Ulysses Jenkins in Berlin

Was kann Schwarze Kunst sein?

Ulysses Jenkins hat Videokunst geschaffen, die der weißen Mehrheitsgesellschaft etwas entgegen setzen sollte - und damit den Weg bereitet für Künstler wie Arthur Jafa oder Kahlil Joseph. Jetzt ist das erstaunliche Werk des Kaliforniers in Berlin zu sehen

Ulysses Jenkins ist noch Student am Otis College of Art and Design in Los Angeles, als er mit einer bemerkenswerten Performance Kunstgeschichte schreibt. In der fotografisch dokumentierten Aktion "Just Another Rendering of the Same Old Problem" von 1979 sitzt er erst lesend in seiner Küche, dann beginnt er aufgebracht, sich auszuziehen,  bis er nichts mehr trägt als ein paar glänzende Boxershorts und Klebestreifen auf den Brustwarzen. Auf dem Tisch steht nicht nur ein Fernsehgerät, sondern auch ein weißer Dildo, dem er ein Blackface verpasst hat. Dann zieht er eine Pistole und zielt auf das rassistisch angemalte Sexspielzeug – und damit auf das Klischee Schwarzer Männlichkeit, mit dem ihn die Gesellschaft, in der er lebt, so unglaublich frustriert.

Ein Jahr vorher hatte er bereits in einem Video ein eindringliches Bild dafür geschaffen, dass er als Schwarzer in einer Kultur lebt, die Menschen wie ihn in verächtlichen Zerrbildern zeigt: In "Mass of Images" sitzt er mit Sonnenbrille auf der Nase und einer seltsamen Schüssel über den Kopf vor einem Turm aus Fernsehern, dazwischen sind Bilder von Blackfacing und anderen rassistischen Darstellungen aus Hollywoodfilmen geschnitten. Irgendwann schickt er sich an, die Fernseher mit einem Hammer zu zerschlagen – aber er hält inne. Das Klischee der Aggressors erfüllt er nicht.

In den Jahrzehnten danach hat Jenkins ein Werk geschaffen, das der weißen Mehrheitsgesellschaft etwas entgegen setzen sollte: in seiner speziellen Ästhetik, in seinen dezidiert Schwarzen Inhalten. Der Mainstream hat ihn, wie viele Schwarze Künstler seiner Generation, dafür mit Missachtung gestraft. Die Ausstellung, die jetzt vom kalifornischen Hammer Museum in die Julia Stoschek Foundation in Berlin weitergezogen ist, ist Jenkins' erste Einzelausstellung überhaupt.

Eine doppelt randständige Position

In den 1970er- und 1980er-Jahren war Jenkins ein wichtiger Teil der Schwarzen Künstlerszene von Los Angeles, arbeitete mit David Hammons und Senga Nengudi. In der Ausstellung ist auch ein frühes Video von einer Performance mit dem später als Maler berühmt gewordenen Kerry James Marshall zu sehen. Jenkins entschied sich früh, beim Video zu bleiben, auch wenn er ständig unter Ressourcenknappheit litt: Teilweise dauerte es Jahre, bis er an Technik und Schnittzeit kam, um seine Videos fertig zu stellen.

Was kann Schwarze Kunst sein? Das ist ein Thema, das Jenkins in einem Gespräch mit David Hammons behandelt, das in einem Video dokumentiert ist. In der Musik, so Hammons, gebe es eine lange und eigenständige Schwarze Tradition – in der Kunst müsse sie sich erst entwickeln. In seinen Videos gibt Jenkins eine erste Antwort, mit wilden Collagen aus neu gedrehtem Material und Found Footage, mit einem psychedelischen, musikvideohaften Stil, auf den sich Künstler wie Arthur Jafa oder Kahlil Joseph heute berufen können. Jenkins nutzt dafür gerne das Wort "Doggerel" – literaturhistorisch ein Reim, der nicht rund läuft und eine groteske Komik erzeugt. Das, so meinte Jenkins, würde zu einer Künstlerposition voller Bescheidenheit und Selbstironie passen, die doppelt vom Rand her agiert: Schwarz und in LA, abseits vom Kunstzentrum New York.

Jenkins und seine Mitstreiter und Mitstreiterinnen – er arbeitete vorzugsweise kollaborativ – suchten Bilder für Erzählungen der afrikanischen Diaspora und interessierten sich dezidiert für die nicht westlichen Länder, die im weißen Mainstream nicht beachtet wurden: 1985 inszenierte sich Jenkins für ein Musikvideo als der gerade ermordete ägyptische Präsident Sadat, immer wieder nahm er die Position eines "Video Griot" ein, als moderne Adaption des klassischen afrikanischen Geschichtenerzählers.

Ein Glücksfall

Seit den 1980er-Jahren hatte Jenkins Anstellungen und Lehraufträge an kalifornischen Universitäten und konnte weiter mit der Technologie experimentieren, deren emanzipatorisches Potential für ihn immer im Vordergrund stand. Jüngstes Werk der Ausstellung ist die Aufnahme einer Live-Schalte, die er 1992 auf der Documenta IX zeigte. In einer pixeligen, anarchischen Jam Session übertrug er Auftritte der Othervisions Art Band aus Santa Monica nach Kassel.

Die großen, gut produzierten Filminstallationen, die technische Perfektion musste Ulysses Jenkins denen überlassen, die nach ihm kamen. Ihm bleibt die Rolle des Pioniers. Erfindungsdrang und Innovationskraft, Lust an Bild, Sound, Party und Gemeinschaft, gepaart mit politischer Wut, das ist der Treibstoff seines erstaunlichen Werkes – ein Glücksfall, dass es jetzt in Berlin umfassend gezeigt wird.