnar Axelsson

Die schmelzende Welt

Seit über 40 Jahren fotografiert Ragnar Axelsson die Arktis und ihre Bewohner. Zuerst faszinierte ihn das Leben in der Eiseskälte, nun ist er auch ein Mahner vor den Folgen des Klimawandels. Noch bis April sind seine Bilder in München zu sehen

Man muss wohl ein Kind des Nordens sein, um sich so tief und einfühlsam auf die Menschen und Landschaften rund um die Arktis einzulassen, wie Ragnar Axelsson (geboren 1958) es tut. Von klein auf hat der Isländer und fotografische Autodidakt mit der ihm anvertrauten Leica in der Hand intuitiv einen ästhetischen Sinn für das entwickelt, was ihn umgibt. "Es gehörte viel Vertrauen dazu, einem Kind eine Kamera zu leihen, die so teuer war wie ein Auto. Ich durfte meinen Vater nicht enttäuschen", erklärt er in seinem neuen Buch "Where The World is Melting" (Wo die Welt schmilzt).

Das in ihn gesetzte frühzeitige Zutrauen hat sich ausgezahlt. Seit mehr als 40 Jahren fotografiert Axelsson, auch als Rax bekannt, Menschen, Tiere und Orte, zumeist in arktischen Regionen und ausschließlich in Schwarz-Weiß. In dem Buch, das zugleich als Begleitband zu seiner aktuellen Ausstellung im Münchener Kunstfoyer dient, blickt der vielfach ausgezeichnete Fotograf, der sich auch mit Bildreportagen für Magazine wie "Geo", "Time" und Life" einen Namen machte, zurück auf diese Zeit.

Der Fotograf lässt seine Betrachterinnen und Betrachter analog und digital an seinen Abenteuern teilhaben: Angefangen mit seiner ersten Island-Serie "Wo alles begann" von 1968, über "Letzte Tage der Arktis", "Gletscher" und "Arktische Helden" (einer Hommage an den Schlittenhund) bis hin zu der bislang unveröffentlichten Serie „Schwarze Landschaft“, die 2021 ebenfalls in Island entstand. Seine Bilderstrecken sind oftmals als Langzeitprojekte angelegt, auch in der Serie "Gesichter des Nordens" (1986 bis 2015) dokumentiert Axelsson die schwindenden Gletscher in Island und auf den Färöer Inseln.

Ein Getriebener im besten Sinn

Was einst mit der Faszination für die Menschen und ihr hartes Leben bei Eiseskälte begann, mündet schon früh in dem Bedürfnis, eine Welt zu zeigen, die vom Klimawandel bedroht ist. "Als ich vor etwa 30 Jahren am Haus eines alten Jägers in Thule vorbeikam, meinte dieser: 'Irgendetwas stimmt nicht, so sollte es nicht sein, dem großen Eis geht es schlecht'", kommentiert Rax.

Damals habe er begonnen, die Dinge anders wahrzunehmen. Ein Foto aus dieser Zeit zeigt einen vom Leben gezeichneten Jäger, klar und deutlich. Den Fotografen anblickend beugt er sich am linken Bildrand vornüber, während rechts zwei "unscharfe" Huskys die Szene im Hintergrund aufmerksam verfolgen. Eine typische Rax-Komposition, bei der beide Bildelemente nur im Anschnitt vorkommen. Dazwischen nichts außer Luft und Eis. Ein weiteres Foto zeigt genau umgekehrt einen Inuit-Jungen, der am rechten Bildrand frontal und unscharf gewitzt in die Kamera schaut, während hier der Hintergrund, ein kleines Dorf im Eis, von Axelsson scharf fokussiert wurde.

Zurzeit arbeitet Rax an einem Dreijahresprojekt, mit dem das Leben der Menschen in allen acht arktischen Staaten dokumentiert werden soll. Als Getriebener im besten Sinn will er Zeugnis ablegen von der unmittelbaren und direkten Gefahr, die die Erderwärmung für das Überleben in der Arktis darstellt. Man darf gespannt sein. Denn bereits jetzt sind seine Eisbären, Islandpferde, Hunde, Schneestürme, Dörfer, Fischer und Farmer vor großer Naturkulisse und schließlich die schaurig-schönen, erhabenen Berglandschaften, die an die Gemälde der Romantiker erinnern, an ästhetischer Wucht kaum noch zu toppen.