Medienschau

"Wenn es viele Identitäten gibt, hat man immer Identitätspolitik"

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Ein neues Magazin will den deutschen Diskurs durchlüften, Biennale-Kurator Pedrosa wehrt sich gegen Ideologie-Vorwürfe, und ein Autor ist unzufrieden mit der DDR-Ausstellung im HKW: Dies ist unsere Presseschau am Donnerstag

Debatte

Eine Falschdarstellung der DDR wirft der Historiker Ulrich van der Heyden dem Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) vor - und geht gleich soweit, der Ausstellung "Echos der Bruderländer" über die ostdeutschen Beziehungen zum "Globalen Süden" einen Beitrag zur Spaltung der deutschen Gesellschaft zu attestieren. In einem Open-Source-Beitrag für die "Berliner Zeitung" widerspricht er der Darstellung des Hauses, das Schicksal von Vertragsarbeitern in der DDR sei ein unerzähltes Kapitel der Geschichte. Auch wirft er der Ausstellung vor, sie unterstelle der DDR und ihren Bürgern flächendeckenden Rassismus, was zur Stigmatisierung Ostdeutscher und zu deren mangelndem Vertrauen in die Bundesrepublik beitrage. "Tausende Menschen aus der Dritten Welt fanden hier Schutz vor Mord, Terror, Bomben, Napalm, Rassismus, Hunger und Armut. Diese sehen das Land, das ihnen Rettung anbot, fast ausnahmslos positiv. Es bleibt die Hoffnung, dass die verschiedenen Veranstaltungen zu den 'Echos aus den Bruderländern' an die in der internationalen Wissenschaft nicht bezweifelte solidarische Grundhaltung der DDR-Bevölkerung erinnern werden."

 

Interview 

Mit dem Kurator der Hauptausstellung bei der Venedig-Biennale, Adriano Pedrosa, spricht Gesine Borcherdt für die "Welt". Darin fragt sie den brasilianischen Ausstellungsmacher, ob er eine Agenda der Identitätspolitik (Pedrosas Konzept beinhaltet viele indigene, queere und migrantische Positionen) für eine internationale Kunstschau für hilfreich halte. Seine Antwort: "Die Biennale ist und bleibt eine Plattform für Kunst, und die Kunst steht auch im Zentrum dieser Ausstellung. Aber es gibt so viele verschiedene Typen von Künstlern auf der Welt und so viele Identitäten! Wenn es viele Identitäten gibt, hat man immer Identitätspolitik." Die (ziemlich holzschnittartige) Frage, wie er nach der Documenta-Fifteen garantieren könne, das sein Fokus auf den "Globalen Süden" keine herabwürdigenden Bilder gegen bestimmte ethnische Gruppen produziere, lässt er abperlen: "Ich stimme mit der Verbindung, die Sie zwischen solchen Bildern und den postkolonialen Themen des Globalen Südens ziehen, nicht überein." Auch, dass er israelische Künstler ausschließe, will er nicht gelten lassen. "Es gibt in meiner Ausstellung auch keine Künstler, die aus Spanien, Belgien oder Deutschland stammen. Das Hauptaugenmerk der Ausstellung liegt auf dem Globalen Süden. Israel liegt im Globalen Norden. Israel ist ein wohlhabendes Erste-Welt-Land, wie Japan oder Korea. Wissen Sie, was der Globale Süden ist? Sie können das bei Wikipedia nachschauen."


Medien

Die Kulturkritik klagt gern über den Niedergang der Kulturkritik, und den meisten Feuilletons geht es in Zeiten von Auflagenschrumpfung nicht besonders gut.  Trotzdem entstehen auch immer wieder Magazine wie die neu gelaunchte "Berlin Review of Books", die ein Forum für "Bücher und Ideen" sein will und die sich Eva Murašov im "Tagesspiegel" genauer anschaut: "Aus dem Herausgeber-Manifest spricht eine große Deutschland- und Medienmüdigkeit, auch einiger Kulturpessimismus. Deutsche Debatten dominiere Rechthaberei, es fehle in ihnen an Utopie und Vielfalt. Etwas bemüht klingt die Erklärung, warum für die internationale Öffnung des deutschsprachigen Projekts auch Texte auf Englisch dabei sind: Die Gegenwart sei 'viel zu divers und unhinged, als dass wir uns in eine deutschsprachige Kontinuität stellen könnten.' Den verstaubten deutschen Diskurs wolle man 'ordentlich durchlüften', so die Ansage." In der Ausgabe finden sich dann Texte zum "New Weird"-Trend in der Literatur und gleich mehrere Essays zum Nahost-Konflikt, die sich eher für die palästinensische Perspektive interessieren. Am besten findet Murašov das Magazin, wenn es sich auf den Bereich der Ambivalenzen einlässt. "Wo die Beiträge den Umweg über ein Vertiefen in andere Texte und Quellen nehmen, sich raus aus der Unmittelbarkeit begeben, löst sich auch am ehesten der Anspruch der Herausgeber ein, nicht lediglich 'mehr Meinungen', mehr 'Befindlichkeiten' in den Diskursraum zu spülen, sondern 'literarisches Wissen, Mut zur Genauigkeit, vielleicht auch Schönheit, Ablenkung und Nerdiness' zu bieten. Von letzterem: Gerne mehr!

 

Ausstellung

Unterkomplexer Comic-Künstler? Von wegen! Roy Lichtenstein war nicht nur "Maler und Erfinder der Pop-Art", er war "Künstler und mit allen Theoriewassern gewaschener und so belesener wie humanistisch umfassend gebildeter Kunsthistoriker." Das schreibt Stefan Trinks in der "FAZ" in einem schönen Porträt anlässlich der Lichtenstein-Ausstellung, die die Wiener Albertina zu dessen 100. Geburtstag ausrichtet. Mit der Adelung der damals als "Schundliteratur angesehenen Comics" habe Lichtenstein die unvermeidliche Entpersonalisierung des modernen Lebens ins Positive gewendet. "Anders als der ihn in den Fünfzigern und Sechzigern umgebende realitätsferne Abstrakte Expressionismus will er als Ausgleichsprozess den Alltag abbilden. Wie Brecht will er durch Entfremdung der Motive deren Falschheit aufzeigen und marxistisch die falschen Versprechen des Konsumismus wie auch den Warenwert brechen, schafft jedoch nahezu von Beginn an neue Ikonen und sehr teure, über seinen Galeristen Leo Castelli gut konsumierbare Ware. Genau diese Widersprüche aber machen ihn zu einem der wichtigsten Künstler der Vereinigten Staaten."


Eigentlich kann man sich darauf verlassen, dass die VIP-Preview der New Yorker Whitney Biennale ein Ort für Proteste ist - zumal in politisch so aufgeladenen Zeiten wie diesen. Doch wie Annie Armstrong bei "Artnet" überrascht feststellt: Während des Pre-Openings der prestigeträchtigen Schau im Whitney Museum gab es keine Demos. Stattdessen werde die Ausstellung, die offiziell am 20. März eröffnet, im Kunstwelt-Gossip überwiegend positiv aufgenommen. Eine mögliche Kontroverse hat Armstrong dann doch entdeckt: "Zach Feuer, der Händler, der sich in den Direktor von Art Omi verwandelt hat, wies darauf hin, dass der in Portland lebende Künstler Demian Diné Yazhi anscheinend eine versteckte Botschaft in seine leuchtend rote, blinkende Neonarbeit eingebettet hat, die auf den Hudson River ausgerichtet ist. Das Werk mit dem Titel "We must stop imagining apocalypse/genocide+we must imagine liberation" (Wir müssen aufhören, uns Apokalypse/Völkermord vorzustellen, wir müssen uns Befreiung vorstellen) enthält neun Zeilen politischer Poesie, und wenn die Buchstaben blinken, bleiben einige von ihnen voll erleuchtet und buchstabieren 'FREE PALESTINE', wenn man genau hinsieht."


Bücher

Zu Lebzeiten wurde er verkannt und als "Idiot von Arles" abgetan, der zuhauf Sonnenblumen malte und sich ein Ohr abschnitt – erst nach seinem Tod wurde Vincent van Gogh zum genialen Solitär erklärt. Wesentlichen Anteil am posthumen Ruhm hatte Johanna Bonger (1862–1925), die Schwägerin von Vincent van Gogh, deren Biografie die Zürcher Autorin Simone Meier jetzt in ihrem neuen Roman "Die Entflammten" nachzeichnet. "Offenkundig genügte es Meier nicht, einen biografisch-historischen Roman zu schreiben, der die Bedeutung Jo Bongers vor Augen führt", meint Rainer Moritz in seiner Buchrezension in der "NZZ". "Sie überblendet vielmehr deren Biografie mit der Geschichte Ginas, einer jungen, in unseren Tagen lebenden Studentin der Kunstgeschichte. Diese stösst durch Zufall auf die Van-Gogh-Sippe, beginnt das Leben Johannas zu recherchieren, bis sie letztlich sogar imaginäre Dialoge mit ihr führt. So entwickeln sich 'Die Entflammten' zu einem mehrfach gespiegelten Künstlerroman."