Interview mit Calla Henkel und Max Pitegoff

"Wir verstehen die Bar als Bühne"

Mit der Times Bar und dem New Theater prägten sie einen Moment der jüngeren Berliner Kunstgeschichte. Jetzt eröffnen Calla Henkel und Max Pitegoff den neuen Künstlerort "TV". Ein Gespräch über Bohème, das verschwindende Berlin und den Avantgarde-Kapitalismus von Startups

Die Toiletten hat der Künstler Karl Holmqvist mit einer Installation versehen, von der Decke baumelt ein Kronleuchter von Klara Liden, darunter herrscht noch etwas Baustellenchaos, aber man spürt schon: Das hier könnte ein guter Ort werden. Calla Henkel, geboren 1988 in Minneapolis, und Max Pitegoff, geboren 1987 in Buffalo, haben in Berlin schon einmal einen denkwürdigen Laden betrieben: Die 2011 eröffnete Times Bar in Neukölln war das Wohnzimmer der amerikanischen Expats, exzessiver Partykeller und Keimzelle einer neuen, sehr internationalen Künstler- und Musikerszene. Für das Künstlerduo folgten Galerie- und Museumsausstellungen, 2015 erhielten sie den Ars Viva Preis für junge Kunst, 2016 nahmen sie an der vom New Yorker Kollektiv DIS kuratierten Berlin Biennale teil. Nach der Times Bar eröffneten Henkel und Pitegoff mit dem New Theater einen Performancespace, ab 2017 bespielten sie den Grünen Salon der Berliner Volksbühne. Ihr neuer Projektraum, die Künstlerbar "TV", feiert an diesem Samstag in der Potsdamer Straße in Berlin Premiere.

Calla Henkel, Max Pitegoff, was verbirgt sich hinter dem Namen TV?

TV ist eine Bar. Und ein Projektraum und Performance Space. Wir verstehen die Bar als Bühne, die in Zukunft in ganz verschiedenen Versionen erscheinen soll. Wir haben schon länger über die gesellschaftliche Idee von alternativen Räumen nachgedacht, die Annahme, dass es ein gleichsam grenzenloses Set an Versionen eines Raumes geben soll, immer neue Alternativen zur Alternative. In unserer Bar werden wir versuchen, diese Idee durch eine Serie von Performances durch zu spielen.

Zum Beispiel?

Eine Serie, an der wir zusammen mit dem Künstler Karl Holmqvist arbeiten, ist lose nach dem Buch "Please kill me: The Uncensored history of Punk" von Legs McNeil und Gillian McCain benannt. Dann wird es hier möglicherweise verkleidet aussehen wie in einer Bar im New York der frühen 80er-Jahre, mit neuer Einrichtung, vielleicht auch mit einem neuen Bar-Namen. Aber es passiert immer nur für einen Abend, über eine Dauer von vielleicht einem Jahr oder so. An anderen Abenden läuft ein anderes Programm. Uns interessiert der serielle Charakter, wir wollen sehen, wie sich diese Abende weiterentwickeln. Und wir werden die Abende filmen.

Sodass eine TV-Serie entsteht?

Wir haben uns immer schon mit der Frage auseinandergesetzt, wie man Performances dokumentiert. Ob man das überhaupt tun sollte, was dabei verloren geht. Mit der Künstlerin Mia van Matt machen wir ein anderes Projekt, das monatlich über einen Zeitraum von einem Jahr läuft. Durch das Filmen und den Schnitt wird dabei eine Art Narration entstehen, wobei durch die fortlaufende Serie immer neues Material hinzukommt. Wir sehen es als eine alternative Art des Publizierens. Für mich gibt es nichts Frustrierenderes, als die Endgültigkeit der filmischen Dokumentation einer Performance oder eines Theaterstücks anzusehen. Bei uns ist der Ablauf offen, wir könnten im Nachhinein selbst die zeitliche Abfolge manipulieren. Wir wissen ja selbst nicht, wie sich die Abende gestalten werden.

Wie wird gefilmt – mit versteckten Kameras, mit professionellen Kameraleuten, mit Handykameras?

Mit versteckten Kameras sicher nicht. Wir werden donnerstags, freitags, samstags geöffnet haben und möglicherweise auch sonntags. An normalen Abenden wird nicht gefilmt, dann ist die Bar einfach eine Bar. Wenn es Performances gibt, filmen wir die mit iPhones – wobei nur die Künstler gefilmt werden, nicht das Publikum.

Sie haben zwischen 2011 und 2012 die Times Bar in Neukölln betrieben, danach das alternative Theaterprojekt New Theater gegründet und zuletzt den Grünen Salon der Volksbühne bespielt. Warum jetzt die Rückkehr zum Bar-Format?

Eine Bar ist einfach entspannter und weniger reglementiert als ein Theater. An die Volksbühne kamen wir zu einem Zeitpunkt, als die Institution durch die Diskussion um den Intendanten Chris Dercon in einer tiefen Krise steckte. In Krisenmomenten ist vieles möglich, wir haben versucht, ein Theater im Theater zu sein. Und trotzdem existieren im Theater so viele Reglementierungen: Vom Terminfinden und den Ticketkauf über das Anstehen bis zum Zutritt. In eine Bar läufst du einfach rein. Ein anderer Aspekt ist, dass wir jetzt wieder alles buchstäblich mit eigener Hand aufbauen. Im Theater arbeiten all diese großartigen Techniker, Kostüm- und Bühnenbildner – da hast du oft das Gefühl, die machen in Wahrheit das Theater. Das Publikum zahlt Eintritt, also muss eine große Show auf die Beine gestellt werden. Und auch in den Museen und Kunstinstitutionen der Stadt ist Performance-Kunst zu einem sehr wichtigen Zweig geworden, mit einem Massenpublikum. Hier in der Bar ist alles do-it-yourself. Uns interessiert eher der kleine Maßstab.

Steht der Intimität einer Bar das Filmen nicht prinzipiell entgegen?

In der Times Bar haben wir darauf geachtet, dass niemand fotografiert, einfach nur, um die Gäste in Frieden zu lassen. Stattdessen machten wir jede Nacht Notizen, wer kam und was los war. Dann fiel uns auf, dass sich diese Notizen im Registerbuch wie Szenen einer Sitcom oder eines Stücks lasen – und so entstand teilweise die Idee für das New Theater. Als wir an der Volksbühne dann wirklich Theater gemacht haben, wurde uns klar, dass das doch nochmal eine ganz andere Nummer ist. Aber wie gesagt: Das Filmen der Performances und der Barbetrieb im TV sind zwei getrennte Dinge. Und was wir mit dem Filmmaterial einmal machen werden, wird sich vermutlich erst in einigen Monaten oder einem Jahr herausstellen.

Sehen Sie Ihre Bar in der Tradition des Salons und der Künstler-Bohème verankert?

Bohème ist ein schwieriger Begriff... Die nostalgische Idee einer Bohème scheint zentral für das kulturelle Selbstverständnis Berlins zu sein. Gleichzeitig ist in den letzten Jahren so viel kreative Energie abgeflossen aufgrund all der Immobiliengeschäfte. Es gibt quasi kein unrenoviertes Haus mehr. Mittlerweile geht das alles so schnell, dass die Makler nicht einmal mehr an Zwischennutzung interessiert sind – die Deals laufen auch ohne die Aufwertung durch Künstler glänzend.

Gerade aus der Theaterwelt wurde und wird der Kunstwelt vorgeworfen, Motor der Gentrifizierung zu sein. Darauf lief ja auch die massive Kritik an Chris Dercons Intendanz an der Volksbühne hinaus. Wie stehen Sie zu diesem Argument?

Berlin hat einen Punkt erreicht, wo die Stadt sich fragt, was sie eigentlich ausmacht und was sie in den letzten zwei Jahrzehnten so attraktiv hat werden lassen. Das will man erhalten, aber in dieses Bemühen mischt sich eben oft ein gewisser Protektionismus mit ein. Es stimmt, dass die Kunst in vielerlei Hinsicht in den Kapitalismus verstrickt ist. Aber diese Kritik lässt sich eben auch leicht aus der Warte eines Stadttheaters vorbringen, das von öffentlicher Hand subventioniert wird und wo jeder einen sicheren Job hat. In dieser Hinsicht ist die Theaterwelt eine Utopie, von der die Kunstwelt nur träumen kann. Uns hat das Arbeiten im Theater aber auch deshalb gereizt, weil wir von der Kunstwelt sehr ermüdet waren. Das Theater ist näher am Puls des Lebens, da sind viel verrücktere Sachen möglich. Und am Theater herrscht ein unglaubliches Maß an Humanität und Solidarität. Die Art, wie die Menschen dort gewerkschaftlich vereint zusammenstehen – das ist eigentlich die wahre Bohème. Und dieses bedrohte Biotop droht jetzt eben auszusterben.

Assoziieren Sie Bohème mit der Vergangenheit?

Auf jeden Fall. Es existiert diese schwer nostalgische Fantasie von Berlin als Stadt der Freiräume.

Was ist dann die Avantgarde? Die Startup-Szene? 

Definitiv nicht. Vor einigen Jahren schien es vielleicht so, und wir haben damals auch viele Startup-Büros besichtigt und fotografiert. Wir wollten sehen, wie sie die Räume ausfüllten, die Künstler einst ausgefüllt hatten. Aber das war ziemlich enttäuschend. Avantgardistisch ist die Startup-Szene vielleicht in linguistischer Hinsicht: Was dort an Bullshit-Vokabular und neuen Wortschöpfungen kursiert, ist in gewisser Hinsicht atemberaubend. Und irrerweise scheint es manchmal sogar zu funktionieren. Da sind diese bunt aber klinisch weißen Büros, in denen praktisch nichts steht außer ein paar Büropflanzen. Es wird dort auch nichts hergestellt, es wird nur geredet. Es gibt keine Produkte, sie verkaufen nichts. Und trotzdem haben sie all dieses Geld. Es ist Avantgarde-Kapitalismus. Noch ökonomisch abstrakter als der Kunstmarkt.

Da wir über Verdrängung sprechen: Wie lange läuft ihr Mietvertrag hier?

Drei Jahre, mit der Option, ihn um fünf Jahre zu verlängern. Wir sind erstmal einigermaßen sicher hier.