Viktor & Rolf in München

Ist das noch Mode oder schon Kunst?

Es anders machen als die anderen: Das niederländische Designer-Duo Viktor & Rolf hat keine Angst vor Kitsch, Rüschen und großen Gesten. Nun sind seine polarisienden "Mehr-ist-mehr"-Entwürfe in der Kunsthalle München zu sehen

Ist das noch Mode oder schon Kunst? Diese Frage steht im Zentrum der Arbeit des Designer-Duos Viktor & Rolf. Nach Ausstellungen zu den Couturiers Jean Paul Gaultier und Thierry Mugler zeigt die Kunsthalle München nun mit "Viktor & Rolf - Fashion Statements" die erste Einzelausstellung über die niederländischen Modeschöpfer in Deutschland. Neben ihren Kleidern, Skizzen, Installationen und Videos der Runway-Shows sind auch die beiden Künstler selbst in der Ausstellung präsent. Durch den Audio-Guide erzählen sie von Beweggründen zu einzelnen Kollektionen und plaudern anekdotisch über die Hintergründe ihrer Ideen.

Viktor Horsting und Rolf Snoere lernten sich während ihres Modestudiums an der Kunstakademie in Arnheim kennen, 1993 gründeten sie ihr gemeinsames Fashion-Label. Seitdem haben sie über 80 Damenkollektionen realisiert. Schon das erste Exponat der Münchner Retrospektive setzt den Ton für das, Viktor & Rolf wollen: Es anders machen als die anderen.

Zu sehen ist ein blaues Tüllkleid aus der Haute-Couture-Kollektion "Late Stage Capitalism Waltz" von 2023. Anstatt dass der voluminöse Rock von der Hüfte abwärts fällt, steht er verkehrt herum nach oben und verdeckt den Kopf der Puppe, der Unterkörper wird nur von einem langen Korsett bedeckt. Auch in ihrem ehemaligen Flagship-Store im Quadrilatero d'Oro in Mailand nutzte das Duo schon das Konzept des "Upside down" und stellte die neoklassizistische Einrichtung des Geschäfts auf den Kopf.

Modekünstler statt Modedesigner

Häufig spielen Viktor & Rolf, die sich als Fashion-Artists und nicht als Fashion-Designer bezeichnen, modisch auf Kunst an. So ist eine Installation zu sehen, bei der ein Stück Stoff drei Bilderrahmen verbindet, die an der Wand hängen. Direkt daneben ist ein ähnliches Ensemble zu sehen, dieses Mal als Kleid auf einer Puppe drapiert. 

Im ersten Raum sind alle Stücke in Weiß gehalten, darunter ein Mantel, aus dem in popartiger Schrift das Wort "No" heraussteht, und eine Robe, die an eine Bettdecke erinnert und am Kragen mit zwei Kissen verziert ist. Prominent präsentiert ist das Hochzeitskleid, das Prinzessin Mabel van Oranje-Nassau bei ihrer Hochzeit mit dem zweiten Sohn der damaligen Königin Beatrix der Niederlande im Jahr 2004 trug. Die Satinrobe mit meterlanger Schleppe wird von hunderten Schleifen geschmückt.

Im Fokus der Arbeit des Duos liegt die Haute-Couture. Anders als in der sogenannten "Ready to wear"-Mode, die in großen Mengen industriell hergestellt wird, werden diese besonders raffinierten Entwürfe in der Regel als maßangefertigte Einzelstücke mit viel Handarbeit hergestellt. Neben den gezeigten Outfits sind aber auch Fotografien und Installationen Teil der Ausstellung. Mit den Fotografen Inez van Lamsweerde und Vinoodh Matadin, die bereits viele Kampagnen für Viktor & Rolf umgesetzt haben, verbindet sie eine langjährige Zusammenarbeit.  

Lebende Puppe auf dem Laufsteg

Nicht nur innerhalb ihrer modischen Kreationen, sondern auch in der Präsentation legen Viktor & Rolf Wert auf künstlerische Darstellungsformen. Besonders populär wurde ihre Schau "Matrjoschka" zur Kollektion "Russian Doll" (1999/2000), bei der die Modeschöpfer erstmals selbst auftraten. 

Um ihre Kollektion zu zeigen, die nur aus neun Outfits bestand, verwandelten sie das Model Maggie Rizer in eine lebende Puppe, die sich kaum bewegte und auf einer Drehscheibe stehend live eingekleidet wurde. Die einzelnen Teile schichteten sie dabei so übereinander, dass Rizer zum Ende der Show mit 70 Kilogramm Stoff behängt war. Die abwertende "Nutzung" eines Models als lebendigen Kleiderständer drängt sich bei dieser Form aus heutiger Sicht unangenehm auf.

Viktor & Rolf inszenieren sich seit diesem Zeitpunkt gezielt selbst, tragen die gleiche Brille und fast identische Outfits, so als wären die beiden Künstler eigentlich nur eine Person. Sie erzählen, dass das Konzept zur "Matrjoschka"-Schau", die wegweisend für ihre späteren Präsentationen werden sollte, ursprünglich aus der Not geboren war. Nur ein Model zu buchen hing auch mit finanziellen Engpässen zusammen.

Tüllkleider in rebellischem Design

Puppen tauchen in der Ausstellung in der Kunsthalle gleich mehrfach auf. Nicht nur an klassischen Kleidermannequins wird ihre Mode präsentiert, sondern auch an kleineren Modellen aus Pappmaschee und Porzellan, die an viktorianische Zeiten erinnern. Mit echtem Menschenhaar auf den Köpfen tragen die kleinen Puppen Miniatur-Versionen einzelner Kleidungsstücke. Detailgetreu werden Frisuren, Schuhe, Accessoires, Schnitte und Stickereien nachgeformt. 

Seit 2006 gibt es aus jeder Kollektion ein Stück in Puppengröße, die zuweilen fast gruselig präsentierten Figuren bilden ein plastisches Archiv der Arbeiten. Inspiriert ist diese Form vom "Théâtre de la Mode", einer Wanderausstellung, mit der gegen Ende des Zweiten Weltkrieges durch Miniatur-Versionen für französische Mode geworben wurde.

In ihren Original-Dimensionen sind dagegen zahlreiche Stücke der Kollektion "Fashion Statements" aus dem Frühjahr/Sommer 2019 zu sehen. Der Raum erinnert an einen Ballsaal, an den Decken hängen Kronleuchter, die Wände sind verspiegelt, es läuft klassische Streichermusik, die Kleider sind auf Drehschreiben inszeniert und wirken, als würden sie langsam tanzen. 

Farbenfroh und düster

Für diese Kollektion haben Viktor & Rolf romantische Tüllkleider mit Schriftzügen kombiniert, die man sonst eher auf billigen T-Shirts oder Instagram-Kacheln vermuten würde. Auf einem ausladenden Design in Blau und Rosa steht in großen Buchstaben "Trust me, I am a liar". Weitere lieblich-verspielte Roben werden mit Aufschriften wie "I am not shy, I just don’t like you", "go fuck yourself" oder schlicht: "Whatever" kontrastiert. Die Serie an Entwürfen macht Aussagen direkt sichtbar, die sonst in der Mode eher versteckt sind. Dafür gab es international viel Beachtung. 

Nach den farbenfrohen Ballkleidern wird es in der Ausstellung düster. Die Kollektion "Zen-Garten" markiert einen Bruch: Nachdem das Duo von 2000 bis 2013 kommerzielle Mode produziert hatte, die in ihren Boutiquen von der Stange gekauft werden konnte, kehrten Viktor & Rolf damit zur Haute Couture zurück. Dafür zeigten sie eine Linie voluminöser Stücke aus schwarzem Neopren-artigen Stoff. Die Models platzierten sie in Gruppen, die wie Felsformationen anmuteten. Die Kulisse, die an den Zen-Garten des Ryoan-ji-Tempels in Kyoto aus dem 15. Jahrhundert erinnert, sollte den Kontrast zum stetigen Streben nach Aktualität in der Mode deutlich machen.

Es sind nicht alleine die Kleidungsstücke, die das Zentrum des Labels ausmachen, sondern das Zusammenspiel von modischer und performativer Kunst während ihrer Schauen. An einer Wand mit zahlreichen Bildschirmen sind Videos verschiedener Runways zu sehen. Als besonders gewagt gilt "The Fashion Show" (2007/08), bei der die Models mit Aluminium-Gestellen, an denen jeweils eigene Sound- und Lichtsysteme befestigt waren, über den Laufsteg schritten. 

Zwischen Klassik und Pop

Die Performances weisen dabei häufig politische Bezüge auf. So kann die Kollektion "Cutting Edge Couture", bei der klaffende Löcher in die Kleider geschnitten sind, als Kommentar zur Finanzkrise von 2010 verstanden werden. Ähnliche Motive finden sich auch in den Werken, die nicht für die Bühne gedacht sind. Für das Stück "Shape" des Niederländischen Nationalballetts (2014) entstanden Tutus mit eckigen Röcken oder kreisrunden Auslassungen. Aber nicht nur in der Klassik kommen ihre Designs an, auch Musikerinnen wie Madonna, Lady Gaga, Doja Cat und Cardi B haben sich schon in Viktor & Rolf gezeigt.

Viele Ausstellungsräume wirken "instagrammable" gestaltet, viele Besucherinnen und Besucher haben ihr Handy gezückt. So ungewöhnlich die Kreationen von Viktor & Rolf sind, so einfach ist die Ausstellung an vielen Stellen gehalten. Die Mode, von riesigen Roben über Hosenanzüge, die an den Zirkus erinnern, und Kleider, die von van Goghs Gemälden inspiriert sind, ist immer Eye-Catcher. Mit den über 100 Exponaten gelingt ein umfassender Einblick in das Gesamtwerk. Die in leichter Sprache verfassten Ausstellungstexte lassen an einigen Stellen allerdings Tiefe vermissen. 

Dafür tummeln sich samstagmorgens viele junge Menschen in der Ausstellung. Eine Gruppe Freundinnen, die noch zur Schule gehen könnte, läuft neben jungen Paaren und Familien durch die Räume. So wird es doch ziemlich lebendig, zwischen all den steifen Puppen.