Ausstellung "Retrotopia" über sozialistisches Design

Der Staubsauger, ein Mini-Satellit

Was ist das Spezifische an sozialistischem Design, und wie gestaltet man Gegenstände, wenn man von einer Welt ohne Besitz träumt? Diesen Fragen geht eine vielschichte Ausstellung in Berlin nach - die sogar Hoffnung für die Gegenwart stiften will

Wohnen ist ein menschliches Grundbedürfnis. Auch wenn sich angesichts explodierender Mieten leise Zweifel regen, inwieweit das überhaupt noch Konsens sein kann. Zumindest nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war Wohnpolitik etwas, worüber sich die Länder des Ostens mit denen des Westens einig werden konnten. Denn sowohl das sozialistische wie das kapitalistische System maßen ihre Leistungsfähigkeit zunächst am Fortschritt des Wiederaufbaus und der Beschaffung von Wohnraum. Die Ausstellung "Retrotopia. Design for Socialist Spaces" beleuchtet nun die Rolle und den Einfluss von Design in den Ländern des ehemaligen Ostblocks und Ex-Jugoslawiens von den 1950ern bis in die 1980er-Jahre.

Was ist das Spezifische des Designs für "sozialistische Räume", wie es der Ausstellungstitel verkündet? Wie verband sich die Suche nach neuen Formen mit der Kritik am Kapitalismus? Und wie gingen praktischer Bedarf mit der Vorstellung einer Welt ohne materielle Besitztümer einher? Statt in einem kompetitiven Ost-West-Vergleichsdenken zu verharren, ermöglicht der geografisch-ideologische Schwerpunkt auf den ehemals sozialistischen Ländern inhaltlich tiefgehende und überraschende Antworten auf diese Fragen.

So zeigt die Schau anhand von elf "Designkapseln" mit Projekten aus dem öffentlichen und privaten Raum, wie Ideen im Dienst des Menschen zum Leitmotiv sozialistischen Designs wurden. Beteiligt waren unter der Leitung der Kuratorin Claudia Banz Institutionen und Kuratorenteams aus ganz Osteuropa: Tallinn, Vilnius, Warschau, Budapest, Prag, Brünn, Bratislava, Ljubljana, Zagreb und Kiew.

Die Illusion einer besseren Vergangenheit
 
Der Ausstellungsrundgang beginnt in der Ukraine. Wie ist es möglich, über die Entwicklung des Designs in einem Land, in dem Krieg herrscht, nachzudenken? Die Schau nähert sich diesem Problem auf Grundlage eines Materials: Glas. Die Fotografien ukrainischer Glasmalereien aus öffentlichen Gebäuden der Sowjetzeit wecken Assoziationen von Zerbrechlichkeit und lichter Durchlässigkeit. Zu sehen sind auch die futuristischen Bilder des in Kiew geborenen Künstlers Oleksandr Dubovyk, einem Pionier der Konzeptkunst in der Ukraine.

Das Schicksal seines Werks ist seit 2014, dem Jahr der russischen Annexion der Krim, unbekannt. Die Schau macht eindrücklich darauf aufmerksam, dass viele andere bedeutende Glaskunstwerke aus der Ukraine durch den russischen Angriffskrieg gefährdet oder bereits zerstört sind.

Mit ihrem Titel "Retrotopia" verweist die Schau auf das im Jahr 2017 posthum erschienene gleichnamige Buch von Zygmunt Bauman. Darin stellt der Philosoph die These auf, der heutige Mensch glaube nicht mehr an die Zukunft, sondern flüchte sich stattdessen in die Illusion einer einst besseren Vergangenheit. Dagegen standen die 1950er bis 1970er-Jahre zwischen Sputnik und Ölkrise offiziell ganz im Zeichen des Booms der Zukunftsorientierung. Das Schlüsselwort lautete Planung. In einer "Welt als Entwurf", wie es der Designer Otl Aicher formulierte, schien die Zukunft dank künstlicher Intelligenz, Kybernetik und Computerisierung kalkulierbar. Die Rechnung war klar: Technologischer Fortschritt gleich sozialer Wohlstand für alle.

Wenn Saturn staubsaugt

Als eines der berühmtesten Beispiele für technologischen Fortschritt aus dem Litauen der 1960er-Jahre zeigt die Schau den ikonischen Staubsauger namens "Saturnas". Der Entwurf für den farbenfrohen, kugelförmigen Mini-Satelliten ist sichtlich inspiriert von der Begeisterung für die Ästhetik des Weltraums. Er sollte die Hausarbeit erleichtern und Chruschtschows Versprechen einlösen, das er in der berühmten "Küchendebatte" von 1959 gab, nämlich "Amerika zu überholen und zu übertrumpfen".

Die Realität sah dagegen anders aus. Armut und Mangel der sowjetischen Wirtschaft spiegeln sich nicht nur in der Multifunktionalität des Staubsaugers – mit ihm sollte man nicht nur reinigen, sondern auch streichen und wässern können – sondern die Einzelteile wurden auch für die Produktion anderer Designobjekte weiterverwendet. So adaptierte Vytautas Čekanauskas das Gehäuse als Schirm für eine Kugelleuchte. Und der Architekt Aleksandras Aronas zweckentfremdete die metallene Staubsaugerhülle für seine dekorativen Raumteiler.

Auf unterhaltsame Weise furchteinflößend futuristisch ist auch der Anblick der "superfunktionalen Informations- und Kommunikationseinheit" aus den späten 1980er-Jahren, die die zentrale Kontrolle von Audio- und Videoinhalten miteinander verband, sowie der erste sowjetische Versuch, ein smartes Heimnetzwerk zu konstruieren. Die "Heim-Informations-Maschine" sollte dazu dienen, sperrige Computersysteme in modularen, rollbaren Containern zu verbergen.

Spaciger Kiosk in der Unendlichkeit

Das Prinzip des Modularen liegt vielen der präsentierten Einrichtungen und Designobjekte zugrunde. Mit dafür verantwortlich war das Konzept der "offenen Form", das der polnische Architekt und Künstler Oskar Hansen seit den 1950er-Jahren entwickelte. Im Westen weitgehend unbekannt, beeinflusste er als Lehrer an der Warschauer Akademie ganze Künstlergenerationen.

Hansen ging es darum, den Menschen zu ermöglichen, sich ihre Umgebung durch die Benutzung und Umdeutung architektonischer Strukturen selbst anzueignen. Modulare Objekte, wie das Kiosk-System des slowenischen Architekten und Designers Saša Mächtig aus den 1960er-Jahren, das auf Fotos zu betrachten ist, überführten diese Theorie der aktiven Partizipation ausgehend von Hansens offener Form in den urbanen Raum. Als flexible Mehrzweckstruktur konzipiert, konnte der spacige Kiosk in unzähligen Varianten ins Unendliche erweitert werden und prägte damals das Straßenbild osteuropäischer Städte.

Am Ende dieses aufschlussreichen wie unterhaltsamen Ausstellungsrundgangs führt der Weg erneut an den Fotografien der ukrainischen Glasmalereien vorbei. Die Kuratorin dieser Sektion, Polina Baitsym, schlägt vor, ausgehend von der Zähflüssigkeit von Glas, die der Bildung des Materials vorausgeht – als Symbol für Resilienz – über die (Wieder-)Herstellung von Orten menschlichen Miteinanders nachzudenken. Es ist ein tastender Moment der Hoffnung, die Zeit der Retrotopien und der Rückwärtsgewandtheit zu überwinden, der hier von diesem philosophischen Nachdenken über das Material Glas ausgeht. Die Produktion neuer Formen, im Denken wie im Design, wird daran beteiligt sein, den Weg dahin zu bereiten.