Berliner Fotoprojekt

Die Wellenbrecherinnen

Die Corona-Pandemie hat Frauen anders und oft härter getroffen als Männer. Nun zeigen 25 Fotografinnen das Projekt "Women in Covid" im Berliner Stadtraum

Eine globale Krise fungiert wie ein Katalysator, der die bereits existierenden Ungleichheiten noch weiter verstärkt. Ob alleinerziehende Mütter, Fabrikarbeiterinnen, obdachlose Frauen und Geflüchtete, Seniorinnen, Hebammen oder Teenager. Frauen und Mädchen zählen aus den unterschiedlichsten Gründen zu benachteiligten Gruppen und sind auch von der Covid-19-Pandemie und ihren Folgen besonders hart betroffen. Eine Plakatwand mit Werken von 25 Fotografinnen an der Köpenicker Straße in Berlin-Mitte liefert Einblicke in die Lebensrealität von Frauen in der Coronakrise.

Bis zum 3. Oktober sind die Werke auf einer 90 Meter langen Plakatwand zu sehen. Und machen damit das sichtbar, was in Zeiten von Kontaktbeschränkungen und Lockdowns häufig im Verborgenen geblieben ist. Thematisch reißen die Bilder, trotz ihrer ganz eigenen Ästhetik, gesellschaftliche Missstände an, die vor allem Frauen betreffen. Themen wie häusliche Gewalt, Rassismus und Sexarbeit kommen zum Vorschein. Aber auch die schönen Momente, wenn ältere Menschen sich endlich wieder unbesorgter bewegen dürfen oder ein Kind geboren wird, finden Platz.

Eine Frau, die sich aufgrund ihrer Badekleidung vermutlich im Freibad befindet, drückt ein in ein Handtuch gewickeltes Baby fest an ihre Brust. Ihre innig umklammernde Haltung und die zugekniffenen Augen wirken wie eine Mischung aus tiefer Freude, Dankbarkeit und (Verlust)-Angst. Letzteres ist vermutlich eines der Dinge, das uns die Pandemie gelehrt hat: Unsere Gesundheit ist fragil und das Virus macht, egal ob jung oder alt, vor niemandem Halt. Keine leichte Zeit für junge Mütter, die wie der Titel des Bildes "all(e)in" von der Fotografin Sophie Kirchner vermuten lässt, alleinerziehend sind. All die Ängste, Einschränkungen und Belastungen, die mit der Pandemie einhergehen, lasten auf einem Schulterpaar, das dennoch für Zwei stark sein muss.

"Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen"

Der Satz "Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen" sagt viel über das aus, was Alleinerziehende leisten müssen. Als sei die Geburt eines Kindes und die darauffolgende Zeit nicht ohnehin eine Ausnahmesituation, macht es die Pandemie für viele Frauen sowohl psychisch als auch gesundheitlich nicht einfacher. Fragen nach Impfungen, möglichen Auswirkungen auf das Kind, Betreuungsangeboten im Lockdown oder allgemeinen Zukunftsfolgen der Pandemie sind nur einige Themen, die Mütter umtreibt. Auch die körperliche Nähe, die durch die Kontaktbeschränkungen häufig wegfiel, wird in diesem Werk eindrucksvoll sichtbar.

Auch das Thema Partnerschaft während der Pandemie in Zeiten sozialer Isolation findet in der Plakatwand einen Platz. Mit dem Werk "Zwei" zeigt die Fotografin Marlena Waldthausen den innigen Moment eines Paares. Vielleicht in einem See? Obwohl die beiden einander nicht zugewandt sind und ihre Augen geschlossen, spürt man die Vertrautheit der Situation und die Verbindung der beiden, die nicht zuletzt durch das sie umgebende Wasser entsteht. Die Fotografin wollte laut eigener Aussage aufzeigen, welche Herausforderungen die Krise an Beziehungen stellen kann, wenn man sich zu zweit ein zwölf Quadratmeter großes WG-Zimmer teilen muss.

Doch in diesem Bild stecken noch mehr zeitgemäße und heikle Themen: Links ist eine non-binäre Person zu sehen, mit abgeklebten Brustwarzen und einer knappen Badehose, die klar dem stereotypisierten Bild einer Frau widerspricht und dabei verschiedene diskriminierende Debatten im Bezug auf weiblich gelesene und non-binäre Personen thematisiert. Das auf dem Foto abgebildete Paar hat trotz der Reisebeschränkungen während Corona in Dänemark geheiratet und sagt: "Covid ist wie ein Turbo für unsere Beziehung, alles passiert schneller."

Obdachlosigkeit ist auch weiblich

Wenn die Wohnzimmer von wohlhabenden Menschen in aufwendig inzenzierte Obdachlosenunterkünfte verwandelt werden, dann war vermutlich die Fotografin Jana Sophia Nolle am Werk. Eines ihrer Bilder aus der Serie "Living Room" ist Teil der Ausstellung und zeigt das, was viele Menschen in ihrem Alltag lieber ignorieren. Obdachlosigkeit ist auf den ersten Blick vermeintlich männlich. Doch für etwa 2.500 Frauen in Berlin ist sie Realität. Für das Foto hat Nolle die Unterkunft einer in der Hauptstadt lebenden Wohnungslosen nachgebaut und lässt in der Kulisse einer Loftwohnung zwei Welten aufeinander prallen, wie sie in einem Monopol-Interview aus dem August erklärt.

Hinschauen ist auch beim Thema häusliche Gewalt nötig. Und das ist hinter verschlossenen Türen gar nicht so leicht. Eine Studie der TU München zum Thema "Auswirkungen von COVID-19 auf Gewalt gegen Frauen und Kinder" belegt, dass rund drei Prozent der Frauen in Deutschland in der Zeit der strengen Kontaktbeschränkungen zu Hause Opfer körperlicher Gewalt wurden, 3,6 Prozent wurden von ihrem Partner vergewaltigt. "Waren die Frauen in Quarantäne oder hatten die Familien finanzielle Sorgen, lagen die Zahlen deutlich höher. Nur ein sehr kleiner Teil der betroffenen Frauen nutzte Hilfsangebote", heißt es in der repräsentativen Studie. Aus den Ergebnissen geht außerdem hervor, dass knapp fünf Prozent der Partner die digitalen und telefonischen Kontakte der Frauen regulierten. 

Das Projekt "In Waves - #WomenInCovid" will mit der Plakatwand in Berlin laut eigener Aussage: "Eine möglichst breite Öffentlichkeit für das Thema sensibilisieren und zum gesellschaftlichen Dialog beigetragen." QR-Codes an der Ausstellungswand führen zu einer eigens erstellten Website, die Hintergrundinformationen und Zusatzmaterialien bereitstellt. Die 25 beteiligten Fotografinnen sind zudem Teil des Netzwerks Women Photograph, das seit 2017 die Sichtbarkeit von Frauen fördert und sich für Diversität und einen fairen Umgang in der Branche einsetzt.