Meese-Stück an der Volksbühne

Kerstin eben

"Monosau" in der Berliner Volksbühne ist ein Abend von Jonathan Meese, jedoch ohne den Künstler selbst. Ein nervtötendes Missverständnis im Endstadium der Castorf-Nostalgie

Wenn Jonathan Meese jeweils kurz erscheint an diesem Abend, kommt immer gleich Hoffnung auf. Wenn er, klar, die Diktatur der Kunst ausruft, punktiert wie eine Partei, die K.U.N.S.T; wenn er sich Protus Prollotus nennt oder so ähnlich und dabei die Kunst der Proleten fordert (in einem hoch subventionierten Theater); wenn er das "Gesamtkunstwerk Deutschland" als die Antwort auf alle Fragen definiert und dem Jahr 2023 nur Gutes prophezeit. Zwei Sekunden, und die erst nur strapazierte, dann kollabierte Aufmerksamkeit ist zurück. Weil Meese Widersprüche auftischt, als sei es das Natürlichste, pardon: Künstlichste der Welt, weil er ambivalente Pop-Parolen ins Absurde dreht. Weil er Humor hat. Aber leider sind Meeses Auftritte nur flüchtig, flackernde Projektionen auf einem großen Ei, das von der Decke in der Volksbühne hängt.

Der Künstler selbst war bei einer Galerieeröffnung in den Schweizer Bergen. Es entstand eine Terminkollision wegen mehrfacher Verschiebung der Uraufführung von "Die Monosau". Sie basiert angeblich auf einem 500-seitigen Textkonvolut von Meese und ist "garantiert regiefrei", wie es im Untertitel heißt. "Die Monosau" ist ein beispielhaftes Missverständnis. Sie zeigt, wie Performancekunst scheitert, wenn man sie als literarische Vorlage behandelt und inszeniert, als wäre Meese ein professioneller Autor.

Performance lebt vom Einsatz der Person und der Körper der Künstler oder Künstlerinnen, nicht von der alten Theateridee einer Vorlage eines abwesenden Künstler. The artist is not present? Meese ohne Meese ist wie Raven ohne DJ: Kann man machen, aber wozu? Zweieinhalb Stunden rudernde Arme und Dauergebrabbel liefern da leider keine Antwort, außer dass die auf der Bühne das vielleicht toll finden. Wer ohne diese wundersame Volksbühnendroge, die sich alles schön sehen kann, im Parkett sitzt, leidet, auch dies garantiert.

Die Monosau ist Meese selbst

Man sieht Schauspieler, die in ihren lang gezogenen, in die weite, aber nicht volle Volksbühne hinaus posaunten Vokalen und ihrem Echo baden wie Martin Wuttke, auch wenn man dabei vom eh schon unverständlichen Text noch weniger versteht. Und man sieht eine ältere Schauspielerin, die vom ach so flachen Regiekollektiv vielleicht dazu angehalten wurde, sich auszuziehen, allerdings als einzige. Oder steckt dieser Move schon derart drin in den Volksbühnenkörpern, dass sie selbst dachte, das müsse da so? 

In dieser Konstellation wirkt das befremdlich, wenn nicht sogar misogyn, ganz im Gegensatz zum durchgängig nackten Cast bei Florentina Holzingers Arbeiten an dieser Bühne. Bei zwei weiteren Schauspielerinnen wird die längste Zeit nicht klar, was sie da auch noch machen, außer dass sie den nostalgischen Castorf-Duft mit verströmen helfen, der noch in den Ritzen hängt im Erbhof am Rosa-Luxemburg-Platz. Frisch zerstäubt wird nur ab und an der Bühnennebel.

Ein paar Fäden kann man dennoch knüpfen, Zeit zum Überlegen ist ja da. Die Figur der Monosau ist die Chiffre für den Künstler, der nicht integrierbar ist: nicht in politisierte Zusammenhänge, auch nicht in feuilletonistische. Die Monosau ist der autonome Künstler, wenn man es altmodisch ausdrücken möchte. Der Rest, der sich sperrt. Die Monosau ist also Meese selbst.

Alchemistische Transformation von Scheiße zu Gold

Und so erscheint nur folgerichtig, dass seine erste Stellvertreterin Kerstin Graßmann ist, die Schauspielerin aus dem ehemaligen und damals so genannten Behindertenensemble von Christoph Schlingensief. Kerstin eben. Sie trägt den schwarzen Adidas-Anzug, und auf ihrem Shirt steht "1. Mann", damit das klar ist. Wenn sie leicht genervt und gelangweilt den Plot des Trashfilms "Barbarella" mit Jane Fonda nacherzählt, markiert Graßmann von alleine, dass auch die Kollektivregie Ideen hervorbringt, die ihr nicht passen. Und wenn sie anfängt zu singen, ohne das Zeichen der dreiköpfigen Band (Geige, Gitarre, Cello vom Solistenensemble Kaleidoskop) abzuwarten, geht sie schon wieder eigene Wege. Meistens sitzt sie aber nur da, raucht und guckt zu, wie die andern Textmassen loszuwerden versuchen.

Im Kern geht es um alchemistische Transformation von Scheiße zu Gold, die totalästhetische von Leben in Kunst, die kapitalistische von Nicht-Wert zu Wert. Deshalb beginnt der Abend mit dem Es-Dur Akkord aus Wagners Rheingold, während Wuttke von der Geburt des Unkaschperls erzählt, der ersten Erscheinung einer Monosau. Deshalb kehren popkulturelle Protoypen wieder wie Barbarella, Cowboys, Wahnsinnige, Piraten, Gestrandete, oder Asoziale, die den Konsens bedrohen und nur dank ihres Eigensinns Kunst schaffen.

Diese Denkfigur ist nie weit weg vom Typus des genialen, aber leider soziopathischen Künstlers, sie kann jederzeit kippen in Narzissmus und Nostalgie nach dem Castorf`schen Piratenschiff, auch wenn davon nichts mehr übrig bleibt als leere Gesten. Grundsätzlich ist das vielleicht nicht falsch, wir gehen ja tatsächlich auch wegen der Monosäue ins Theater. Wegen Kerstin Graßmann zum Beispiel. Und wegen des belgischen Extremperformers Benny Claessens, der ziemlich schnell begreift, dass die Meese-Texte gar nichts bringen und der genau deswegen in jeder Nummer seine Stimme und seinen Körper in Wallung bringt, als gäbe es kein Morgen. Claessens macht aus Meese Claessens, Monosau kills Monosau. Die andern machen deutsches Regietheater, nur halt ohne Regie.