Mit Raf Simons in den Ateliers von Dior
Nur die elegantesten Frauen wollte der legendäre Designer Christian Dior anziehen – mit Roben samt Wespentaille und weitschwingenden Röcken aus kostbaren, aufwendig verarbeiteten Stoffen. Sein "New Look" wurde 1947 geboren und stellte schon bald die internationale Mode auf den Kopf. Kundinnen wie Marlene Dietrich und die Herzogin von Windsor eilten zu den Schauen des Couturiers (1905-1957) nach Paris – während Feministinnen gegen Diors traditionelle Weiblichkeit protestierten. Auch der Stil auf den Straßen orientierte sich bald am elitären Geschmack, der die aus der Not geborene Mode der Kriegsjahre glanzvoll überwinden sollte.
Frédéric Tchengs Dokumentation "Dior und ich" schildert, wie der belgische Designer Raf Simons als Kreativdirektor den Geist des Gründers in die Gegenwart übersetzt. Und wie sich Stil-Ikonen wie Marion Cotillard, Charlène von Monaco und "Vogue"-Chefin Anna Wintour für seine Kreationen begeistern.
Dabei porträtiert Tcheng einen Mann, dem manche den Posten zunächst gar nicht zutrauten. Denn der studierte Industriedesigner Simons, Nachfolger des flamboyanten John Galliano, galt als "Minimalist". Mit seiner eigenen Herrenmodemarke hatte er ab 1995 erfolgreich eine schmale Silhouette und dunkle Farben propagiert, als Kreativdirektor bei Jil Sander zwischen 2005 und 2012 den Purismus neu definiert.
Tcheng, der schon an den Modefilmen "Valentino: The Last Emperor" und "Diana Vreeland - The Eye Has to Travel" mitgewirkt hat, zeigt Simons facettenreich. Bescheiden auftretend wirft er sich energisch in seine neue Aufgabe. Beim Blick in die Archive erforscht er die Opulenz Diors. Zugleich sammelt er Ideen, um dessen Look konsequent zu modernisieren.
"Ich wollte dynamischer werden, weil Frauen heute dynamischer sind. Sie müssen sich bewegen können", erklärt Raf Simons – und kombiniert ein nun blusenkurzes Wespentaillenkleid als Top zur engen schwarzen Hose. Er entdeckt alte Dior-Stoffe, die nicht in der Fläche, sondern bereits in den Fäden eingefärbt wurden, was ihre Muster leicht verschwommen wirken lässt. Daraufhin überzeugt der Kunstsammler eine Weberei, in der Kürze der Zeit abstrakte Bilder des amerikanischen Künstlers Sterling Ruby auf Seide zu übertragen – woraus etwa ein umwerfendes Bustierkleid entsteht.
Regisseur Tcheng drehte seinen Film, als Simons nach seiner Ernennung im April 2012 in Rekordzeit von nur zwei Monaten seine erste Damen-Haute-Couture-Kollektion zu entwerfen hat – die dann Anfang Juli von Presse und Publikum triumphal aufgenommen wurde. Auch das ist relevant, denn die Mode ist schließlich auch ein Geschäft, und Simons hat sich auch gegenüber den Dior-Finanziers zu profilieren. Der Posten eines Chefdesigners ist ein Knochenjob. Dass ein solcher nur im Team möglich ist, wird im Film schnell deutlich. Teilweise schneidern und nähen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen schon seit mehr als 40 Jahren im Haus.
Ein charmante Anekdote im Film zeigt, wie Simons aus seinem Besuch von Diors Geburtshaus in der Normandie einen Extra-Clou für seine finale Show entwickelt. Die Pastell-Farben und der üppige Blumengarten inspirieren ihn dazu, in einem alten Pariser Privatpalais die Wände mit Blüten förmlich zu pflastern. Und auch das ist berührend zu sehen: Am Ende, als der Beifall aufbrandet und die Spannung abfällt, kann der Designer seine Tränen nicht zurückhalten.
"Dior und ich", auf Mubi
Künstler sucht Einkehr
Alicia will Nonne in einem kleinen Kloster in den polnischen Bergen werden, ist sich aber nicht sicher, ob sie allen irdischen Verlockungen wird widerstehen können. Außerdem hat sie den Verdacht, dass ihr persönlicher Engel vielleicht böse sein könnte. Peter ist ein New Yorker Künstler mit guten Kontakten und gesundem Ego, der in seinen Installationen gern ziemlich dick aufträgt und sich für das Gewaltvolle im Menschen interessiert. Nun zieht es ihn auf Initiative eines Galeristen nach Berlin, wo er eine neue Phase seiner Karriere einleiten will. Man könnte also sagen, beide Figuren befinden sich auf ihrer ganz eigenen Art einer spirituellen Reise.
Dass sie sich in Margarita Jimenos Film "Grind Reset Shine" trotz ihrer verschiedenen Lebenswelten begegnen, liegt an der Bruchlandung Peters in seiner vermeintlichen Traumstadt Berlin. Seine mit Waffen gefüllten Aquarien kommen nicht so gut an wie erhofft, und auf einer Messe in Paris erzählt ihm ein Barkeeper von seiner gescheiterten Künstlerkarriere und die Befreiung durch seinen Ausstieg.
Dass es Peter aus der exzessiven Kunstwelt ausgerechnet in asketische Klostergänge verschlägt, könnte man zuerst für ein ziemlich konstruiertes Klischee halten: hier die Oberflächlichkeit der Kulturelite, dort das "wahre Leben" mit Erfüllung durch Verzicht. Doch die Regisseurin erzählt die Geschichte eines Ausbruchs in reduzierten Szenen, die vieles offen lassen und oft von ihren Stimmungen leben. Außerdem sind die Episoden aus der New Yorker und Berliner Kunstbubble sehr genau beobachtet, und das soziale Geblende auf Messen und Eröffnungen wird mit den prekären Arbeitsverhältnissen in der Branche kurzgeschlossen.
Ob Peters Klosterflucht nun ein echtes Bedürfnis oder eine weitere seiner Performances ist, lässt "Grind Reset Shine" in der Schwebe. Oder ist Alicia, die heimlich und nur für sich in einer Waldhütte Ikonen malt, vielleicht sogar die "echte" Künstlerin?
"Grind Reset Shine", Video on Demand
Binge-Watching am Bauhaus
Es ist schwer, das Bauhaus lebendig zu machen: Möbel erzählen keine Geschichten, Lehrkonzepte lassen sich schwer ausstellen, und die zweit- und drittberühmtesten Figuren nach Walter Gropius geben kaum Beststeller-Biografien her. Es ist aber auch einfach, das Bauhaus lebendig zu machen: Mit einer interessanten Hauptfigur und Gespür für gute Stories, die in Archiven lagern. Der Regisseur Lars Kraume und die Kunsthistorikerin Lena Kiessler stießen auf Dörte Helm, eine etwas biedere junge Studentin der Malerei. Als Walter Gropius zum neuen Leiter ihrer Kunsthochschule in Weimar ernannt wird, entwickelt sie sich zu einer rebellischen, die Machtgefüge erschütternden Frau.
Kraume und seine Mit-Autorinnen Judith Angerbauer und Lena Kiessler erzählen eine multiple Emanzipationsgeschichte: Anna Maria Mühe als Dörte Helm kämpft sich aus ihrer konservativen Familie und befreit sich vom brillanten Mastermind Gropius, mit dem sie sich unerschrocken anlegt. Dabei ist "Die neue Zeit" keine Love-Story. Die angedeutete Liaison zwischen Helm und Gropius, gespielt von August Diehl, ist vor allem deshalb spannend, weil Liebe nicht das Thema der beiden ist. Wenn sie vor Kollegen darüber streiten, ob die Formfindung der Funktionalität folgen muss oder dem Menschen, gestehen sie im Subtext des kurzen intelligenten Schlagabtauschs eigentlich entschuldigend ihr Scheitern als Paar ein.
Das ist das Besondere an Kraumes Erzählen: Über die Kunst wird nicht geschwärmt oder doziert, sondern gestritten. So bekommen sowohl die Werke als auch die Menschen Tiefe. Wenn Hanns Zischler als Dörtes konservativer Vater ein Dada-Gedicht von Hugo Ball lächerlich macht, "dadji geri bimba", liegt in seiner Verachtung für die neuen Künste auch die Not eines Autoritären, dem sein Schützling verloren geht. Dörte pariert, schlägt den Vater mit seinen Waffen (Aristoteles) und fordert Respekt für die zeitdiagnostische Dada-Kunst und damit auch für sich.
Die sechsteilige Serie zeichnet ihre Figuren in all ihrer Ambivalenz. Sie sprühen mal vor funkelndem Zukunftswillen und scheitern in niederem Kleinmut. Johannes Itten mit seiner kosmischen Mazdaznan-Lehre agiert zwischen großem Verführer und armem Tropf. Gropius muss immer gewinnen wie ein Held, kann nicht verlieren wie ein kleiner Junge. Es braucht viel Großzügigkeit, die Figuren so fein zu konstruieren. Kraume ist präzise bis in die Nebenrollen: Mit Ronald Zehrfeld als kommunistischem Anführer gegen die Freikorps-Soldaten beim Kapp-Putsch und Birgit Minnichmayr als Alma Mahler, die ihre Scheidung von Gropius mit grandiosen Gehässigkeiten erwirkt.
"Die neue Zeit" bündelt alles, was das Bauhaus heute interessant macht: Das (nicht immer eingelöste) Versprechen auf eine bessere Gesellschaft, in der alle gleichgestellt sind. Eine zwiespältige politische Situation, in der konservative Kräften das freigeistige Lehrsystem bekämpfen. Die Überlegung, ob das, womit wir uns umgeben, gesellschaftsverändernde Wirkung haben kann. Das Bauhaus ist Geschichte, die Fragen sind noch offen.
"Die neue Zeit", Arte-Mediathek, bis 20. Januar 2023
Welches ist denn nun das "Schwarze Quadrat"?
"Das 'Schwarze Quadrat' ist einerseits auf den ersten Blick unzugänglich, andererseits ist es ein Bild mit revolutionärer Sprengkraft", sagte Regisseur Peter Meister 2021 im Monopol-Interview über das bekannteste Werk des Malers Kasimir Malewitsch. Das monochrome abstrakte Bild, das gleichzeitig einzigartig und ziemlich leicht zu kopieren ist, spielt auch die Hauptrolle in Meisters Debütfilm, der nun bei verschiedenen Streamingdiensten verfügbar ist. Auf einem Kreuzfahrtschiff wird der echte Malewitsch zuerst geklaut und dann von dem gerissenen, aber als Künstler eher erfolglosen Vincent Kowalski gleich zwei mal gefälscht. Spätestens seit Ruben Östlunds "Triangle of Sadness" hat sich die Luxusjacht, auf der alle gesellschaftlichen Konflikte auf engstem Raum ausgetragen werden, endgültig als Lieblingsort der Satire etabliert.
Auch "Das Schwarze Qudrat" nutzt die erzwungene Nähe auf See, um ein unterhaltsames Verwirrspiel um die multiplen Malewitschs zu entfalten. Nebenbei stellt der Film auch die Frage, was Kunst eigentlich wert ist.
"Das Schwarze Quadrat", Amazon Prime
Dem Uffizien-Direktor über die Schulter schauen
Wissen ist nie unschuldig, sondern immer verbunden mit Strukturen der Macht. Der offenbare Zusammenhang von Aufklärung, Herrschaft und Schuld zerrüttet derzeit auch die westlichen Museen. Wie sind unsere Sammlungen zustande gekommen? Welche Objekte sollten wir an Herkunftsgesellschaften zurückgeben? Welche dringend benötigten Sponsorengelder können wir noch guten Gewissens annehmen? Wie divers ist die Kunst und die Belegschaft? Wie rechtfertigen wir einen Ausstellungsbetrieb, der Ressourcen und Steuergelder verbraucht?
Florenz und die berühmte Kunstsammlung der Medici scheinen fern von all diesen anstrengenden Selbstbefragungen zu sein, diesen Eindruck bekommt man zumindest, wenn man "In den Uffizien" sieht, einen kontemplativen Dokumentarfilm von Corinna Belz und Enrique Sánchez Lansch, der jetzt in der ZDF-Mediathek zur Verfügung steht. Die Kamera bewegt sich genüsslich durch Säle und über Gemälde des Museums, verharrt bei Details, die Schönheit von Krakelee und Patina, chiaroscuro und sfumato. Es ist ein Film, der die Mitarbeitenden würdigt, die mit Sachverstand und Leidenschaft "ihr" Haus in Schuss halten und beschützen: Konservatorinnen, das Aufbauteam, die Aufsicht und vor allem: der deutsche Direktor Eike Schmidt.
Das größte Problem des berühmten Museums scheint seine Beliebtheit zu sein, unter der es zu zerbrechen droht. Vor der Pandemie musste das Museum jedes Jahr Millionen Besucherinnen und Besucher durch die Gänge schleusen. Vor Fragen der Vermittlung steht da zunächst einmal pures Crowd-Management. Eike Schmidt, der seit 2015 die Uffizien leitet, hat da gute Arbeit geleistet. So hatte das Haus damals nicht einmal eine Website, heute ist es bei TikTok präsent.
Die im Film zu spürende Ehrfurcht vor der Macherrolle, die man bei Corinna Betz schon in ihrem Film "Gerhard Richter. Painting" beobachten konnte, wirkt etwas aus der Zeit gefallen, zumal Unangenehmes wie etwa der fragwürdige Rückzieher Schmidts nach dem angekündigten Wechsel ins Kunsthistorische Museum Wien komplett ausgeblendet wird - obwohl er doch in die Zeit der Dreharbeiten gefallen sein muss.
Dabei hätte Eike Schmidt sicher zu vielen Debatten etwas Kluges sagen und am Beispiel vorführen können. Aber Betz und Sánchez Lansch haben sich dazu entschieden, ihr Publikum in Staunen zu versetzen, und das gelingt angesichts der atemberaubenden Kunst und der Geschichte des Hauses natürlich auch. Das Regie-Duo zeigt einen geschäftigen Museumschef, der Entscheidungen trifft, und eine leidenschaftliche Belegschaft, die Entscheidungen ausführt. Was sie antreibt, darüber hätte man bei aller Faszination gern noch mehr erfahren.
"In den Uffizien", ZDF-Mediathek, bis 18. Januar
Die hybride Figurenwelt des Malers Oska Gutheil
Auf den Bildern des Berliner Malers Oska Gutheil ist nichts eindeutig. Phantastische Mischwesen bevölkern die Leinwände, die menschlichen Figuren, die sich oft in absurden Situationen befinden und wie vom Betrachter ertappt aussehen, sind weder männlich noch weiblich. Ob seine Kunst queer ist, fragt ihn Tarik Tesfu in der dreiteiligen ARD-Kultur-Serie "A Glamorous Takeover", in der der Moderator und Entertainer nach fluiden Geschlechterbildern in der zeitgenössischen Kultur sucht.
In seinem Atelier in Kreuzberg erzählt Oska Gutheil, der sich selbst als trans Person identifiziert, dass seine queere Identität auch seine Kunst beeinflusst. Auch seine Transition hat der Maler in Bildern thematisiert, die gleichzeitig psychologisch aufgeladen und humorvoll sind. Der Künstler will sich jedoch nicht auf ein Thema reduzieren lassen. Queerness könne auch darin bestehen, dass es in der Kunst keine Festlegungen geben muss, dass alles vielschichtig und hybride ist.
"Glamorous Takeover" will sich einer Definition von Queerness in der Kunst annähern, zeigt aber auch, wie vielfältig und individuell der Umgang von Kreativen mit dem Thema ist. In den anderen beiden Folgen der Serie trifft Tarik Tesfu die Drag-Künstlerin Hungry und stellt die Ballroom-Kultur in Deutschland vor.
"Glamorous Takeover - Queere Kunst", ARD Kultur
Das "Weiße Rauschen" und die große Katastrophe
Der US-Regisseur Noah Baumbach ("Frances Ha", "Marriage Story") hat zum ersten Mal einen Roman verfilmt - und sich gleich an einen modernen Klassiker gewagt: Don De Lillos Katastrophen-Satire "Weißes Rauschen" von 1985. Darin spielt Adam Driver einen Professor für Hitler-Studies, der mit seiner Frau (Greta Gerwig) auf skurrile und konsumintensive Weise aneinander vorbei lebt. Baumbach übernimmt viele absurde Dialoge direkt aus dem Buch und unterstreicht die familiäre Gemengelage zwischen körperlicher Nähe, Nichtverstehen und innerer Isolation mit der virtuosen Kameraarbeit von Lol Crawley und einer stoischen Montage.
Den Plot treibt eine Umweltkatastrophe voran, die Baumbach mit allen Schikanen des Desaster-Genres ausstattet. Ein Trucker rast in einen Güterzug, der Chemikalien transportiert, Explosionen – dann zieht eine böse schwarze Wolke auf den fiktiven Ort Blacksmith zu. Mit der Evakuierung beginnt für die Bewohner eine Odysee, die Baumbach im Steven-Spielberg-Stil inszeniert. Der Kern des Films, der jetzt auf Netflix verfügbar ist, ist jedoch die im Roman angelegte, messerscharfe Beobachtung einer heraufziehenden Informationsgesellschaft, in der Fakt und Fiktion austauschbare Größen sind.
Baumbach fängt diese Fake-News-Ära im verspielt opulenten 80er-Design ein und hat wahrscheinlich die bestmögliche "White Noise"-Verfilmung abgeliefert. Trotzdem wird man den Eindruck nicht los, dass die Realität de Lillos Roman inzwischen überholt hat.
"White Noise", auf Netflix
Als die Aaltos Wellen schlugen
Die zwei As in Aalto könnten genauso gut für Alvar und Aino stehen, so symbiotisch formt sich das Werk der beiden zu einem Gemeinschaftsprojekt zusammen. Ab Mitte der 1920er-Jahre schufen sie Lebensräume, die den Menschen ins Zentrum stellten. "Aalto", wie der nun auf Mubi zu sehende Dokumentarfilm über das finnische Architektenpaar schlicht heißt, spürt ihrem gemeinsamen Leben und Wirken nach: anhand von Archivaufnahmen und aktuellen Luftbildern ihrer Bauten, im finnischen Original vorgelesenen Briefen, die sie sich schrieben, und O-Tönen – von Freunden, Architektinnen, ihren eigenen Kindern –, die sich über die Bilder legen. Nichts soll der ästhetischen Wirkung die Schau stehlen.
Die Kamera folgt einer Schulklasse in die von den Aaltos entworfene Vyborg Bibliothek: Kinderhände fließen durch die Ausbuchtungen des Handlaufs am Geländer wie Wasser durch ein Aquädukt. Kreisrunde Oberlichter hellen den sonst fensterlosen Raum auf. In diesem Spiel mit Form und Licht lässt sich der Einfluss des Familienfreunds László Moholy-Nagy erkennen – nur eine der vielen kreativen Freundschaften, die das bohème Paar weltweit pflegte.
Moholy-Nagy selbst nutzte von den Aaltos gestaltete Möbel im Set-Design des Science-Finction-Films "Things to Come" (1936) und schuf damit eine Vision der Welt im Jahr 2036. Heute, nur noch wenige Jahre vor dieser Zukunft, wirken die Entwürfe nach wie vor aktuell und zeitlos. Was gemeinhin als Maxime das Bauhaus gilt – eine ganzheitliche Gestaltung des Wohnraums, die sich nach seiner Nutzung richtet, von Bau über Möbel und Dekor – treibt auch die Entwürfe von Alvar und Aino an. Nur sind es bei ihnen Naturmaterialien, primär Holz, Stein, Glas, die zum Einsatz kommen und durch unkonventionelle Spielarten der Gestaltung in fließende organische Formen gebracht werden.
"Aalto" beginnt mit dem Kennenlernen Alvars und Ainos in Helsinki und erzählt die Geschichte ihrer kreativen Zusammenarbeit vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Beziehung: Von der Hochzeitsreise nach Italien, die Alvar inspirierte, humanistische Bauwerke nach klassischem Ideal zu schaffen, in die USA, wo sie Laurance Rockefeller und Frank Lloyd Wright kennenlernen, bis nach Marseilles, wohin Alvar ohne Aino reist und beim Internationalen Architekturkongress die Bekanntschaft Le Corbusiers macht.
Der Film behandelt aber auch die Arbeit des Paars während des Zweiten Weltkriegs, einer Zeit, in der Finnland zwischen den großen Blöcken, dem faschistischen Deutschland und dem bolschewistischen Russland stand, und die den internationalen Austausch der Vorreiter des Modernismus trübte. Und er hört nicht auf an dem Punkt, an dem Aino Aalto stirbt, Alvar ohne sie weitermachen muss.
Bereits kurz danach lernt er seine zweite Frau Elissa kennen, die auch Ainos Platz als kreative Partnerin Alvars einnimmt. Trotzdem kommt der Film immer wieder auf die Beziehung des Ursprungspaars zurück. Elissa, der im Film eigentlich ein eigenständiger Einfluss zugestanden werden soll, erscheint darin trotzdem vor allem wie eine Stellvertreterin für Aino, die ihre riesigen Fußstapfen nie ganz ausfüllt. So endet die Doku, die sich ab dem Tod der ersten Frau doch ein wenig zieht, mit einer Ode an "die große kleine Aino". Und vielleicht ist auch eigentlich sie im Titel gemeint.
"Aalto – Architektur der Emotionen", auf Mubi
Alle reden über den Kanon - und dass er ein ziemlich beschränktes Bild der Kunstgeschichte liefert. Wie aber kommt es, dass einige Maler (und wenige Malerinnen) sich ins kollektive Gedächtnis gebrannt haben - und so viele andere eben nicht? Die Dokumentations-Reihe "Das Geheimnis der Meister" versucht mit verschiedenen Experten zu klären, warum einige Künstler über Jahrhunderte nichts von ihrer Faszination verlieren und welche Geheimnisse ihre Werke preisgeben können.
Unter die Lupe genommen werden hier unter anderem die niederländischen Maler Jan Vermeer (warum fesselt der Blick des Mädchens mit dem Perlenohrring so andauernd?), Hieronymus Bosch, Karel Appel und Vincent Van Gogh. Auch Claude Monet und William Turner werden untersucht. Und selbst Kunstkenner können hier noch Neues lernen.
"Das Geheimnis der Meister", ZDF Mediathek, bis 2025
Kunstwerke als Kurzfilme
Warum ließ der dänisch-isländische Künstler Olafur Eliasson mitten in Paris Eisblöcke schmelzen, wozu verkaufte David Hammons in New York Schneebälle, und was war gleich Valie Exports "Aktionshose Genitalpanik"? Als filmisches Lexikon für spektakuläre Werke lässt sich die Arte-Reihe "Klash! Kunst in Aktion" verstehen, die in circa drei Minuten besonders aufsehenerregende, provokante und politische Performances der jüngeren Kunstgeschichte vorstellt.
Die meisten der 20 ausgewählten Arbeiten, darunter "Faust" von Anne Imhof oder die Schießperformances von Niki de Saint Phalle, dürften halbwegs kulturinteressierten Zuschauerinnen bekannt sein. Trotzdem lässt sich durch die Kurzfilme der eigene Gedächtnis-Kanon auffrischen, oder man kann die Serie auch als Verdichtung menschlichen Einfallsreichtums sehen. Die über allem schwebende Frage, ob die Werke ihren politischen Anspruch in irgendeiner Form einlösen konnten oder doch eher als Spektakel in die Kunst-Annalen eingehen, bleibt dabei unbeantwortet.
"Klash! Kunst in Aktion", Arte-Mediathek, bis 2025