Berlinale-Eröffnungsfilm "She Came To Me"

Meist den richtigen Ton getroffen

Die 73. Berlinale feierte ihre Eröffnung mit der romantischen US-Komödie "She Came To Me". Das Drehbuch weist einige Schwächen auf, trotzdem ist der Film ein vielversprechender Festival-Auftakt

Zwei Stars dominieren die Pressekonferenz zum Eröffnungsfilm der 73. Berlinale. Die eine wirkt zart und introvertiert, die andere eher aufgekratzt: Marisa Tomei – silbern blinkendes Kleid – ulkt schon beim Photocall im Hyatt herum, während Anne Hathaway auf dem Podium zwar strahlt, aber eher so von innen. Hathaway – schwarzes Outfit mit etwas Glitzer – macht sich für die (auch wenn sich das im Berlinale-Rausch leicht überspielen lässt) bedrohte Kunstform Film stark: "Egal welche Art von Kino, wir müssen die Filme lieben."

Und sowohl sie als auch ihre Kollegin Tomei schwärmen von der Regisseurin Rebecca Miller, mit der sie schon als junge Schauspielerinnen liebend gern zusammengearbeitet hätten. Nun ist es so gekommen – und auch in "She Came to Me" verkörpert Hathaway die eher Introvertierte, während Tomei in der New-York-Komödie eine derbe Schleppkahnfahrerin mit dem stürmischen Namen Katrina gibt.

Schauspieler Peter Dinklage (berühmt geworden als Tyrion Lannister in "Game of Thrones") spielt einen schüchternen Tonsetzer mit Komponierblockade, der dank einem One-Night-Stand mit Katrina seine Oper vollenden kann. Nach der Uraufführung hat dieser Steven ein Problem, denn Katrina saß im Publikum und hält sich fortan für seine Muse – was sie im Grunde auch ist, aber Steven will das nicht so sehen. Vielleicht hat er deshalb aus der liebeshungrigen Kapitänin eine Lorelei mit Mezzosopran gemacht, die dem verführten Bariton – dem Alter ego des Komponisten – im Opernfinale den Kopf abhackt: Klarer Fall von Kastrationsangst.

Keine klassische Eifersuchtsgeschichte

Würde vielleicht auch seine Gattin Patricia (Ann Hathaway) konstatieren. Die ist nämlich Psychotherapeutin, wovon es in Manhattan ja besonders viele geben soll. Aber der Beruf füllt Patricia, die ohnehin lieber ihrem Reinlichkeitsfimmel nachgibt, nicht aus. Sie träumt davon, Nonne zu werden.

Kurzum: "She Came to Me" erzählt keine klassische Dreiecks- oder Eifersuchtsgeschichte. Fast alle Figuren träumen hier von einem Leben, das sie sich nicht zu führen trauen. Entweder der Mut oder die Gelegenheit fehlt, einen Schritt in die (bislang ungelebte) Richtung zu tun. (Und das können wir Filmzuschauer nur allzugut verstehen: Ist eine Rom-Com nicht ein wunderbar risiko- und nebenwirkungsfreies Surrogat?)

Nur das junge Paar des Films ist von Anfang an mit sich im Reinen: Mit Julian (Evan Ellison), Patricias Sohn aus erster Ehe und seiner Freundin Tereza (Harlow Jane) kommt ein gewisser Romeo-und-Julia-Aspekt in die Story. Der kleine Altersunterschied – Tereza ist 16, Julian 18 – bringt Terezas mehr als rechthaberischen Stiefvater Trey (Brian d'Arcy) auf den Plan: Nach dem Gesetz hat der volljährige Julian Missbrauch begangen, als er mit Tereza schlief.

Beeindruckendes Bild vom gespaltenen Amerika

Ihre Mutter Magdalena (Joanna Kulig) ist nicht ganz unschuldig daran, dass ihr Mann den Knaben nun vor Gericht zerren will. Aber Magdalena bereut. Praktischerweise arbeitet sie als Putzfrau in Patricias und Stevens Wohnung (bei dieser Verlinkung wirkt das Script nun doch einen Tick zu reißbrettartig), somit kann sich dank Stevens Verbindung zum Hafenmilieu schließlich ein Silberstreif am Horizont des Hudson River zeigen.

"She Came to Me" funktioniert trotz der Drehbuchschwächen – Rebecca Miller hat einfach zuviel in die Story hineingestopft – dank einer wunderbaren, bis in kleinste Rollen perfekten Besetzung. Eine glänzende Idee ist das Zeltlager, in dem der reaktionäre Trey und andere Historienfans die Zeit des Sezessionskriegs nachspielen. Als wären wir am Mississippi gelandet.

Die "Südstaatensequenz" – auch Frau und Stieftochter werden von Trey in historische Kleider der Konföderierten gesteckt – ist ein großartiges, auf subtile Art parodistisches Bild der Spaltung des heutigen Amerika. In Ansätzen zeichnet sich also schon zum Auftakt ab, dass sich die Berlinale immer noch als ausgesprochen politisches Filmfest versteht, sogar bei einem Film, der gar nicht im Wettbewerb läuft. Das Rennen um den Goldenen Bären ist (gut) eröffnet.