Galerist Judy Lybke übers Scheitern und Weitermachen

"Wenn Geld ins Spiel kommt, wird alles schwieriger"

Als kürzlich die Galerie Eigen + Art ihren 40. Geburtstag feierte, wurde vielfach ihre Erfolgsgeschichte erzählt. Dabei stand alles immer wieder auf der Kippe, wie Galerist Judy Lybke sich erinnert

Judy Lybke, Sie gehören zu den erfolgreichsten Galeristen Deutschlands. Wann hatten Sie auch mal Angst?

Als ich drei Mal einen Notartermin verschoben habe. Es ging dabei um den Kauf der Berliner Galerieräume. Die Situation Anfang der 1990er war so, dass alles professioneller wurde. Ich stellte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ein. Kerstin Wahala und Elke Hannemann waren die ersten, dann kamen noch weitere dazu und die mussten natürlich bezahlt werden. Das war bereits ein großer Schritt. Vorher war die Galerie ja eher ein Projekt unter Freunden, also Freunde arbeiten mit und für Freunde zusammen. Da war der Druck noch nicht so hoch. Aber dann, 1992, stand ich vor der Entscheidung, die Räume in Berlin zu kaufen oder es nicht zu tun. Dass ich dreimal nicht zum Notartermin gegangen bin, zeigte, dass ich vor dieser Verpflichtung noch zurückschreckte.

Warum?

Das war ja wie eine Fessel. Wenn man mietet, dann kann man einfach verschwinden. Dann zahlte man einfach keine Miete mehr und konnte damals einfach weggehen. Das war ja vorher so eine Lebenseinstellung, also ich probierte etwas aus, und wenn es nicht klappte, dann hörte ich einfach auf und versuchte etwas Neues. Wenn ich es als Galerist nicht geschafft hätte, dann wäre ich Journalist, Schriftsteller oder Schauspieler geworden. Aber mit einem Kredit bei der Bank geht das alles nicht mehr so einfach. Da ist man gefangen. Gefangen im Kapitalismus. Ich musste mich mit dem Kredit für 15 Jahre verpflichten. Das hieß: Ich musste auf Gedeih und Verderb weitermachen, jeden Monat zahlen, egal was kommt.

Sie hatten auch früh schon andere Ideen.

Zuerst wollte ich Schauspielerei studieren, aber in der DDR ließen sie mich nicht. 1993 bekam ich dann ein Rehabilitationsschreiben, in dem sie schrieben, dass ich jetzt zwar zu alt für ein Schauspielstudium wäre, aber Regie zu studieren, das sei noch möglich. Da überlegte ich kurz. Aber dann machte ich doch mit der Galerie weiter. Ich war diesen Weg ja schon mit vielen Freunden gegangen, die wollte ich nicht im Stich lassen.

 

Welche Anläufe haben als Galerist nicht geklappt?

Wir sind alle 1990 nach Tokio gefahren und haben dort eine temporäre Galerie aufgemacht. Das lief aber nicht, wir schafften es nicht, dort zu verkaufen. Es kamen auch noch andere Versuche hinzu, wie temporäre Galerien 1991 in Paris, 1993 New York und 1994 und 1995 London. Aber auch das wurde alles nichts. Am Ende sind wir immer gescheitert, also besonders finanziell. In so Momenten hätte man auch sagen können: "Scheiße, ich höre mit allem auf." Aber in Berlin, 1992 lief es dann, auch weil man dort noch mit wenig Geld viel ausrichten konnte. Wir haben Messetransporte zum Beispiel selber gemacht und bei Kumpels geschlafen. Wir haben uns so durchgeboxt.

Wie war das auf den ersten Messen?

Also grundsätzlich war es die erste schwierige Phase, als es plötzlich ums Geld ging. Vorher, unter uns Freunden, da ging es nicht um Geld, da gab es keine Preise und keine Verkäufe. Auf der Art Frankfurt wollte dann plötzlich ein Besucher von mir wissen, wieviel eine Arbeit koste. Ich hatte überhaupt keine Idee und lief schnell rüber zum Nachbarstand zu Walter Storms und fragte ihn, ob er mir einen Tipp geben könnte, wieviel ich für jene Arbeit nehmen sollte. Seine Antwort war eine sehr hohe Summe, für mich viel zu hoch. Ich ging dann zurück zu dem Sammler und sagte ihm den Preis, den ich für richtig hielt. Geld spielte ab jetzt eine Rolle. Das war so ein Wendepunkt.

War das für Sie nicht nur ein positiver Wendepunkt?

Nein, nicht nur. Es war schwierig dieses Gefühl zuzulassen, also dass man sich professionalisieren muss. Von einer Freundesgang zu einem Betrieb mit Mitarbeiterinnen und Verkäufen. Wenn Geld ins Spiel kommt, wird alles schwieriger. Dann kommen die Vergleiche, einige Künstlerinnen und Künstler verkaufen besser als andere. Wir haben trotzdem alle weiterhin ausgestellt, unabhängig von ihren Verkäufen.

Wann kam der große Durchbruch?

Also 1995 hatten wir in Köln auf der Messe neben unserem "normalen" Messestand eine Förderkoje nur mit Arbeiten von Neo Rauch. Das war damals schwer, die Arbeiten wollte fast keiner kaufen. Erst 2002 auf der Armory Messe in New York änderte sich das. Auch da zeigten wir eine Arbeit von ihm. Und das wurde plötzlich zu einer Sensation: eine figürliche Malerei! Und auch noch die einzige auf der gesamten Messe. Da haben die Amerikaner angefangen. darüber nachzudenken und zu schreiben – auch Roberta Smith, die Chefkritikerin der "New York Times". Neo Rauch hatte eine Tür aufgemacht, nicht nur für sich, sondern für alle anderen figürlich arbeitenden Malerinnen und Maler weltweit. Zuerst waren die Leute schockiert, aber dann ging es los. Die Leipziger Schule wurde bekannt. Aber das hat fast zehn Jahre gedauert. Neo Rauch vertraten wir ja schon seit 1993 in der Galerie.

Was hilft Ihnen in schwierigen Phasen?

Die Gemeinschaft aus Menschen. Die Künstlerinnen und Künstler und die Mitarbeiter*innen.

Was sind Fallen, in die ein Galerist tappen kann?

Es gab auch bei uns ein paar grenzwertige Momente. Zum Beispiel als es immer mehr Messen gab, da lauerte die Gefahr, dass man zu viele davon macht. Man denkt ja erstmal, dass Messen gut sind, dass man da viel umsetzen kann. Aber das ist nicht zwangsläufig so. Selbst wenn man da gut verkauft, kann man das Geld ja nicht komplett wieder einsetzen. Die Künstler*innen bekommen die Hälfte, es gibt Kosten für den Stand, den Transport, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und vieles mehr. Das setzt einen auch unter Druck, man liefert sich ja jedes Mal der Messe damit aus. Und dann ist man nicht mehr selbstbestimmt.

Welche Lösung haben Sie für sich gefunden?

Wir machen es so, dass wir nur auf Messen gehen, wenn wir dafür das Geld vorher schon zusammen haben. Wenn wir sicher sind, dass wir alles bezahlen können, unabhängig davon, was wir da verkaufen. Dann können wir da auch locker hingehen, unabhängig bleiben und auch nur das zeigen, was wir wirklich zeigen wollen. Ganz ohne Zwangssituation. Man muss auch Distanz zu den Messen halten und darauf achten, dass man sich nicht übernimmt. So kann das Werk der Künstler*innen immer im Vordergrund bleiben. Ansonsten kommt man schnell in eine Schieflage. Am Ende wäre es das Schlimmste, die Künstlerinnen und Künstler nicht mehr bezahlen zu können. Und das war und ist bei uns bis heute oberste Priorität. Wir haben unsere Künstler*innen immer sofort bezahlt.

Ist das nicht selbstverständlich?

Leider nein. Das erfährt man aber nur hinter vorgehaltener Hand. Es kommt häufiger vor, als man denkt, dass Künstler nach Verkäufen nicht bezahlt werden. Eigentlich ist das schon fast gang und gäbe, dann zahlt der Galerist erstmal seine anderen Rechnungen mit dem Geld. Und die Künstler sagen nichts, weil sie Angst haben, dann nicht mehr ausgestellt zu werden. Aber auch das kann ich jedem jungen Galeristen raten: Immer sofort die Künstler zu bezahlen!

Sie sind sehr beständig in der Zusammenarbeit.

Ja, wir bauen Karrieren auf, wir arbeiten sehr lange mit ihnen zusammen. Aber Karrieren zu schaffen, das braucht viel Zeit. Da fängt man klein an, auch mit niedrigen Preisen. Eine Künstler*innenlaufbahn ist ein Marathon. Kunst-Machen ist ein Dauerlauf. Manche äußeren Krisen kann man nicht beeinflussen, wie Corona, Kriege oder Finanzkrisen. Für solche Fälle muss man vorher schon Rücklagen bilden. In guten Zeiten kauft man sich dann halt kein neues Auto, sondern legt Geld zur Seite. Und dann ist es auch ok, wenn es finanziell mal ein halbes oder ein Jahr stockt.

Was ist noch wichtig in der engen Zusammenarbeit mit den Künstlern?

Manchmal brauchen die Künstler*innen auch mal eine Auszeit. Das kann bis zu einem Jahr dauern. Wenn das eintritt, dann bringt es gar nichts, jetzt zu versuchen sie anzutreiben. Das muss man dann halt akzeptieren und einplanen. Und es ist wichtig, dass sie sich diese Pause nehmen können. Manchmal wird auch eine Ausstellung vier Wochen vorher abgesagt. Dann wollen sie plötzlich nicht und sind mit ihren Arbeiten unzufrieden oder halten sie für noch nicht fertig. Auch damit muss man umgehen können, dann wird halt verschoben. Drängen bringt nie etwas, es müssen immer beide dahinterstehen, Galerist und der oder die Künstler*in.

Gab es einen richtigen Kippmoment, an dem die Galerie auf dem Spiel stand?

Nein, den gab es nicht. Vielleicht sind wir auch deshalb seit 40 Jahren unterwegs. Aber wie gesagt, mit den Messen mussten wir aufpassen. Wir sind unabhängig geblieben. 2011 Jahr wurden wir auch mal auf der Art Basel nicht zugelassen.

Warum?

Genau weiß ich es nicht, in der Jury waren wohl viele Berliner. Im Jahr darauf hat es wieder geklappt.

Haben Sie noch einen Tipp für junge Galeristinnen und Galeristen?

Was ich über die Messen sagte, gilt auch für die Sammlerinnen und Sammler. Man sollte sich nie nur von zwei Sammlern abhängig machen. Und nicht alle Werke eines Künstlers oder einer Künstlerin dort hingeben, auch wenn der Sammlerfreund das gerne hätte. Da muss man sich gut aufstellen. Wir haben das auch alles aus dem Bauch heraus gelernt. Im Nachhinein, wenn man dann reflektiert, hat sich vieles als richtig herausgestellt. Aber damals haben wir aus dem Gefühl heraus entschieden.

Wie haben Sie es mit der Zukunft?

1992 gab es in der Auguststraße in Berlin immer noch kein elektrisches Licht in den Laternen. Das heißt, dass es sehr dunkel war, wenn die Sonne unterging. Viele fanden das romantisch. Aber man kann auch nicht immer sagen, dass früher alles besser war. Es ist auch wichtig sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Jetzt ist halt KI ein Thema. Früher standen die Leute ängstlich vor einer Lokomotive. Man darf keine Angst vor Veränderungen haben. Neue Sachen, die kommen, sind mal nützlich und mal wunderbar unnützlich. Auf unserer Internetseite haben wir jetzt "EIGEN + ART Plus" eingerichtet. Da zeigen wir Videos zu jeder Ausstellung. Das war unsere Antwort auf die neue digitale Präsenz, auch während der Corona-Zeit. Wir wollten aber keine 3D-Räume bauen, keine Online-Galerie machen. Stattdessen zeigen wir in den Videos, Interviews und Making-Offs. Das passt viel besser zu uns. Wir machen auch keine NFTs. Man muss nicht jeden Trend mitmachen.

Und die jüngere Generation unter Ihren Mitarbeitern?

Die können heute vieles besser als ich. Früher habe ich ja alles selbst gemacht. Heute gibt es in meinem Team Spezialist*innen für Sales, Presse oder Transporte. Es gibt auch jüngere Sammlerinnen und Sammler, die lieber mit jüngeren Mitarbeiter*innen sprechen und nicht mit mir. Und bei manchen Teamsitzungen werde ich auch mal überstimmt. Dann muss ich erkennen, dass ich nicht recht habe. Aber das ist auch gut so, ich denke ja auch an die Fortführung der Galerie, wenn ich mal 105 oder 106 Jahre alt bin. Gott sei Dank heißt sie nicht Galerie Lybke. Unter EIGEN + ART kann sie einfach weiterlaufen, auch mit den nächsten Generationen.

Sie sind eher ein besonnener Charakter. Nicht so ein nervöser Typ, oder?

Ich bin eher positiv. Und habe immer noch Spaß daran, wenn ein Künstler oder eine Künstlerin mal etwas anders machen und andere Wege ausprobieren will. Oder sich auch mal in Frage stellt. Das macht mir alles keine Angst, sondern Freude – ich gehe gerne auch mal mit unseren Künstler*innen ins Risiko. Das ist doch spannend. Jetzt stellt sich bei mir ja auch nicht mehr die Frage, was ich mal werden will.

Wer weiß, vielleicht in ein paar Jahren doch noch Regie?

Man sollte niemals nie sagen. Aber alle müssen auch nicht immer alles machen. Ich fühle mich wohl so, wie es ist, aber hauptsächlich fühle ich mich unter Menschen wohl und ich halte mich gern in den Werken und Künstlerwelten auf, die ich mag. Das ist die größte Freude für mich.