Kunststadt Wien

Chronik eines schrittweisen Shutdowns

Auch in Wien schlossen vergangene Woche nach und nach die Museen und Galerien. Ein Bericht von den letzten Eröffnungen der großen Kunststadt und die Frage: Wie geht es weiter?

Es ist die Zeit der Mikrogeschichte. Noch vor zehn Tagen wäre es undenkbar gewesen, dass in einer Kunststadt wie Wien aufgrund der Corona-Krise alle Museen, Galerien und Kunsthallen für unbestimmte Zeit zugesperrt würden. Am 8. März eröffnete mit einem ungewöhnlichen Sonntagstermin die erste Ausstellung des neuen Kuratorinnenteams WHW in der Kunsthalle Wien "... von Brot, Wein, Autos, Sicherheit und Frieden". Diese Eröffnung am Internationalen Frauentag war sehr gut besucht, es war allerdings das letzte solche Ereignis für eine ganze Weile. Der schrittweise Shutdown des Kunstbetriebs in Wien war dann von Tag zu Tag drastischer spürbar.

Nur zwei Tage später veranstaltete die renommierte Innenstadtgalerie Nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder eine vorangekündigte Führung in der Ausstellung "Tiefschlaf in der Stadt" mit der Künstlerin Luisa Kasalicky im exklusiven Rahmen von 30 Personen. Es waren weit weniger, als die zu diesem Zeitpunkt noch erlaubten hundert Personen für Indoor-Veranstaltungen vorgesehen hätten. Man grüßte ohne Bussibussi auf Abstand und freute sich dennoch, bekannte Gesichter zu sehen. Die Ausstellung war angesichts der Umstände gerade erst verlängert worden – was jetzt keine Rolle mehr spielt, weil die Galerie ohnehin geschlossen bleibt.

"Vor einer Woche hätte ich nicht gedacht, dass die Maßnahmen so rigoros sein werden" , sagt Rosemarie Schwarzwälder am Telefon, "aber jeder versteht das und wir müssen uns daran halten. Unsere Ausstellungen werden weiter ins Jahr verschoben – und die nächste der Künstlerin Jongsuk Yoon wird vielleicht nur virtuell zugänglich. Wir arbeiten gerade daran, unser Online-Angebot zu erweitern, damit wir die Galerie auch virtuell begehbar machen können."

Gerade noch in ein zwar nicht virtuelles, aber unwirklich scheinendes Zeitfenster passten die Ausstellungen, die nur zwei Tage später "eröffnet" wurden. Die Wiener Eschenbachgasse, ein Hotspot der bekanntesten Galerien der Stadt, bot ein gespenstisches Bild. Wo sonst vor jeder Tür Trauben von Leuten herumstehen, rauchen und Bier trinken, herrschte Stille. Mehrere Galerien hätten hier am 12. März eröffnen sollen, die umfassende Verordnung der Schließung aller öffentlichen Betriebe erfolgte zwar erst am Wochenende, aber einige hatten die Vernissagen abgesagt, die in Wien so beliebten Drinks wurden nicht gereicht, aber die Räumlichkeiten wurden zu den normalen Öffnungszeiten offen gehalten.

So stand der junge Wiener Maler Sebastian Koch bei Krobath fast allein und unterhielt sich mit den wenigen Besucherinnen, die an einer Hand abzuzählen waren. Die anderen Galerien hielten es ebenso. Etwas mehr Betrieb war in der Galerie Martin Janda, wo der Schweizer Künstler Roman Signer eine tolle Einzelpräsentation mit neuen Arbeiten zeigte. Hier war auch eine kleine Gruppe der "Freunde des Leopold-Museums"zugegen, die sich noch über die reale Präsenz Signers und dessen wie immer lakonische Erklärungen erfreuen durfte. Das wunderbare Video einer Fahrt in einem Kleinbus, in dem der Künstler mit Helm und Gesichtsmaske eine Drohne steuert, wird nun leider so schnell nicht mehr zu sehen sein. Es könnte so etwas wie eine Metapher für die momentane Situation des bewegten Stillstands sein.

Auch mit dem Galeristen Martin Janda konnte ich am Telefon sprechen. Welche Maßnahmen trifft er für die kommende Zeit? "Das Programm ändert sich im Moment nicht, wir warten ab, wie sich die Situation weiter entwickelt. Aber wir werden schnell reagieren können und nicht in Lethargie verfallen. Die Website und soziale Medien waren bisher schon ein wichtiges Tool unserer Arbeit, sodass wir auch dieses Angebot ausbauen werden." Aktuell haben alle Mitarbeiterinnen den Betrieb auf Homeoffice umgestellt und konferieren via Skype miteinander: "Das läuft problemlos", so Janda. Aber natürlich wird die nächste Zeit eine Herausforderung, in finanzieller Sicht, aber auch was den Betrieb allgemein betrifft: "Der Moment ist da, um die eigene Struktur zu überdenken – wie man agiert und in welchem Bereich man agiert. Hier arbeiten wir an neuen Modellen für die Zukunft. Gleichzeitig sind wir auch soziale Wesen, wir brauchen die persönliche Auseinandersetzung miteinander. Wir sitzen sehr viel Zeit unseres Lebens vor dem Computer, und ich glaube nicht, dass wir das soziale Leben so einfach ins Internet verlagern können."

Komplex sind die Anforderungen nicht nur für große Institutionen, wie das Kunsthistorische Museum, das wie viele andere internationale Museen, seine Werke vermehrt online stellt. Die Umstellung der Art Basel / Hong Kong auf das Web sei zwar eine gute Sache, aber niemand weiß noch, wie das tatsächlich genutzt werden wird und welche Verkäufe sich damit verbinden werden, meint Rosemarie Schwarzwälder: "Ich kann die nächsten Monate nicht voraussehen, das Wegbrechen der Messen ist im Moment das größte Problem. Da wird es finanziell Einbußen geben. Andererseits konnten wir gerade jetzt eine große Arbeit einer Künstlerin verkaufen, das zeigt auch, dass das Vertrauen der Kundinnen und Kunden weiterhin gegeben ist." Messen seien Treffpunkte, meint die langjährige Galeristin, "die reale Präsenz vor Ort kann nicht allein durch eine digitale Galerie im Internet ersetzt werden."

Ob und welche Konsequenzen wegen der jetzigen Lage zu befürchten sind, die vielleicht sogar Schließungen betreffen, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht gesagt werden. In Österreich hat die Regierung umfassende und unbürokratische Hilfe für die Kulturbetriebe und auch für die Kunstschaffenden versprochen. In diesem Paket sind Galerien, genauso wie kleine Einpersonen-Unternehmen und die freie Kunstszene eingeschlossen.