Saisonstart im Rheinland

Clowns & Helden

Ein Fluss, zwei Groß­städte, rund 50 Galerien: das sind die Zutaten zum Kunstwochendende DC Open in Köln und Düsseldorf. Ein Spaziergang mit allen Highlights

Unser Rundgang beginnt diesmal in Köln, und er beginnt mit einem absoluten Klassiker. Über Jahrzehnte hat sich der französische Maler Pierre Soulages mit der Wirkung der Farbe Schwarz auseinandergesetzt – er starb im vergangenen Jahr im biblischen Alter von 102 Jahren. Seine Werke zeigt die nah am Kölner Dom ansässige Galerie Boisserée zu ihrem ebenfalls beachtlichen 185-jährigen Jubiläum. Die Ausstellung umfasst mit Aquatintaradierungen, Lithografien und Siebdrucken alle Techniken, in denen Soulages seine Motive realisiert hat.

Nebenan bei Karsten Greve geht es ähnlich düster zu. Claire Morgan zeigt in ihrer Soloschau "I only dared to touch you once I knew that you were dead" ihre erste figurative Werkgruppe, in der neben Tieren auch weibliche Figuren die zentralen Prota­gonisten stellen. Skulpturen aus Wachs, Textilien, Tierhaut und Haaren sind in einer sich durch den Ausstellungsraum entfaltenden Erzählung miteinander verbunden. "Ich versuche nicht, den Tierhäuten die Illusion von Leben einzu­hauchen, noch verschleiere ich ihren unvollkommenen Zustand", sagt Morgan. "Ich navigiere durch unsere Bruchstellen, die Spannung zwischen Verletzlichkeit und Macht, zwischen Gemeinschaft und Kolonialisierung."

"Andropause" heißt etwas kryptisch die Einzelschau von Alex Wissel, die bei der Galerie Nagel Draxler zu sehen ist. Der Meisterschüler von Rosemarie Trockel versteht sie als Erinnerungs­arbeit an seine Studienzeit an der Kunst­akademie Düsseldorf unter dem Rektorat von Markus Lüpertz. Seine Veranstaltungsreihe "Single Club" (2011/12) in einer albanischen Glücksspielbar errang in Party- und Künstlerkreisen Kultstatus.

Was Skulptur sein kann und was Humor damit zu tun hat, ist dagegen seit Jahrzehnten das Thema von Georg Herold, ehemaliger Professor für Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf. Er zeigt bei der Galerie Thomas Zander im rheinnahen Stadtteil Rodenkirchen eine Werkschau mit alten und neuen Arbeiten, zu seinen Materialien gehören Dachlatten, Kaviarkörner und Ziegelsteine.


Ganz in der Nähe in der Südstadt widmet sich die 93-jährige Rosalind Fox Solomon bei Julian Sander der menschlichen Natur. Die US-Amerikanerin fängt in ihren Fotografien mit Vorliebe kuriose Momente ein. In ihren frühen Arbeiten fotografierte sie zerbeulte Puppen auf Flohmärkten, um sich in der Porträtmalerei zu üben. Vom Karneval in Guatemala bis zum Mardi Gras in New Orleans, Fox Solomon war seit jeher von maskierten und geschminkten Gesichtern fasziniert. "Ich mag die Symbolik und Metaphern, die sie darstellen", sagt sie. "Sie sind eine Möglichkeit, sich zu verstecken. Eine Möglichkeit, kreativ zu verschleiern, was unter der Oberfläche vor sich geht."

Die Figur des Clowns weiß wie Fox Solomon auch die 1991 geborene Jody Korbach zu schätzen. Sie studierte an der Kunstakademie Düsseldorf bei Tal R, Christopher Williams und Johannes Paul Rae­ther. "Hans Schnier spielt nur noch Stadtteil-Feste" heißt ihr Solo bei Martinetz im Belgischen Viertel.

Hans Schnier, der Antiheld aus Heinrich Bölls Roman "Ansichten eines Clowns", ist für Korbach die Vorlage für einen ambivalenten Charakter, die Verbindung des traurigen Clowns mit dem alkoholkranken Künstler. Weitere Mitspieler in Korbachs bundesrepublikanischer Farce sind der Schwäbisch-Hall-Fuchs, sich selbst bespiegelnde Sparkassen-Logos und Biermarken aus Zeiten, in denen der Rausch offenbar ins Stocken geraten war.


Einige Straßenecken weiter ist zumindest auf florale Exzesse noch Verlass. Martina Kaiser setzt mit "Arcadia. Untamed Realms" auf Arne Quinze und dessen großformatige Gemälde von Wildblumen, Schneekirschen und Duftnesseln. Bewegt man sich noch tiefer ins Stadtinnere, stößt man bei Gisela Capitain auf die unberechenbare Malerei der 1988 geborenen Kanadierin Liza Lacroix. Ihre gefühlsgeladenen Abstraktionen funktionieren wie durcheinandergebrachte Musiknoten.

Je mehr man sie einer figurativen Ordnung zu unterwerfen versucht, desto schiefer gerät die Melodie. Außerdem ist in den Räumen in der Albertusstraße die in Oslo ansässige Galerie Standard zu Gast, mit aufeinander abgestimmten Arbeiten von Nina Beier, Julia Rommel und Simona Runcan.

Mit der Ausstellung "Spot on!" rheinabwärts bei Beck & Eggeling kann man in die Vergangenheit und Gegenwart des elektrischen Lichts reisen. Jede Lampe soll eine Zeitkapsel sein, die für eine ganze Epoche steht. Hinter den 120 Exponaten stehen Namen wie Achille Castiglioni, Carlo Scarpa, Vico Magistretti, Mario Botta, Ettore Sottsass oder Adolf Loos. Die Designleuchten treten in einen Dialog mit Werken aus der Sammlung der Galerie, darunter Yayoi Kusama, Arman, Heinz Mack, Gotthard Graubner oder Wassily Kandinsky.


Auch diesmal lohnt der Weg in den Stadtteil Flingern, wo sich bei Van Horn der Berliner Künstler Gerold Miller unter dem Titel "Modern sculpture" auf seine ganz eigene Art vom Tafelbild verabschiedet und die Lücke mit monochrom lackierten Objekten füllt, die zwischen Malerei und Skulptur changieren. Eine besondere Präsenz ist von den Arbeiten zu erwarten, die in ihren Transportkisten gezeigt werden – als Bruch zwischen Atelier und Welt, zwischen der Makellosigkeit der Objekte und den Transportwegen der Kisten.

Bei Kadel Willborn ist die klassische Malerei weniger bedroht. Die 1982 in Los Angeles geborene Malerin Heidi Hahn beginnt nie mit Skizzen, sondern entwickelt ihre Kompositionen im Prozess des Malens. Hahn selbst spricht von einem "narrativen Formalismus". Die Figuren ihrer Gemälde – es sind ausschließlich Frauen – werden in alltäglichen Situa­tionen gezeigt, beim Sport, im Schlaf, sich selbst im Spiegel betrachtend. In einer Welt ohne Männer sind Hahns Frauen, wie sie sagt, "in ihrem eigenen psycho­logischen Raum und ohne sich mit dem männlichen Blick auseinandersetzen zu müssen".


In eine Welt aus Klang lädt bei Konrad Fischer die Schottin Susan Philipsz ein. Sie bezieht sich mit ihrer neuen Arbeit "Sokol Terezín" auf ihre 2012 auf der Documenta 13 präsentierte Klanginstallation "Study for Strings". Zu hören bekommt man ein Cello und eine Bratsche. Sie werden von Videoprojektionen begleitet, die Aufnahmen von leeren Räumen des ehemaligen NS-Konzentrationslagers Theresienstadt zeigen. Hinter dem Klang der beiden Streichinstrumente verbirgt sich die Komposition "Study for String Orchestra" des tschechisch-jüdischen Komponisten Pavel Haas. Sie wurde als Filmmusik für den NS-Propagandafilm "Theresienstadt: Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet" von 1944 verwendet. Der Film inszenierte das KZ als "jüdische Mustersiedlung", die den Vertretern des Internationalen Roten Kreuzes vorgeführt wurde.

Bereits zum zweiten Mal verspricht ganz in der Nähe Linn Lühn mit "Arrange Whatever Pieces Come Your Way" – einem Zitat von Virginia Wolf, hinter dem sich die Freundinnen Annabelle Harty aus London und Sheelagh Boyce aus Glasgow verbergen – exquisite Handmade-Kunst. Ihre die Geschichte der abstrakten Malerei spiegelnden Quilts sind handgenäht. "Wir schätzen die Abnutzung der gebrauchten Kleidung", so das Duo. "Und die Geheimnisse, die sie in sich trägt."

Bei Linn Lühn werden sich die Quilts auf Architektur und städtische Strukturen beziehen. Tiefblaue irische Arbeiter­hemden werden mosaikartig zu Textil-Landkarten vernäht. Bis sich ihr poetischer Zauber entfaltet und der schmutzige Schaum vergangener Leben vergeht, springt Martin Boyce mit einem neuen raumgreifenden Mobile ein – ein Dialog, der die Schwerkraft herausfordert und dabei messerscharf die Balance hält.


Dieser Beitrag ist zuerst in Monopol 09/2023 erschienen.