Instagram-Aktion der Berlinischen Galerie

Das Museum dankt für Ihr Verständnis

Die Berlinische Galerie ist gerade wegen Umbau geschlossen, sorgt aber mit kryptischen Instagram-Posts für Verwirrung. Dahinter steckt der Meme-Künstler Cem A., der die Grenzen zwischen Ausstellung und Marketing verwischt 

Am 20. April war etwas anders. An diesem Tag postete die Berlinische Galerie (BG) auf Instagram das Foto eines Hinweisschilds, das den Beginn einer Serie markieren sollte, deren Urheber und Kontext, ganz entgegen der gewohnten Manier des Museums, bis heute offiziell unklar sind. Das Schild trägt die Inschrift: "The Museum is closed to take a Moment to reflect. Thank you for your understanding". Dass die BG seit dem 7. Februar und noch bis zum 25. Mai geschlossen ist, ist bekannt. Grund dafür ist ein Umbau zur Umstellung auf energiesparende LED-Beleuchtung. Also, man weiß Bescheid, das Museum ist zu. Aber ja wohl eigentlich nicht zum Reflektieren?

Nicht nur die Bildsprache hebt sich von den vorangehenden Posts der Institution ab – meist Fotos auf weißem Grund. Auch eine Erklärung fehlt. Weder in der Bildunterschrift noch in den Kommentaren gibt es Informationen zu Autorschaft und Kontext, nicht mal Fotocredits sind angegeben. Unklar ist deshalb auch, ob es sich um eine offizielle Ankündigung oder vielleicht sogar um Kunst handelt.

Die serifenlose Schrift auf dem geposteten Schild ist typisch für Straßenschilder. So geht man zunächst von etwas Offiziellem aus, merkt dann aber schnell, wegen des Inhalts und vielleicht auch aufgrund der Großschreibung von "Museum" und "Moment", dass der erste Eindruck täuscht. Irgendwie mysteriös. Die Kommentarspalte ist amüsant. Hier scheint auch niemand mehr zu wissen. Ein Nutzer schreibt: "I thought museums were open to take a moment to reflect." Darunter: "staff retreat in process", "Oh, wo ist das, in London?" oder: "hoffentlich überdenken sie mal ihr elitäres ausstellungskonzept welches nur erfolgskünstler unterstützt". Die Institution hält sich weiterhin bedeckt. Ihre einzige Antwort lautet: "Thank you for your understanding."

Wenn Vögel im Museum nisten

Zwei Tage später erscheint ein neues Foto. Diesmal hält eine Person ein Schild. Auf diesem steht: "The Museum is closed due to Birds nesting in the Gallery. Thank you for your understanding." Ein paar Tage später wiederholt sich das Muster mit einer anderen Person, die nun folgende Lettern in die Kamera hält: "The Museum is closed to give the Artist some space. Thank you for your understanding." Die beiden darauffolgenden Schilder-Posts begründen die Schließung ganz konkret: Der Kurator hat seinen USB-Stick verloren, und es gibt zu wenig bezahlbaren Wohnraum in Berlin.

Im Gespräch mit einer Künstlerin erfahre ich durch Zufall, dass Cem. A hinter der Aktion steckt. Ich bitte um ein Treffen und tags darauf treffe ich ihn und Linus Lütcke, der den Bereich digitale Kommunikation der Berlinischen Galerie leitet, über Zoom. Cem. A ist Meme-Künstler. Als @freeze_magazine macht er sich auf Instagram über die Kunstwelt lustig. Dabei übt er auf ironische Weise Kritik an Themen, die eigentlich gar nicht so lustig sind, aber eben Teil der Lebensrealität vieler Künstler: Prekarität, Scheitern oder Arbeitslosigkeit.

In unserem Gespräch bestätigt Cem A.: Er ist Urheber der Schilder-Posts auf dem Instagram-Account der Berlinischen Galerie. Diese will er als künstlerische Intervention interpretiert wissen. Getauft hat er sie "Thank you for your understanding". Die Aktion läuft noch bis zum Ende der Schließung am 25. Mai. Parallel zu ihrem Erscheinen im digitalen Raum tauchen die Schilder physisch auf dem Vorplatz des Museums auf. Auf die Frage hin, ob die Intervention in Zusammenhang mit einer Marketingstrategie der Berlinischen Galerie steht, antwortet Lütcke: "Man neigt dazu, Dinge als Marketing zu betrachten, weil sie in den Sozialen Medien stattfinden. Für mich kann Instagram einfach als eine weitere Plattform fungieren, die die Institution zur Verfügung stellt." Cem A. stimmt zu. Er betrachtet die Posts als digitale Ausstellung.

Künstler spielen Institution

Museen arbeiten stetig an der Verbesserung ihrer Zugänglichkeit. Wenn ein Museum physisch geschlossen ist, bleibt die digitale Interaktion. Das kennen wir aus Pandemiezeiten. Aus diesen hat die Berlinische Galerie gelernt und bietet Onlinepräsentationen von Kunstwerken und Videoarbeiten an, außerdem gibt es eine Reihe an Podcasts. Und wer will, kann sich im Netz durch die Sammlung klicken. Wie Lütcke erklärt, kommt es bei einer Museumsschließung zu einem Phänomen, das die Distanz zwischen Publikum und Institution noch vergrößert: Menschen, die in der Institution arbeiten, verschwinden. Stattdessen erscheinen Schilder.

In diese Distanz will nun Cem A. hineingrätschen. Für seine Intervention nutzt er die formal-offizielle Anmutung des Genres Schild, um "Dinge zu sagen, die die Institution selbst niemals sagen würde." Das hat er bereits im Februar 2023 im Louisiana Museum nahe Kopenhagen getan. Für das Haus gestaltete Cem A. acht fiktive Ausstellungsplakate, ein weiteres Genre institutioneller Kommunikation.

Indem er sich die Corporate Identity der Institution aneignete, konnte er genau das tun, was er nun auch auf dem Instagramaccount der Berlinischen Galerie versucht: Institution spielen. So schafft A. ortsspezifische Interventionen auf Grundlage der Strategien eines Memes. Denn genau so funktionieren diese ja: Visuelle Codes aus dem kulturellen Gedächtnis werden sich angeeignet und in neue Beziehungen gesetzt. Im besten Fall gehen sie dann viral.

Das geschlossene Museum wirkt offener

Genau das wünscht sich die Berlinische Galerie natürlich auch. Denn am liebsten kritisiert sich die Institution ja dann selbst, wenn sie davon profitiert. Auf Instagram ist das Publikum der Berlinischen Galerie jünger und internationaler als im physischen Ausstellungsraum. Tatsächlich, erklärt Lütcke, erzielten die Posts bislang überdurchschnittlich viele Likes und Reaktionen in den Kommentaren. "Und das obwohl, oder gerade weil die Institution nicht ihrer Rolle entsprechend auftritt, nicht erklärt und informiert."

Auf Instagram oder in anderen sozialen Medien müssen sich die Museen mit ihren Posts gegen verkleidete Hundewelpen und nützliche Küchenhacks durchsetzen. Das ist gar nicht so leicht, und es scheint nachvollziehbar, dass Cem A.s nicht auf den ersten Blick einzuordnenden Posts mehr Reaktionen hervorrufen als Kunstwerke auf weißem Grund mit informativem Text. Lütcke sagt dazu: "Je weniger die Institution als Institution auftritt, umso spannender scheint sie zu werden. Obwohl das Museum geschlossen ist und die Schilder das auch aussagen, wirkt das Museum dadurch paradoxerweise offener."

Institutionen befinden sich deshalb in einer Phase, in der sie ihre Strategien neu ausloten müssen. Cem A.s Intervention zeigt, dass die Berlinische Galerie diese Problematik erkannt hat und bereit ist, neue Wege im digitalen Raum zu beschreiten. Der Instagram-Account eines Museums wird nicht auf dieselbe Weise wahrgenommen wie eine Ausstellung in dessen physisch begehbaren Räumen. Genau das will Cem A. hinterfragen. Kann eine Serie von Posts als Ausstellung gelten?

Neue Arbeits- und Denkweisen sind nötig

Spannend ist auch, dass Lütcke, der sich um die digitale Kommunikation der Berlinischen Galerie kümmert, für diese Intervention wie ein Kurator agiert. Ein Anzeichen dafür, dass durch das Verwischen der Grenzen zwischen digitalem und physischem Raum neue Arbeits- und Denkweisen nötig werden. Dabei ist die Kuration dynamisch. Cem A. entscheidet gemeinsam mit Lütcke auf Basis der Kommentare unter den Posts, welches Schild als nächstes folgen soll.

Institutionskritik ist seit den 196er-Jahren en vogue. Seitdem wurde sie aber auch in den Dienst der Museumsinteressen genommen, Stichwort Institutionalisierung der Institutionskritik. Auch die künstlerische Geste, den geschlossenen Ausstellungsraum auszustellen, entstand zu dieser Zeit. Damit bezieht sich A. auf eine Reihe kunsthistorischer Präzedenzfälle: Für seine "Closed Show" in Mailand versiegelte der französische Künstler Daniel Buren 1968 den Eingang der Galerie Apollinaire mit grün-weißen Streifen. Ein Jahr später brachte Robert Barry für sein "Closed Gallery Piece" einen Zettel an die Tür der Galerie Art + Project in Amsterdam an, auf dem stand: "For the exhibition the gallery will be closed."

Es waren jedoch Christo und Jeanne-Claude, die die Geste des Schließens zum monumentalen Symbol machten. Mit ihren Verhüllungen seit 1968 – damals packten sie die Berner Kunsthalle ein, ein Jahr später dann zum Beispiel auch das Chicagoer Museum für zeitgenössische Kunst – zeigten sie, dass durch die Aufmerksamkeit, die den verhüllten Gebäuden zukommt, nicht weniger, sondern mehr physische Präsenz entsteht. Zwar brachten sie keine Schilder an, aber mit den riesigen Planen verstofflichten sie im Grunde die Aussage eines Hinweisschilds zur Schließung.


2016 ließ die deutsche Künstlerin Maria Eichhorn die Chisenhale Gallery in London für ihre Ausstellung mit dem Titel "5 Wochen, 25 Tage und 175 Stunden" vom 23. April bis 29. Mai schließen. Eichhorn verlangte von der Galerie, den Mitarbeitern weiterhin ihr Gehalt auszuzahlen, arbeiten sollten sie dafür aber nicht. Stattdessen gab ihnen die Künstlerin freie Hand, ihre Zeit ganz nach ihrem Gusto zu gestalten. Der Galerieraum blieb leer, zu sehen war: Ein Schild an der Tür. Wie Cem A. im Gespräch offenlegt, sind diese Meilensteine westlicher Kunstgeschichte Werke, auf die er sich mit seiner Intervention bezieht.

Leute, die Schilder hochhalten, fotografierte Gillian Wearing bereits 1992 und 1993 in London. Die Künstlerin bat Passanten, ihre Gedanken auf ein Stück Papier zu schreiben und in die Kamera zu halten. Die Arbeit "Signs That Say What You Want Them to Say and Not Signs That Say What Someone Else Wants You to Say" entstand während der Rezession. Die Schilder sind Zeugnisse einer Zeit, zu der anfällige Märkte, rekordhohe Ölpreise und Arbeitslosigkeit die Menschen verunsicherten. Ein Mann im Anzug hält ein Schild, auf dem steht: "Ich bin verzweifelt".

Ein weiteres, aktuelles Vorbild für "Thank you for your understanding", ist, wie Cem A. sagt, der Account @dudewithsign. Acht Millionen Follower sind dabei, wenn sich ein junger Mann in New York City auf die Straße stellt und immer wieder neue Botschaften in die Luft hält: "Being the Wine Taster Is Too Much Pressure", "Stop Putting Empty Things Back in the Refrigerator" oder auch "Just Connect Me To A Fucking Representative".

Institutionskritik als Meme

Die Tatsache, dass Leute zufällig davon erfahren, dass Cem A. hinter der Intervention steckt, hat der Künstler einkalkuliert. Im Gespräch erklärt er, dass er parallel zur Weiterverbreitung im digitalen Raum eine Eigendynamik der Schilder-Geschichte in der sozialen Realität erreichen wollte. Um seine Schilder in die Kamera zu halten, lud er deshalb neben dem Direktor der Berlinischen Galerie, Thomas Köhler, Freunde und Bekannte ein, allesamt Haupt- und Nebenfiguren der Berliner Kunstbubble: Bo Melanie Liu, Hans Krestel, Zoë Claire Miller, Ahmet Öğüt, Mine Serizawa und Christine Sun Kim. Cem A. resümiert: "Was Institutionen machen, ist immer lange im Voraus geplant. Deshalb entsteht selten eine Eigendynamik oder Spannung wie hier."

Indem er mit dem Projekt die Grenzen zwischen ortsspezifischer und digitaler Intervention verwischt, hofft Cem A., Menschen zu motivieren, sich mit Kunst im digitalen Raum genauso ernsthaft zu beschäftigen wie mit der im physischen Museum. Ein Tool für die Demokratisierung der Kunstkritik ist für A. die Kommentarspalte.

Mit der Intervention aktualisiert er die künstlerische Strategie der Institutionskritik im Medium des Memes. In Anschluss an ihre kunsthistorischen Vorgängerinnen wirft die Aktion politische Themen auf. Einerseits fragen die Schilder ganz konkret: Wem kommt das Privileg zu, sich einen Moment zur Reflexion zu gönnen? Welchen Beitrag zum Umweltschutz leistet das Museum? Und wie lässt sich der Mangel an bezahlbarem Wohn- und Arbeitsraum verbessern? Darüber hinaus eröffnet die Intervention aber auch die Metafragen: Wer spricht mit der Stimme der Institution? Welche Möglichkeiten gibt es, diese neu zu denken? Und welche Rolle hat die Kritik?