Abbau des Taring-Padi-Werks in Kassel

We Really Need To Talk

Die heftig umstrittene Banner-Installation auf der Documenta in Kassel wird abgebaut. Es ist der Versuch einer Lösung in einer Lage, in der es keine guten Alternativen mehr gibt. Doch die Debatte darf damit nicht enden 

Es war eine fast gespenstische Stimmung am Montagabend auf dem Kasseler Friedrichsplatz. Zwischen den vom Regen ziemlich lädierten Pappaufstellern von Taring Padi kamen gegen 20 Uhr immer mehr Menschen auf dem Rasen vor der Documenta-Halle zusammen. Einige wurden aus den inzwischen geschlossenen Ausstellungsorten der Weltkunstausstellung gespült, andere hatten aus den Medien vom Antisemitismus-Eklat um ein Banner des indonesischen Künstlerkollektivs gehört und wollten sich das Wimmelbild noch einmal vor Ort ansehen.

Überwiegend schweigend schaute die Menge, darunter auch Vertreter des Kuratorenteams Ruangrupa, dabei zu, wie ein Mann in Schwarz auf dem Gerüst herumkletterte, an dem das Kunstwerk befestigt ist. Eine nach der anderen fielen drei Stoffbahnen von oben auf das meterhohe Gemälde von Taring Padi herab. Zum Schluss erinnerte die Installation an einen dunklen Altar mit drei Flügeln. Aus der Menge ist kurzeitig zustimmendes Gemurmel zu hören. Einmal zerreißt eine einzelne, aber ziemlich laute Männerstimme die Stille: "Zensur!"

Dass auf dem Werk "People’s Justice" von 2002 antisemitische Stereotypen wie ein Soldat mit Schweinegesicht und Davidstern und eine Figur mit Schläfenlocken und SS-Runen auf dem Hut dargestellt sind, ist so ziemlich das Schlimmste, was der Documenta Fifteen hätte passieren können. Die Vorurteile, die Ruangrupa und ihrem Fokus auf den globalen Süden im Vorfeld entgegenschlugen, scheinen bestätigt. Der Eindruck, dass sich die Organisatoren für marginalisierte Menschen weltweit einsetzen, ihnen die Belange von Juden und Jüdinnen jedoch weniger wichtig sind, ist verheerend. Wie Hessens Kunstministerin Angela Dorn (Die Grünen) bereits bemerkt hat: Der entstandene Schaden ist nicht zu relativieren. Nun wurde entschieden, das Werk ganz abzubauen.

Nicht die Urheber entscheiden, was verletzend ist

Zwar gibt es tatsächlich Anhaltspunkte, die die Argumentation von Taring Padi stützen, das 20 Jahre alte Bild habe keine antisemitische Absicht. Auf dem Banner, das in stark polemischer Weise den Kampf der indonesischen Bevölkerung gegen den militaristischen Westen darstellt, werden alle angegriffen. Auch ein US-amerikanischer Soldat und ein katholischer Kardinal werden als Schweine dargestellt, die Dämonisierung einer korrupten Elite kommt aus der Erfahrung der Gräuel während der indonesischen Militärdiktatur unter General Suharto, die teilweise von westlichen Staaten während des Kalten Krieges unterstützt wurde. Außerdem ist es gut möglich, dass das riesige Werk nicht nur als plumper Agit-Prop, sondern auch als Karikatur auf Verschwörungstheorien gelesen werden kann. So gibt es auf einem Flügel des Bildes eine "Propaganda Box", die eine ganze Reihe von neuen gefügigen Figuren produziert. In der Reihe der Soldaten marschiert auch der fiktive Agent James Bond mit.

Doch keine Bildbetrachtung kann die Tatsache ausräumen, dass hier antisemitische Stereotypen bedient werden, die so nicht gezeigt werden dürfen. In ihrer Stellungnahme versuchen Taring Padi nicht einmal, die Schläfenlocken-Figur mit den SS-Runen wegzuargumentieren. Außerdem gilt bei Diskriminierung, dass nicht die Urheber entscheiden, was verletzend und grenzüberschreitend ist. Wie unter anderem jüdische Vertreter und Holocaust-Überlebende die Karikaturen auffassen, ist ausschlaggebend.

Insofern war es absolut nötig für die Documenta zu handeln, und auch die Entschuldigung von Taring Padi war überfällig. Ob der Abbau des Werkes die richtige Schlussfolgerung ist, lässt sich jedoch diskutieren.

Eine Lösung, wenn es keine gute Lösung mehr gibt

Vielleicht hätte das verhüllte Banner an zentraler Stelle tatsächlich erst recht Aufmerksamkeit auf sich gezogen, wie einige Beobachter befürchtet haben, und wäre eine Art textiler Elefant im Kasseler Stadtraum geworden. Wie Taring Padi in ihrer Stellungnahme schreiben, sollte die verdeckte Kunst für sie ein "Denkmal der Trauer über die Unmöglichkeit des Dialogs in diesem Moment" sein. Wessen Trauer hier gemeint war, blieb jedoch offen, und auch die eigene Verantwortung der Documenta wurde so nicht angesprochen.

Doch das Entfernen des Werks ist ebenfalls nicht unproblematisch – besonders, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass ein großer Teil der Documenta-Kollektive aus Ländern kommt, in denen es Zensur gibt. Nur ein paar Meter weiter erinnert das kubanische Kollektiv Instar in der Documenta-Halle an Künstlerinnen und Künstler, die aus der Öffentlichkeit verbannt wurden. Auch wenn die Situationen natürlich nicht vergleichbar sind, ist die Entfernung von Kunst immer heikel und schmerzhaft. Der Abbau des Werkes, der noch am heutigen Dienstag passieren soll, ist nun also der Versuch einer Lösung in einer Lage, in der es keine guten Alternativen mehr gibt.

Taring Padi hatten die Hoffnung geäußert, dass das verhüllte Mahnmal die Chance für einen neuen Dialog bieten würde, und auch das Internationale Auschwitz Komitee äußerte sich ähnlich. Das muss nun ohne den materiellen Anlass auf dem Friedrichsplatz geschehen. Um es mit dem Titel der geplanten und dann abgesagten Documenta-Diskussionsreihe zu sagen: We really need to talk.

Lokalen Kontext gibt es auch hier

Dass sich die Debatte schon im Vorfeld der Weltkunstschau extrem verhärtet hat, lag sicher auch daran, dass irgendwann – ganz entgegen des kommunikativen Lumbung-Prinzips – nur noch Anschuldigungen in offenen Briefen ausgetauscht wurden. Um wieder ein Gespräch zu ermöglichen, müssen sowohl die Documenta als auch Teile der deutschen Öffentlichkeit verbal abrüsten und Selbstkritik zulassen.

Natürlich ist es nicht die Aufgabe von Ruangrupa, die deutsche Vergangenheit aufzuarbeiten. Und Künstlerinnen und Künstler, die unter den Folgen des Kolonialismus leiden, müssen in ihrer Kritik am Westen nicht diplomatisch sein. Doch wenn die Kuratoren in ihrer Ausstellung immer wieder Einfühlung in die lokalen Kontexte der beteiligten Kollektive einfordern, können Sie die Tatsache der Shoah in Deutschland nicht ausklammern. Auch der Fokus auf Kollektive hebelt nicht die Verantwortung der faktischen Leitung für die Inhalte ihrer Ausstellung aus. Wie unter anderem der Direktor des Documenta-Instituts Heinz Bude ausgeführt hat, haben sich Ruangrupa auf eine Diskussion über den Kontext ihrer Documenta nicht wirklich eingelassen. Das Ganze auf externe Experten auszulagern, wie es für die Reihe "We Need To Talk" geplant war, wird nicht funktionieren.  

Andererseits kann man aber auch von der Öffentlichkeit Differenzierung erwarten. Dass antisemitische Motive auf der Documenta Fifteen aufgetaucht sind, muss auf jeden Fall aufgearbeitet werden. Es heißt aber nicht, dass alle Vorverurteilungen zur vermeintlichen BDS-Nähe und einem vermuteten Boykott von Israelis gerechtfertigt waren. Ruangrupa und ihren Kollektiven wurde zum Teil Unrecht getan, und der Fall Taring Padi bedeutet nicht, dass die ganze Weltkunstschau antisemitisch gefärbt ist. Auf der Documenta werden gerade Fragen behandelt, die weit über eine Kunstausstellung hinausgehen. Umso wichtiger ist es, genau hinzuschauen.

Monopol-Chefredakteurin Elke Buhr hat über das Thema mit Detektor FM gesprochen, hier können Sie den Beitrag nachhören, wenn Sie auf "Inhalte aktivieren" klicken: