Besuch bei einer Restauratorin

Die Visagistin der Alten Meister

Alte Gemälde zum Strahlen bringen, ohne historische Spuren zu verwischen: Das ist die Herausforderung, vor der Kunst-Restauratorinnen stehen. Besuch bei der Berlinerin Sandra Stelzig, deren Arbeit im Idealfall niemand sieht

Der Weg zu Sandra Stelzigs Arbeitsplatz ist ein wenig verschlungen: zuerst durch eine Tür mit Sicherheitsschloss in einem Ausstellungsraum der Berliner Gemäldegalerie, dann eine gewundene Treppe hinauf. Dort, wo sie von niemandem gesehen wird, ist die Restauratorin den Bildern näher als alle anderen. Stelzig beugt sie sich nah über teure Gemälde, behandelt sie mit Chemikalien und bessert Beschädigungen aus. Das Auftreten der 53-Jährigen ist so, wie man sich auch ihren Job vorstellt: Ordentlich, bescheiden und bedacht. "Die Kombination der manuellen Arbeiten mit dem technischen und naturwissenschaftlichen Hintergrund gefällt mir besonders", sagt sie.

Ihr Interesse an dem Beruf sei schon früh durch einen Zeitungsartikel geweckt worden, den sie kurz nach dem Abitur gelesen habe. Zunächst studierte sie Kunstgeschichte in Berlin, nach der Wende wechselte sie an die Hochschule bildender Künste in Dresden und studierte dort Kunsttechnologie, Konservierung und Restaurierung. "Restauratoren sind zunehmend qualifizierter, weil sie seit den 60er-Jahren wissenschaftlich und akademisch ausgebildet werden", sagt sie.

Sandra Stelzig setzt sich an einen Holztisch im Pausenraumm des Museumsbaus am Berliner Kulturforum. An der Wand steht ein Regal mit leuchtenden Pigmenten in Glasgefäßen. "Die sind heute nur noch Dekoration", sagt sie. Hübsch sehen sie allemal aus, die Anmutung der Vergangenheit passt in die weitläufigen Räume mit Parkettboden. Durch eine offene Tür zum angrenzenden Atelier-Raum sieht man ein großformatiges Gemälde auf einer Staffelei stehen, an dem gerade eine ihrer Kolleginnen werkelt.

Von Beruf aus minimalistisch

"Die unmittelbare Arbeit am Objekt, bei der man sich die Komponenten des Materials und die einzelnen Schichten ganz genau ansieht, ist wie eine Zeitreise", sagt Stelzig lächelnd. "Es sind historische Objekte. Ich schaue mir an, ob die Grundierung aufgestrichen oder gespachtelt wurde und mit welchen Geräten daran gearbeitet wurde. Manchmal entdecke ich auch Fingerabdrücke der Künstler", erzählt sie.

Bevor sie mit einer Restaurierung beginnt, müssen alle Schichten eines Gemäldes sehr genau geprüft werden. "Erst mal ist da die Grundierung, dann eine Unterzeichnung oder Untermalung und dann verschiedene Farbschichten", erklärt sie. Abschließend befindet sich auf den meisten Gemälden ein Überzug aus Firnis, einem durchsichtigen Harz. "Alle diese Schichten altern natürlich und reagieren auf Veränderungen. Im schlimmsten Fall lockern sie sich vom Untergrund und verformen sich, zum Bespiel zu kleinen Farbschichtschüsseln oder dachförmigen Blasen", sagt Stelzig.

Ihre Arbeit bezeichnet sie als minimalistisch. Heutzutage will sich die Restaurierung im Hintergrund halten und arbeitet reversibel, anstatt großflächig Farben nachzubessern. "Wir wollen die Kunstwerke unverfälscht an die nächsten Generationen weitergeben und historische Spuren erhalten", sagt Stelzig. Dazu gehöre, Pinselstriche, Kratzspuren oder Fingerabdrücke nicht zu verdecken, damit der Enstehungs-Prozess eines Gemäldes nachvollziehbar bleibe.

Die Schäden sind nicht weg, nur kaschiert

Dafür werden zum Beispiel kleine Farbausbrüche durch Kittmasse optisch unscheinbar gemacht. "Die Schäden sind nicht weg, nur kaschiert", sagt Stelzig. Sie stabilisiert und konsolidiert so, dass die Retuschen nur noch für das geübte Auge sichtbar sind. In der Vergangenheit ist sehr viel großzügiger restauriert worden, aber auch Retuschen auf Gemälden können sich mit der Zeit verdunkeln und fleckig werden. Auch solche Verfärbungen werden von Stelzig aufgehellt und korrigiert.

"Die Materialien, mit denen wir heute arbeiten, sind ganz anders als noch vor 20 Jahren. Wir haben den Anspruch, dass sie sich nicht verändern", sagt Stelzig. Manchmal muss sie für ihre Arbeit fast zur Chirurgin werden. Sie erzählt von Rissen in der Leinwand eines vier mal vier Meter großen Porträts von Friedrich dem Großen, das der Maler Wilhelm Camphausen geschaffen hat und das heute im Schloss Charlottenburg in Berlin hängt.

"Früher hat man in so einem Fall mit Flicken auf der Rückseite gearbeitet oder gleich das ganze Gemälde hinterklebt, das nennt man Doublierung" erzählt sie. Gemeinsam mit anderen Restauratorinnen hat sie einen anderen Weg gewählt. "Wir haben die gerissenen Fäden unter dem Mikroskop geordnet, um die Struktur zu rekonstruieren und sie dann einzeln wieder miteinander verklebt", erzählt sie.

Keine E-Mails, keine Anrufe 

Nicht ihre gesamte Arbeitszeit verbringen Stelzig und ihre Kolleginnen vor den Bildern, auch Verwaltungsaufgaben, die Koordination von Leihgaben und präventive Konservierung fallen in ihren Aufgabenbereich. Auch, was sie feststellt, wenn sie Bilder wissenschaftlich untersucht und welche Maßnahmen der Restaurierung sie vornimmt, werden genauestens dokumentiert. "Das umfasst alles, was dazu nötig ist, die Bilder in bestmöglichen Umgebungsbedingungen aufzubewahren."

Dabei spielen neben Brandschutz und Diebstahlsicherungen vor allem die Luftfeuchtigkeit und Temperatur eine Rolle. Während es draußen Mitte August knapp 30 Grad hat, trägt Sandra Stelzig eine graue Strickjacke über ihrer bunt gemusterten Bluse. In den Räumen der Restauratorinnen ist es 22 Grad kühl, an Tagen wie diesem sehr angenehm, im Winter wird der Restauratorin von der statischen Arbeit jedoch oft kalt.

Besonders gerne arbeite sie nach wie vor an den Kunstwerken selbst. "Wir alle haben immer den Wunsch, am Objekt zu arbeiten", sagt sie. In stressigen Phasen bleibt ihr dafür freitags Zeit. "Ich brauche dafür große Konzentration und Ruhe, in der ich mich nicht von Telefonklingeln oder E-Mails stören lasse", erzählt sie. Für ihre Arbeit in kleinsten Maßstäben an den Original-Substanzen muss sie sehr sorgfältig sein. Und geduldig. 

Vorliebe für Niederländer

Das Atelier nebenan hat Oberlichtfenster, von der Decke baumeln Dunstabzugsschläuche, die die Restauratorinnen brauchen, wenn sie mit giftigen Chemikalien arbeiten. Auf Sandra Stelzigs höhenverstellbaren Schreibtisch liegt eine DIN-A-4 große Holztafel, die mit Seidenpapier abgedeckt ist, daneben ein rollbarer Beistelltisch mit dünnen Pinseln, Handschuhen, Pinzetten und Zahnarztbesteck, was sie benutzt, wenn sich einzelne Farbpartikel lösen. 

Stelzig zieht das Papier von der Tafel auf dem Tisch und dreht sie zu sich. Es handelt sich um das "Bildnis eines Mannes mit rotem Chaperon, sog. Giovanni Arnolfini" von Jan van Eyck, das sie über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren umfangreich restauriert hat. "Ich habe eine Vorliebe für frühe Niederländische Malerei", erzählt sie. Für die Überholung des Gemäldes hat sie zunächst eine kleine Probe entnommen und diese in einen Harzwürfel eingebettet und abgeschliffen, um die Schichten nachvollziehen zu können.

Anschließend hat sie den alten Firnis mit speziellen Lösungsmitteln und Mikrofasertüchern abgenommen und Fehlstellen gekittet und retuschiert. Wie viel Zeit einzelne Restaurierungen in Anspruch nehmen können, scheint sie nicht zu stören, über ihre Arbeitsprozesse spricht sie mit stoischer Gelassenheit. Sandra Stelzig zeigt auf einen Brief, den der abgebildete Mann auf dem Gemälde in der Hand hält. "Das habe ich mir unter dem Mikroskop genau angesehen. Leider sind es nur Fantasie-Schriftzeichen, keine Worte", sagt sie. Wie eine Geheimnissuche ist ihre Tätigkeit in solchen Momenten. 

Weit weg davon, wie die Bilder einmal gewirkt haben

"Was wir heute vor uns sehen, sind stark gealterte Materialien", sagt Stelzig. "Wir müssen uns bewusst sein, dass sich die Farbigkeit über die Jahrzehnte oder Jahrhunderte verändert." Von der gängigen Phrase, dass Gemälde nach einer Restaurierung im neuen Glanz erstrahlten, hält sie nicht viel. "Die Farbwerte verschieben sich, weil Pigmente chemisch altern. Unsere Farbeindrücke heute sind weit weg davon, wie die Bilder einmal gewirkt haben", sagt sie.

Ein von ihr restauriertes Bild in einem Museum oder einer Galerie an der Wand hängen zu sehen, fühle sich meistens "ziemlich gut" an, sagt Sandra Stelzig. "Jedes Gemälde wirkt dann noch mal ganz anders, in dem richtigen Licht und mit einem anderen Abstand. Trotzdem sehe ich natürlich jede Unregelmäßigkeit und jeden kleinen Fleck. Da ist es gut, noch mal einen Schritt zurückzutreten", sagt sie.

Neben dem Jan-van-Eyck-Werk liegt bereits das nächste Bild, dem sich Stelzig widmen wird, dazu ein Schild, auf dem in großen Buchstaben "Vorsicht Gemälde!" steht. Die achteckige Leinwand von Gerrit van Honthorst zeigt Amalia von Solms in Witwentracht. Stelzig beugt sich mit dem Kopf nach unten, in der Spiegelung des Bildes erkennt man den streifig aufgetragenen Firnis.

Einer unsichtbaren Geschichte auf der Spur

"Gerade bin ich an einem Punkt mit dem Gemälde, an dem ich nur schwer weiterkomme, weil ich nicht genug Ruhe dafür habe", sagt Stelzig. Auch bei diesem Gemälde ist sie einer unsichtbaren Geschichte auf die Spur gekommen. "Amalia hält hier in der Hand ein Porträt ihres verstorbenen Mannes. In Röntgenaufnahmen kann man sehen, dass sie ursprünglich einen Totenschädel gehalten hat", erzählt sie. Vermutlich habe der Schädel zunächst als Vanitas-Symbol fungiert, nach dem Tod ihres Mannes sei das Bild ergänzt worden.

Ob sie manchmal Angst habe, an einem wertvollen Kunstwerk etwas kaputtzumachen? "Angst habe ich nicht, aber der Respekt ist immer da." Abends ziehen sie und ihre Kolleginnen die Stecker aller Elektrogeräte, beim gemeinsamen Heben von Bildern gebe es genaue Kommandos, um die wertvolle Fracht zu schützen. Neben Stelzig arbeiten drei Restauratorinnen fest in der Gemäldegalerie, dazu kommen befristete Teilzeitkolleginnen und Praktikantinnen. Dass die Arbeit von Restauratorinnen in der breiten Öffentlichkeit wenig wahrgenommen und wertgeschätzt wird, schlägt sich auch in den Tarifverträgen und wenigen festen Stellen nieder.

Sandra Stelzig führt drei Stockwerke nach unten ins Depot der Gemäldegalerie. An knapp sechs Meter hohen Rollwänden in der großen Halle hängen tausende Werke, beschriftet sind die Ständer mit Jahreszahlen und Entstehungsländern.

Manchmal hört man die Holztafeln knacken

Sandra Stelzig zeigt auf ein Bild auf einer Staffelei, das bald nach London verliehen wird. In der Hand hält sie eine Fotografie des Bildes in einer Klarsichtfolie, dem Zustandsprotokoll, das vor jeder Freigabe zum Transport angefertigt wird. Mit kleinen Strichen hat sie auf der Folie markiert, wo starke Strukturierungen auf dem Bild zu sehen sind, mit Kreisen Ausbruchsstellen, mit kleinen Punkten Sprünge oder stark glänzende Bereiche.

Manche Bilder bleiben jahrzehntelang im Depot, ohne restauriert zu werden. Auf einigen Gemälden kleben Sicherungspapiere, die noch von Zusammenführungen von Kunstbeständen der DDR und der Bundesrepublik nach der Wende stammen. Sich für eine Restaurierung zu entscheiden ist teuer, daher bleiben viele Gemälde lange im Verborgenen.

Doch nicht alle Restauratorinnen arbeiten heute ungesehen. Einige Museen machen die Behandlungen berühmter Exponate mittlerweile zu einem eigenen Event. So ist in der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden ein gläsernes Schau-Atelier eingerichtet worden. Die Besucherinnen und Besucher können nun also nicht nur die Gemälde an den Wänden bestaunen, sondern direkt dabei zusehen, wie die "Die Madonna des heiligen Sebastian" von Correggio hergerichtet wird. In Amsterdamer Rijksmuseum wurde mit Rembrandts ikonischer "Nachtwache" ein ähnliches Konzert erprobt. Auch hier wurden die Restauratoren mit ihrer Arbeit gleich selbst Teil der Ausstellung.

Für die Besucher nicht nachvollziehbar

 

Obwohl Sandra Stelzig Öffentlichkeitsarbeit wichtig ist und sie regelmäßig über ihre Arbeit spricht, sieht sie Schaurestaurierungen kritisch. "Auch bei umfangreicheren Restaurierungen geschieht das Wesentliche in mikroskopischen Dimensionen, in kleinteiliger, präziser Feinarbeit. Das ist auch Schaurestaurierungen für das Publikum nicht wirklich nachvollziehbar", sagt sie. "Für die Kollegen im gläsernen Kasten stellen die Besucher meist eine recht große Belastung dar", so Stelzig. Weil für ihre Arbeit höchste Konzentration erforderlich ist, können Schaulustige eine störende Ablenkung darstellen, findet sie. 

 

Von Menschenmengen kann im stillen Museumsdepot jedoch keine Rede sein. Nur die Klimaanlage surrt, Sandra Stelzig lauscht. "Manchmal hört man die Holztafeln knacken", sagt sie. Später erklärt sie, dass die Materialien beständig auf ihre Umwelt reagieren, in mikroskopischem Maßstab, aber durch Temperatur oder Luftfeuchitgkeits-Veränderungen hörbar. Sie spricht leise. Fast, als würde sie sich in einer sakralen Umgebung befinden. Dass sie es genießt, die Bilder im Depot anzusehen, hört nie auf.