Krise der Istanbul-Biennale

Ein kunstpolitisches Beben

Fähranleger von Karakoy in der Nähe der Galata-Brücke in Istanbul
Foto: Francisco Seco/AP/dpa

Fähranleger von Karakoy in der Nähe der Galata-Brücke in Istanbul

Die Istanbul-Biennale verliert ihre Kuratorin und wird um ein Jahr verschoben. Die Folgen reichen womöglich weit über den Bosporus hinaus. Ein Kommentar

Spätestens seit der Pandemie und den ständig ausbrechenden Kriegen ist es normal geworden, dass der Kunstbetrieb nicht mehr ganz so reibungslos funktioniert, wie man das jahrzehntelang gewohnt war. Doch dass die private Istanbuler Stiftung für Kunst und Kultur (IKSV) am Freitag erst die Verschiebung der für den Herbst geplanten Ausgabe der von ihr seit 1987 organisierten Istanbul-Biennale auf das Jahr 2025 verkünden musste und dann auch noch den Rücktritt von Iwona Blazwick, der eigentlich dafür ausgewählten Kuratorin, ist mehr als ein Knick in der Routine. Er stellt ein mittleres kunstpolitisches Beben dar – mit Folgen womöglich über den Bosporus hinaus.

Nach außen hin zieht die Stiftung die überfälligen Konsequenzen aus der Kritik an der missglückten Ernennung Blazwicks im vergangenen Sommer. Die 68-Jährige, langjährige Direktorin der renommierten Londoner Whitechapel Gallery und seit 2021 Chefin der Königlichen Kommision AlUla in Saudi-Arabien, die das gleichnamige Kunstfestival in einer Wüstenoase durchführt und zusammen mit dem Centre Pompidou ein neues Museum für moderne Kunst aufbauen soll, war in einem undurchsichtigen Verfahren der eigentlich von der Auswahlkommission vorgeschlagenen in Berlin lebenden Kuratorin Defne Ayas vorgezogen worden. Aus Protest waren Mitglieder der Findungskommission der Biennale zurückgetreten, in der Szene regte sich Protest, schließlich trat Ende 2023 sogar die langjährige Biennale-Direktorin Bige Örer zurück, als deren Protegé Blazwick galt – beide wohnen in London. 

Für die Istanbuler Kunstszene ist die Entwicklung einerseits ein Schlamassel. Denn damit gibt sich eine der letzten verbliebenen liberalen Öffentlichkeiten eine Blöße in einem Moment, in dem der AKP-Staat schon lange nach Möglichkeiten sucht, ein Bein in die Tür dieses Residuums zu bekommen. Der Auftritt von Präsident Recep Tayyip Erdoğan bei der Eröffnung des privaten Kunstmuseums Istanbul Modern im vergangenen Frühsommer, das wie die IKSV zum Imperium des Unternehmerclans Eczacıbaşı gehört, war ebenso ein Zeichen für die subtile Umarmungsstrategie wie die Tatsache, dass der türkische Kulturminister Mehmet Nuri Ersoy in den letzten Jahren auffällig häufig bei Ereignissen der IKSV auftrat.

Der türkische Staat könnte die Schwäche nutzen

Der türkische Staat könnte die temporäre Schwäche der an sich verdienstvollen Institution nutzen, um das – wegen der Außendarstellung des Landes – prestige- und einflussreiche Verfahren der Präsentation des türkischen Pavillons auf der Biennale von Venedig, an sich zu ziehen. Auch das wird von der IKSV organisiert.

Auf der anderen Seite ist die Entwicklung ein positives Signal. Denn sie zeigt, dass Biennalen, noch dazu in einem autoritären Kontext wie dem der Türkei, mehr Rücksicht auf das Kunstfeld und seine ProtagonistInnen nehmen müssen. Sie zeigt, dass eine Stiftung, die eine so überlebenswichtige Funktion für die Erhaltung und Entwicklung der lebendigen und freien Kunstszene hat, die 2005 noch in einem Titel der US-Zeitschrift "Newsweek" bejubelt wurde, anders geführt werden muss, als ein privates Unternehmen, in dem die Besitzer allein das Sagen haben. 

Insofern hat es sich gelohnt, dass die Kunstszene vor Ort nach der Blazwick-Ernennung ein regelmäßig tagendes Forum unter dem Motto "Time To Have Better Istanbul Biennials" gründete, das von der IKSV Klarheit über die Arbeit der Stiftung in der Zukunft, die Kriterien ihrer Entscheidungen, ethische Richtlinien für die Berufung von Kuratorinnen und die Anerkennung der Tatsache forderte, dass sie ein öffentliches Mandat hat. Es hat sich gelohnt, dass die Künstler Ates Alpar, Bengü Karaduman, Kerem Ozan Bayraktar and Yasam Sasmazer ihre Einladung zur Mitarbeit an der von Blazwick organisierten Biennale zurückzogen. Basisarbeit lohnt sich auch im Kunstbereich.  

Was die Istanbuler Kritikerinnen und Kritiker, die von der IKSV überflüssigerweise jetzt in die Nähe von unliebsamen Störern gerückt werden, von der Stiftung forderten, sollte zur Richtschnur für alle Biennalen auf der Welt werden: Transparenz, Verantwortlichkeit und einen Dialog mit dem Umfeld auf der Basis von Fairness und Ehrlichkeit.