Pavillon von Thomas Demand

"Können Sie daraus Architektur machen?"

Der Künstler Thomas Demand ist vor allem für seine Fotos von Papiermodellen bekannt. Nun hat er erstmals ein Gebäude entworfen. Auch der Pavillon "Tripple Folly" im dänischen Ebeltoft basiert auf verspielten Faltungen

Aus der Distanz ist das Bauwerk auf einer Anhöhe in der dänischen Dünenlandschaft in seiner komplexen Form, Struktur und Funktion nicht näher zu bestimmen. Allein die leuchtend blauviolette Fassade eines zylindrisch wirkenden Gebäudes sticht ins Auge. Erst beim Nähertreten und Umschreiten des Gesamtkomplexes gibt sich nach und nach die ungewöhnliche Hybridgestalt der Architektur zu erkennen.

Drei eigenständige Bauteile sind mit- oder ineinander verschachtelt. Der mächtigste Baukörper hat allerdings keine zylindrische, sondern vielmehr eine elliptische, lanzettförmige Gestalt. Das weit überstehende Dach des unmittelbar benachbarten kleinen Rundbaus schneidet auf der einen Seite in ungefähr halber Höhe seitlich in die Fassade des großen Nachbarn ein und schlüpft auf der Gegenseite unter das geschwungene Dach eines rundum verglasten kastenförmigen Baus.

Drei unterschiedliche Grundrisse kennzeichnen das Verbundgebäude, das Thomas Demand in Ebeltoft nahe Aarhus im Landschaftsgarten des international renommierten Textilherstellers Kvadrat (Werbeslogan: "the world’s finest textiles") aufgeführt hat. Es ist das allererste veritable Bauwerk des Künstlers, dessen Metier bekanntlich die bildende Kunst, dessen Fach die Bildhauerei, dessen Material Papier und Pappe, dessen Medien die Fotografie (und der Film) und dessen Motive vorwiegend fotografisch dokumentierte Ereignisorte - oft politisch profilierte Innenräume – sind.

Wechselseitiges Interesse am Metier des jeweils anderen

Demand übersetzt ein vorgefundenes fotografisches Sujet in die dritte Dimension seiner Papiermodelle, um sie anschließend wieder zurück in ein flaches, zweidimensionales Bild zu transformieren. Der plastische Modellbau ist Demand somit bestens vertraut, allerdings stellt dieser künstlerische Prozess nur ein Durchgangsstadium dar, denn die architektonischen Skulpturen werden, nachdem sie fotografisch fixiert sind, in der Regel wieder zerstört. Ihr Nachleben findet nur im Bild statt.

Dass es einen "Modellbau"-Künstler reizen könnte, seine Prototypen einmal nicht nur in Papier und Pappe, sondern in dauerhaften Materialien, darunter (Fiber-)Glas und Stahl, auszuführen, muss Anders Byriel, Kvadrat-Geschäftsführer, geahnt haben, als er Thomas Demand im Jahr 2017 carte blanche für ein Projekt im weitläufigen Parkgelände seiner Firma gab. Die beiden Protagonisten hatten bis dahin schon häufiger zusammengearbeitet, vorwiegend im Kontext von Ausstellungen.

Erinnert sei nur an Demands Retrospektive in der Berliner Nationalgalerie 2009. Der Mies van der Rohe-Bau war durch riesige, farblich fein abgestimmte Vorhänge untergliedert. Vor diesen textilen Wänden schwebten die Demand-Bilder, wie von Geisterhand getragen. Das Foyer des Glasbaus wurde zum intimen Innenraum für die Trompe-l’oeil-Interieurs des Künstlers. Weitere Kooperationen gingen voraus und folgten nach, getragen von einem wechselseitigen Interesse am Metier des jeweils anderen und schließlich von Freundschaft.

Eine schlichte Augenweide

Thomas Demand hat Byriels Vorschlag binnen kurzem aufgegriffen. Eine Skulptur zu schaffen, wie dies Olafur Eliasson oder Roman Signer für eben diesen weiträumigen Flecken getan haben, der zu beiden Seiten einen Blick aufs Meer gestattet und zugleich Weidelandschaft für Schafe ist, kam für ihn allerdings nicht in Frage. Als erstes kam der Gedanke an ein Zelt auf, eine textile Behausung und eine architektonische Urform. Vom Zelt als fliegendem Bau führte der Weg allerdings bald zu einer feststehenden Architektur.

Die Inspiration für den Typus und Charakter lieferte die englische Gartenkunst des 18. Jahrhunderts, die den bereits aus der Renaissance herrührenden Zierbau namens Folly kennt – ein auffälliges Bauwerk von ungewöhnlicher Gestalt und "in extravaganter Ausführung", wie es bei Wikipedia heißt, meist ohne praktischen Nutzen, vielmehr eine schlichte Augenweide.

Demand hat sich mit der Kunst- und Architekturgeschichte dieses Bautyps auseinandergesetzt und schließlich, wie zufällig, auch die für ihn gemäße exzentrische Form in drei zu synthetisierenden Papierobjekten des Alltags gefunden: ein Bogen liniertes Schreibpapier im amerikanischen Legal-Format, ein am Rand geriffelter Speisepappteller sowie ein schiffchenartig gefalteter Papierhut, wie er in den USA als Kopfbedeckung für Soda- oder Eisverkäufer als Markenzeichen üblich war. Diese Trias hat die drei Grundformen der Baukörper beziehungsweise ihrer Dachformen geliefert.

Wohnzimmer mit Trockel-Werk

Jetzt galt es nur noch, die aus Papier im Kleinstformat gefertigten Modelle einzuscannen, in CAD-Dateien umzuwandeln und ein Studio zu finden, dass die Vorlage in Architektur umsetzen konnte. "Can you make this into architecture?" Diese kurze Frage hat Demand an das Londoner Büro Caruso St. John gerichtet, mit dem der Künstler ebenfalls bereits mehrfach zusammengearbeitet hatte. Nicht zuletzt bei dem 2010 schließlich am Votum der Öffentlichkeit gescheiterten "Nagelhaus"-Projekt, das zuvor den Wettbewerb zur Umgestaltung des Escher Weiss-Platzes in Zürich gewonnen hatte.

Adam Caruso nahm sich mit seinem Team des neuen Projektes an, das alsbald den Titel "The Triple Folly" trug, und prüfte alle Fragen, die sich aus dem ungewöhnlichen Auftrag ergaben. Hernach machte er sich mit seinem Team ans Werk. Wichtig noch zu erwähnen, dass es die ehrgeizige Ambition des Künstlers war, alle relevanten Details nicht nur des Außenbereichs, sondern auch der Inneneinrichtung zu entwerfen: demnach sämtliche Türen samt Klinken, die Tische für den als Konferenzraum gedachten gläsernen Pavillon unter dem von zarten Säulen getragenen Papierbogendach, den Büffettisch und das zugehörige Schranksystem unter dem Papierteller-Schirm sowie die Ausgestaltung des als living room und concert room zu nutzenden Hut-Gebäudeteils mit spitzovalem Grundriss und großem Panoramafenster. Nicht zu vergessen, die in Bronze gefertigten, fahlgelben Stühle, die wie zufällig verteilt, aber im Boden fest verankert die drei Pavillons an der Außenseite ringsum begleiten.

Selbst am Notausgang steht als ebenso praktische Stütze wie witzige Pointe ein Stuhl unverrückbar bereit, um darauf bei Gefahr aus dem Schiffmützen-Haus auszusteigen. Um den Bau als Gestalter nicht völlig allein zu bespielen, hat Demand dem sogenannten Wohnraum eine fünf Meter hohe und 80 Zentimeter tiefe Wollfäden-Arbeit von Rosemarie Trockel eingepasst. Sie trägt den Titel "Yes but", ist 2006 für die Trockel-Retrospektive im Kölner Museum Ludwig entstanden und später von Kvadrat angekauft worden.

Künstler als Mitarbeiter

Mit dieser massiven textilen Wand, die zugleich wie ein Türvorhang fungiert, den man beim Eintreten mit den Händen zerteilt, wird dem Textilunternehmen die Reverenz erwiesen. Im Übrigen fehlt jeder unmittelbare Bezug zum Auftraggeber, der kein üblicher Bauherr mit Vorgaben, sondern eher der Finanzier eines aufwendigen und kostenintensiven künstlerischen Projektes war, für das Demand in allen Teilen freie Hand hatte. Selbst die Nutzung des Gebäudes war nicht vorgeschrieben.

Entstanden ist am Ende freilich ein ungemein gut zu bespielender Triple-Pavillon, der als Rückzugsort in der etwas entfernten Nachbarschaft des Hauptgebäudes der Firmenzentrale zu Konferenzen und Besprechungen, Veranstaltungen und Empfängen einlädt. Wer das weltweit operierende Unternehmen Kvadrat nicht kennt, sei an dieser Stelle nur daran erinnert, dass beispielsweise die Polstersessel des Deutschen Bundestags in der Farbe "Reichstagsblau" von den Architekten Foster + Partners in Dänemark bestellt wurden; auch die textilen Akustik-Paneele, Vorhänge und Sitzpolster der Hamburger Elbphilharmonie stammen aus dieser Quelle.

Und Thomas Demand ist ein Künstler unter vielen anderen, die als "Kvadrat Artists" auf der Website geführt werden. Die Zusammenarbeit mit führenden Designern und namhaften Künstlerinnen, darunter auch Pipilotti Rist oder eben Rosemarie Trockel, gehört zum Selbstverständnis eines Unternehmens, das, 1968 gegründet, neben höchster Materialqualität auf die exquisite Farbgestaltung als zentralen ästhetischen Faktor seiner Textilkunst setzt.

Inspirierende Detailverliebtheit jenseits von Funktionalität

Thomas Demand versteht seinen Erstlingsbau, der dem Selbstverständnis des Künstlers nach in seinem Oeuvre eigentlich auch als Solitär bestehen bleiben soll, als einen Zwitter aus Skulptur und Architektur. Insofern bleibt er mit dem "Triple Folly" seinem Beruf als Bildhauer treu. Auf die Frage an Adam Caruso, ob es sich bei den Demandschen Pavillons eher um Kunst als Architektur oder Architektur als Kunst handele, hat der Befragte sich klar für die erste Variante ausgesprochen. Man erkenne dies deutlich am spielerischen Charakter des Baus, der eine inspirierte Detailverliebtheit auch jenseits von Funktionalität vor Augen stelle, wie sie für Architekten eher ungewöhnlich sei.

Neben dem Zierbau eines Folly existiert in der Geschichte der Gartenkunst auch der auf Karl Friedrich Schinkel zurückgehende Bautyp der "Neugierde", ein prächtig ausgestattetes Gartenhaus, das einen panoramatischen Blick in die umliegende Landschaft gestattet. Auch in diese Tradition lässt sich Demands Bauskulptur stellen und somit ließe sich eine Brücke von Schloss Glienicke und Berlin Richtung Norden und hin zum idyllischen Hafenort Ebeltoft an der Ostsee schlagen.

Nach Voranmeldung kann der Kvadrat-Park besucht und können dort die Arbeiten von Roman Signer ("House", 2016), Olafur Eliasson und Günther Vogt ("Your Glacial Expectations", 2012) besichtigt werden - und jetzt auch Demands Triple-Pavillon.