Film "Sisi & Ich"

Schicksalsjahre einer Dienerin

Frauke Finsterwalder und Christian Kracht haben einen bissigen Film über die österreichische Kaiserin Elisabeth und ihre Hofdame Irma geschaffen. Das Werk tappt nie in die Authentizitätsfalle - und rückt auch einige Sisi-Klischees gerade

Im Dienst der Kaiserin von Österreich muss man auf Zack sein. Dass Irma Sztáray gerade aus dem Boot gestiegen ist, interessiert niemanden, als die neue Hofdame auf der griechischen Insel Korfu schweißgebadet ankommt. Ein Glas Wasser wird ihr auch verwehrt. Stattdessen muss Irma erstmal ihre Fähigkeiten im Hürdenlauf unter Beweis stellen – unter den Augen von Elisabeth von Österreich-Ungarn, die den Neuzugang vorerst aus der Deckung begutachtet. Mit körperlicher Robustheit, Bildung und Witz nimmt Irma Sisi bald für sich ein.

"Sisi & Ich" ist die freie Adaption der Erinnerungen von Irma Gräfin Sztáray von Sztára und Nagy-Mihály, der letzten Hofdame der Kaiserin, die auch Zeugin des Attentats auf Elisabeth war, bei dem die Kaiserin am 10. September 1898 am Genfersee tödlich verwundet wurde. In dem von der Regisseurin Frauke Finsterwalder und ihrem Mann Christian Kracht gemeinsam geschriebenen Drehbuch wird die Szene nicht ausgelassen. Doch "Sisi & Ich" ist erst einmal alles andere als ein schwermütiger Film. Das Duo erzählt die Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen. Zugleich gestalten sie die Éducation sentimentale der Zentralfigur Irma, die sich unter dem Einfluss ihrer kaiserlichen Freundin von ihrer rigiden bis bösartigen Mutter emanzipiert und zu einer selbstbestimmten Frau reift.

Wie bei ihrem vorherigen (und ersten) Spielfilm "Finsterworld" arbeitete Finsterwalder wieder mit Sandra Hüller zusammen, die Irmas Entwicklung von der Dienerin zur intimen Vertrauten eindrücklich nachvollzieht. Zwischen Hüller und der zwischen Strenge, innerer Kraft, kindlicher Hilflosigkeit und Ausgelassenheit pendelnden, ja launenhaften Kaiserin von Susanne Wolff stimmt die Chemie. Wer überhaupt könnte die vermutlich charismatischste Frau ihrer Zeit besser verkörpern als Wolff, der die Wechsel zwischen Komödie und Tragik spielend gelingen? Über die Protagonistinnen hinaus ist der Film bis in die kleinsten Rollen glänzend besetzt; hervorragend noch Georg Friedrich als Sisis schwuler Schwager Viktor.

Kinder werden einfach entsorgt

"Sisi & Ich" beginnt als Satire auf vergleichbare Historienfilme, wobei Finsterwalder – ähnlich wie Sophia Coppola ("Marie Antoinette") oder Yorgos Lanthimos ("The Favourite – Intrigen und Irrsinn") – niemals auch nur in die Nähe der Authentizitäts-Falle gerät. Von der Tonspur erklingt überwiegend Popmusik, die großartigen Kostüme von Tanja Hauser kreuzen Gründerzeit mit heutiger Mode. Der Film gibt sich keine Mühe, dem Publikum eine Teilhabe am Schicksal der wirklichen Elisabeth vorzugaukeln.

Wo Georg Marischkas unsägliche "Sissi"-Filme mit Romy Schneider die Kaiserin auch als Mutter zeigen, lässt Finsterwalder diese Rolle einfach weg – das Thema wird mit einem knappen Satz entsorgt: "Kinder sind der Fluch der Frauen. Erst sieht man aus wie ein gestrandeter Walfisch – und dann ist man alt", hören wir Sisi sagen. Der Suizid ihres Sohnes, des Kronprinzen Rudolf, ein schwerer Schlag für die echte Kaiserin, von dem sie sich kaum erholte, wird ausgelassen.

Mit oft beißendem Humor, großem Einfühlungsvermögen und Einbildungskraft erzählen Finsterwalder und Kracht eine Geschichte, deren (aus der Historie bekannte) Figuren sich auf häufig unerwartete Weise verhalten – und schon gar nicht so, wie Romy Schneider und Karlheinz Böhm es in den 1950ern vorführten (und sich später ausgiebig dafür schämten).

Ein Film mit vielen Facetten

Elisabeths historisch verbriefter Schlankheitskult – heute würde man die Kaiserin wohl als "magersüchtig" bezeichnen – wird im Film als Widerstand gegen die gefräßige Mutter (Angela Winkler als Ludovika von Bayern) interpretiert. Ihr Mann Kaiser Franz Joseph (Markus Schleinzer) ist im Film ein kleingeistiger Schwächling mit (ausführlich geschilderter) Verstopfung, dessen Versuch, Elisabeth mit sexueller Gewalt an sich zu binden, kläglich scheitert.

Solange Sisi, Irma und der reisende Hofstaat in Europa unterwegs sind – von Korfu nach Algier, später nach England, wo Finsterwalder ein köstliches Treffen mit Queen Victoria und ihrem indischen Vertrauten Abdul Karim (siehe Stephen Frears’ "Victoria & Abdul") einfügt – kann die Kaiserin ihr libertäres Dasein genießen. Sobald sie nach Wien zurückbeordert wird, ist mit der persönlichen Freiheit auch ihr Lebenswille geschrumpft.

Auf die letzten Meter verdüstert sich die Geschichte. "Sisi & Ich" ist ein Film mit vielen Facetten, der sich vor Marie Kreutzers 2022 erschienenem Sisi-Film "Corsage" (nun aufgrund eines Kinderpornographie-Falles, in den ein Darsteller verwickelt ist, im Archiv verschwunden) nicht verstecken muss. Dass Finsterwalders Werk zwar auf der Berlinale lief, aber nicht im Wettbewerb, ist im Hinblick auf die insgesamt schwächere Bärenkonkurrenz im vergangenen Februar unverständlich.