Berlin

12 Gallery-Weekend-Highlights, die jetzt noch zu sehen sind

So viel Kunst und so wenig Zeit: Hier sind die Empfehlungen der Redaktion für Galerie- und Projektraumausstellungen in Berlin


Von Elke Buhr, Sebastian Frenzel, Jens Hinrichsen und Saskia Trebing

 

Alexandra Bircken bei BQ


Wir haben es immer geahnt: Frauen sind gar nicht unbedingt die zarten, liebevollen Geschöpfe, wie es – wer noch mal? – behauptet hat. Alexandra Birken zeigt in der Galerie BQ zwei Bronzearbeiten, mehrere Skulpturen aus industriellen Bestandteilen und aus Polyacryl gewebte Bilder. Die maschinengestrickten Bildwerke weisen entweder gediegene Farbklänge oder kräftige Farbkontraste auf. Man muss schon etwas genauer hinschauen, um die kriegerischen Motive zu entdecken, die sich hier eingeschlichen haben, seien es Kalaschnikows, sei es die Klinge einer Guillotine, die in Form einer Diagonale aus einem sonst rechtwinkligen Pattern heraussticht. Unter dem "Messer" verläuft ein längliches blutrotes Feld, das die Scharfrichterthematik hervorhebt. Der Titel "La Raccourcisseuse (Die Kurzmacherin)" entspricht einem volkstümlichen Spitznamen des von einem Dr. Guillotin erfundenen Fallbeil. Die (französische) Revolution ist nicht genderspezifisch. Bircken selbst ist weit davon entfernt, sich als Engel zu stilisieren. Stattdessen empfindet sie anhand zweier lebensgroßer Puppen, die auf Busgestühl sitzen und von denen die hintere das Gesicht der Künstlerin trägt, eine Szene aus ihrer Jugendzeit nach. Einer wildfremden Mitfahrerin schnitt Bircken mit einer Schere unbemerkt eine Haarsträhne ab.

"Musterung" lautet der Titel von Birckens fünfter Soloausstellung in der Weydingerstraße. Einerseits spielt die Überschrift auf die Muster der Strickarbeiten an, andererseits, im Sinne von "Rekrutierung", trifft er einen Nerv in einer von Krieg geprägten Zeit. Das Martialische, die Verknüpfung menschlicher Körper mit Maschinen, das ist bei Bircken nicht neu. Das Kabelgestrüpp aus einem Auto ("Efeu Elektro") wirkt wie ein freigelegtes Nervensystem. Die Tanks von Motorrädern, die Bircken auf Stelen setzt, lassen an anonymisierende Kriegermasken denken. Eine Kunst, die im Jahr Eins der Zeitenwende besonders – trifft.

Alexandra Bircken "Musterung", BQ, bis 1. Juli
 


Bjørn Melhus bei Ebensperger Berlin


Seine Spezialität sind Videoarbeiten, in denen sich Bjørn Melhus selbst in verschiedenen Rollen inszeniert, die Soundtracks und insbesondere die Stimmen aber aus Filmen, meistens Hollywoodproduktionen stammen. Diese Praxis, die ein bisschen an Playback-Musikdarbietungen erinnert, nimmt Melhus in seinem Endzeit-Video "Homesick" wieder auf. Das Werk erlebt seine Ausstellungspremiere im Keller der Galerie Ebensperger, die in einem ehemaligen Krematorium residiert. Im Keller des Films hausen mehrere von Melhus verkörperte Figuren, die sich vor einer bedrohlich gewordenen Außenwelt im Halbdunkel verborgen halten: Aussätzige, ein Zyniker, ein unbedarftes Zwillingspaar, ein die Situation halbwegs kontrollierender Mann im Schutzanzug. Zu hören sind Geräusche und Sätze aus Katastrophen- und Eremitenfilmen: "Can I make a telephone call?", bittet die Stimme von Bruce Willis aus "12 Monkeys", die Melhus sich lippensynchron aneignet. Eine andere Figur zweifelt – wie Keanu Reeves in "Matrix" – an einer unumkehrbaren Entscheidung: "Why didn't I take the blue pill?!".

Über andere Kellerräume bei Ebensperger erstreckt sich ein Environment, in dem lauter Lampen und Lichter SOS morsen. Der Ausstellungstitel "[Dramatic Music Continues]" stammt von einer Arbeit, die auf eine Wand im Erdgeschoss projiziert wird, ein Film, der weder Bilder noch Töne wiedergibt, sondern lediglich Geräusche beschreibende Untertitel, die Gehörlose bei DVDs oder Streamingdiensten zuschalten können. Die "closed captions" lassen auf Kriegsfilme schließen: "[guns cocking]", "[fighter jets rumpling]", "[distant screaming]". Die Arbeit transportiert nicht nur die Bedrohung des Angriffskriegs, die uns seit dem letzten Frühjahr erfasst hat, sondern auch die distanzierte Haltung eines (westeuropäischen) Publikums, das Surrogate des Krieges einer tieferen Auseinandersetzung mit dem Thema vorzieht.

Bjørn Melhus: "[dramatic music continues]", Ebensperger Berlin, bis 17.Juni
 


Andreas Eriksson bei Neugerriemschneider


In der Lobby der Galerie Neugerriemschneider deckt ein Vorhang aus roter Wolle eine gesamte Wand ab. Das geometrische Textilmuster auf dem Vorhangstoff imitiert die Fassade des klassischen schwedischen Holzhauses, in dem der schwedische Künstler Andreas Eriksson in der Nähe von Stockholm arbeitet. Während eines ganzen Jahres, in dem die durch Corona bedingten Infektionszahlen besonders hoch waren, schottete sich Eriksson in seinem Studio fast vollkommen ab. Der Künstler nutzte die Zeit, um seine Kunst frei von selbst auferlegten Erwartungen weiterzuentwickeln. In der Soloausstellung "year in, year out" werden Malereien – mit Öl oder Eitempera – handgewebte Textilbilder und Siebdrucke aus dieser Schaffensphase präsentiert. Die prozesshaft entstandenen, abstrakten Bilder lassen Zeitverläufe spürbar werden. An den jeweiligen Farbklängen wird sichtbar, in welcher Jahreszeit das jeweilige Werk entstanden ist. Eriksson malt sozusagen die Seele der Landschaft. Vor allem seine Gemälde strahlen eine meditative Ruhe aus, die die Betrachtenden lange zu fesseln vermag.

In weiteren Räumen von Neugerriemschneider ist eine partizipative Installation von Renata Lucas ausgestellt, für die man eine Ein-Euro-Münze einwerfen muss, um sie in Gang zu setzen. Die Arbeit "short cut", die gegenüber Eriksson geradezu einen Angriff auf kontemplative Kunstbetrachtung darstellt, schärft eher den Blick auf soziale Handlungen. In der Neugerriemschneider-Filiale in der Christinenstraße sind Malereien und Objekte von Jorge Pardo zu sehen, die formal von eisernen Fenstergittern abgeleitet sind, die der in Havanna geborene Künstler in seiner Wahlheimat Mexiko vorfindet.

Neugerriemschneider, alle Ausstellungen bis 27. Mai


Anne Duk Hee Jordan bei Alexander Levy

Anne Duk Hee Jordan "Worlds Away", 2023, Installationsansicht Alexander Levy, Berlin
Courtesy of Anne Duk Hee Jordan and alexander levy. Foto: Marcus Schneider

Anne Duk Hee Jordan "Worlds Away", 2023, Installationsansicht Alexander Levy, Berlin


Wenn man die Galerie von Alexander Levy betritt, kommt man sich vor wie in einem Aquarium. Überall sind fluoriszierende Meerestiere zu sehen, eine Muschel groß wie ein Sofa öffnet ein buntes Maul, und wenn man sich zwischen mit Wassertieren bedruckten Vorhängen auf die Sofas legt, kann man sich in die Tiefsee träumen. Doch bei der Ausstellung "World’s Away" geht es nicht um Naturromantik, sondern um die Frage nach dem Respekt vor der Flora und Fauna, die uns umgibt, und die Rolle des Menschen, der zwangsläufig in verschiedenen Symbiosen mit kleinsten Lebewesen lebt. Was passiert, wenn der Mensch das Gleichgewicht stört, kann man in dem Film "Brekfasten" von Anne Duk Hee Jordan und Pauline Doutreluingne sehen, der tief in die Zerstörungen hinzoomt, die Schädlinge in Gotland in Ulmen anrichten, ähnlich wie die Borkenkäfer in den deutschen Kieferwäldern.

Anne Duk Hee Jordan "Worlds Away", Alexander Levy, bis 24. Juni

 

Adrian Ghenie bei der Galeria Plan B

Adrian Ghenie "The Beginning", 2022
Courtesy the artist and Galeria Plan B Cluj, Berlin, Foto: Trevor Good

Adrian Ghenie "The Beginning", 2022


Die Galerie Plan B ist gerade in neue Räume in einem der markanten Türme am Strausberger Platz umgezogen, und wie liebevoll die DDR-Moderne hier restauriert und aktualisiert wurde, ist allein schon die Reise in den Osten der Stadt wert. Zur Eröffnung zeigen sie neue Gemälde und Zeichnungen ihres wichtigsten Zugpferds Adrian Ghenie: geradezu katastrophisch bewegte Bilder, deren Protagonisten sich in Spiralen und amorphen Formen auflösen. Zu den krisenhaften Metamorphosen wurde Ghenie während der Pandemie angeregt.

Adrian Ghenie, Plan B, bis 13. Mai


Michael Rakowitz bei Barbara Wien

Michael Rakowitz "I’m good at love, I’m good at hate, it’s in between I freeze", 2017/2023 (film still)
Courtesy the artist and Galerie Barbara Wien, Berlin.

Michael Rakowitz "I’m good at love, I’m good at hate, it’s in between I freeze", 2017/2023 (film still)


Leonard Cohen in Ramallah. Er spaziert lässig durch die staubigen Gassen, sitzt auf der Terrasse des Hotels Alhambra und blinzelt melancholisch durch die Sonnenbrille. Es hätte wahr sein können. 2009 hatte Cohen ein Konzert in Ramallah geplant. Doch weil er kurz danach auch in Tel Aviv spielen wollte, sagten die palästinensischen Organisatoren das Konzert ab. Diesen gescheiterten Versuch einer solidarischen Geste wurde für den US-Künstler Michael Rakowitz zum Anlass einer jahrelangen Beschäftigung mit Cohen, der Frage nach kulturellem Boykott und seiner eigenen Haltung zum Zionismus. Rakowitz selbst ist jüdischer Abstammung, allerdings waren seine Großeltern arabische Juden, die nach der Gründung des Staates Israel aus Bagdad vertrieben wurden.

Was Israel tut und was Israel ist, so schreibt Rakowitz in einem kritischen Fanbrief an Cohen, stürze ihn, so wie viele Juden in aller Welt, in eine Krise: "Wegen der Dinger, die sie ausblendet, kann ich die zionistische Perspektive nicht unterstützen", heißt es in dem Schreiben. In dem Film, den Rakowitz aus seinem nie beantworteten Brief an Cohen machte, lässt er nicht nur einen Schauspieler als Cohen durch Ramallah spazieren, er tritt auch selbst in der Rolle des Musikers auf eine Bühne und singt einen Song, nur dass seine Worte nicht zu hören sind. Die Nachlassverwalter Cohens haben die Musikrechte für das Projekt verweigert – die Boykottspirale geht weiter. In Rakowitz' Ausstellung "I’m good at love, I’m good at hate, it’s in between I freeze" in der Galerie Barbara Wien ist nun der Film – als Ruine, wie Rakowitz sagt – gemeinsam mit sorgfältig ausgewählten Dokumenten zu sehen: nachdenklich, poetisch und gleichzeitig hochbrisant.

Michael Rakowitz: "I‘m good at love, I‘m good at hate, it‘s in between I freeze", Barbara Wien, bis 29. Juli


Hiwa K bei KOW


2019 sagte der irakische Künstler Hiwa K im Interview, dass er eigentlich keine Kunst mehr machen wolle. Politische Werke, so wie er sie unter anderem auf der Documenta 14 in Kassel gezeigt hatte, seien gescheitert und schafften es nicht aus der Kunstwelt-Blase heraus. Zum Glück hat es sich 48-Jährige offenbar doch anders überlegt und zeigt neue Arbeiten bei der Galerie KOW in Kreuzberg.

In der größten Installation "Like A Good Good Good Boy" ist zu sehen, wie ein Team aus Arbeitern mit größtem Aufwand ein 1,5 Kilometer langes Seil durch Hiwa Ks Geburtsstadt Sulaimaniyya in der Autonomen Region Kurdistan spannen. Das Tau verbindet schließlich drei zentrale Orte im Leben des Künstlers. Sein (inzwischen zerstörtes) Elternhaus, seine Grundschule und das örtliche Folter-Gefängnis aus der Zeit des Regimes von Saddam Hussein. In den Gesprächen, die Hiwa K während des Projekts auf der Straße und auf dem Schuldach mit Einheimischen führt, wird deutlich, wie sehr diese Institutionen der Disziplinierung das Leben der Menschen prägen. Entstanden sind drei fesselnde Filme, die politisch, aber nah bei den persönlichen Geschichten seiner Protagonisten sind. Dringlich und vielschichtig und alles andere als gescheitert.

Hiwa K "Like A Good Good Good Boy", KOW, Berlin, bis 1. Juli



Kaloki Nyamai bei Barbara Thumm

 

Kaloki Nyamai "Ngoka na mina/ (Dining in Chaos)", 2023
Foto: Courtesy Galerie Barbara Thumm und Kaloki Nyamai

Kaloki Nyamai "Ngoka na mina/ (Dining in Chaos)", 2023


Auf den ersten Blick wirken die großformatigen Werke des kenianischen Künstlers Kaloki Nyamai wie bunte figurative Gemälde. Tritt man jedoch näher heran, entpuppen sie sich als Materialcollagen, auf denen Fotos, Zeitungsausschnitte, Farbe und Stickereien aufeinander geschichtet sind. Seine Serie "Dining in Chaos" zeigt Gestalten, die sich einerseits Muße und Genuss hingeben, gleichzeitig aber von Szenen des Aufruhrs und Protests umgeben sind. All das zusammen ergibt eine ziemlich reiche und komplexe Kunstmahlzeit.

Kaloki Nyama "Dining In Chaos", Galerie Barbara Thumm, Berlin, bis 24. Juni

 

Slavs &Tatars bei Kraupa-Tuskany-Zeidler
 

Slavs & Tatars "Hang Don't Cut", Installationsansicht Kraupa-Tuskany-Zeidler, Berlin, 2023
Foto: K-T-Z

Slavs & Tatars "Hang Don't Cut", Installationsansicht Kraupa-Tuskany-Zeidler, Berlin, 2023


Die Götter haben viele Wege, um mit uns Menschen zu kommunizieren: Sie schicken Donner und Blitze, Engel und Vögel – aber auch Melonen, wie man jetzt in der Ausstellung von Slavs & Tatars in der Galerie Kraupa-Tuskany-Zeidler erfährt. Einer usbekischen Legende zufolge wuchs die Melone ursprünglich nur im Garten Eden. Eines Tages erhielten die Menschen die Melone als Geschenk vom Allmächtigen, der eine Botschaft auf die Melone geschrieben hatte – in Form jener winzigen Risse auf der Schale, die an arabische Schrift erinnern.

Das Muster wiederholt sich nie, sodass die Menschen mit jeder Melone auch neues Wissen erhielten. Nur leider, und so ist das ja fast immer mit göttlichen Botschaften, konnten die Menschen die Botschaften nicht entziffern. In ihrer Ausstellung haben Slavs & Tartars jetzt handgeblasene, melonenförmige Lampen an der Decke installiert und an den Galeriewänden Spiegelarbeiten mit einem "Captcha", das in der Textur einer Melone getarnt ist. Oben die Götter, an den Seiten die Künstliche Intelligenz, und irgendwo dazwischen stehen wir.

Slavs & Tatars feat. Andrey Anro, Dozie Kanu, Mina Masoumi und Lin May Saeed "Hang Don't Cut", Kraupa-Tuskany-Zeidler, Berlin, bis 29. Juli
 


Malcolm Morley bei Capitain Petzel

Malcolm Morley "Lifeguard", 1988
Foto: Jens Ziehe, © The Estate of Malcolm Morley Courtesy Wendy Gondeln

Malcolm Morley "Lifeguard", 1988


Unter Künstlerinnen und Künstlern gilt er schon lange als Legende, einer breiteren Öffentlichkeit ist sein Werk aber noch immer unbekannt – was diese fulminante Ausstellung bei Capitain Petzel hoffentlich ändern wird. Malcolm Morley, der 1931 in London geboren wurde und 2018 in New York starb, gilt als Wegbereiter der fotorealistischen Malerei der frühen 1960er-Jahre wie auch als Pionier des Neoexpressionismus in frühen 1980er, doch auf solche Label und Einordnungen hat er stets gepfiffen.

Wie würde das wohl als Malerei aussehen? Ausgehend von dieser scheinbar naiven Frage hat Morley ein Lebenswerk geschaffen, das an die physischen und psychischen Grenzen geht – und zwar an seine wie an unsere. Ob er Fotografien superrealistisch auf die Leinwand überträgt oder mit wuchtigen expressiven Gesten zulangt – Stile wie Motive sind zweitrangig, denn letztlich handelt Morleys Malerei zuallererst von der Malerei selbst, spüren seine Bilder weniger seinen Vorlagen nach als dem Akt des Sehens. Malcolm Morley hat die Malerei einmal mit LSD verglichen, und sie wirken: Auf seinen Bildern zerfällt die Wirklichkeit in tanzende Atome – und scheint nachher schöner und wertvoller als je zuvor.

Malcolm Morley "Sensations", Capitain Petzel, Berlin, bis 10. Juni

 

Luzia Koch bei Carlier Gebauer 

 


Wenn man die kleine Treppe am Eingang der Kreuzberger Galerie Carlier Gebauer hinaufsteigt, bekommt man kurz das Gefühl, auf ein Portal zuzuschreiten. Bei der vermeintlich geheimnisvollen Tür handelt es sich jedoch um eine Fotoarbeit der brasilianischen Künstlerin Luzia Koch, die das Innere von Kartons ablichtet und die Bilder auf die Größe von Historiengemälden aufbläst. So werden schnöde Fed-Ex-Schachteln oder Weinkartons zu ausladenden Räumen, die auf faszinierende Weise die Wände der Galerie zu öffnen scheinen.

Auch in den anderen Werken ihrer ersten Einzelausstellung bei Carlier Gebauer beweist Koch ihr Gespür für den Raum. Farbige, transparente Panele fächern sich auf wie vervielfachte Fenster, die Formen des Oberlichts werden aufgenommen und scheinen vom Dach herunterzusteigen. Luzia Koch arbeitet oft ortsspezifisch und schafft es so, einen nüchternen White Cube in ein formal reduziertes, aber trotzdem verspieltes Verweislabyrinth zu verwandeln.

Luzia Koch "Light Falls", Carlier Gebauer, Berlin, bis 24. Juni

 

Juan Pablo Echeverri bei Between Bridges

 

"Verlorene Identität" – was nach Krise klingt, war für den 1978 in Bototá geborenen Künstler Juan Pablo Echeverri ein Befreiungsschlag. Schon als Teenager begann er, in der von Katholizismus wie von Gewaltexzessen geprägten kolumbianischen Gesellschaft mit seiner Identität und Geschlechterrollen zu spielen. Von 1998 bis zu seinem Tod 2022 machte er jeden Tag ein Porträt in einem Fotoautomaten, und auf jedem einzelnen dieser über 8000 "Passbilder" sieht er ein wenig anders aus, mischt Moden und Haarschnitte, Genderrollen und kulturelle Codes.

Dass er dabei – anders als etwa die Rollenspielerin Cindy Sherman – gleichzeitig doch immer er selbst bleibt, führt zum Kern seines Werkes: Die Grenze zwischen Selbst und Inszenierung löst sich nicht auf, wird aber total fluide. Trash, Ironie und popkulturelle Verweise durchziehen seine Posen genauso wie Unsicherheit und Angst; sein Blick in die Kamera ist zugleich herausfordernd und zweifelnd.

Ausschnitte der Passbilder-Serie und weitere Fotoarbeiten sind jetzt bei Between Bridges zu sehen, in Echeverris erster Einzelausstellung in Europa. In der unteren Galerie wird zudem eine Auswahl von Echeverris selbst produzierten Musikvideos gezeigt, in der er tanzend und singend zu beliebten Popsongs von ihm besuchter Regionen performt. Die grandios trashige und rührende Serie heißt "Around the World in 80 Gays" - auch Echeverri Werktitel verraten seine große Sensibilität für die Zeichenhaftigkeit der Welt, und wie man sie zum Tanzen bringt.

"Juan Pablo Echeverri: Identidad Perdida", Between Bridges, Berlin, bis 29. Juli