Geschäftsführerin oder Geschäftsführer der Documenta zu sein, ist einer der prestigeträchtigsten Jobs im internationalen Kunstfeld. Gleichzeitig ist es gerade auch einer der kniffligsten, den man in der Branche so haben kann. Denn nach dem Antisemitismus-Eklat bei der Documenta Fifteen im vergangenen Sommer ist die Weltkunstschau politisch angezählt und steht unter genauer Beobachtung. Außerdem dreht sich dort seit einigen Monaten ein Personalkarussell, das es der Institution schwer macht, zur Ruhe zu kommen.
Nach dem erzwungenen Abgang der ehemaligen Generaldirektorin Sabine Schormann im Juli 2022 übernahm der Kulturmanager Alexander Farenholtz das Amt des Geschäftsführers bis zum Ende der umstrittenen Schau im September. Ihm folgte Ferdinand von Saint André, der jedoch nur noch bis Anfang Mai an der Spitze der Documenta stehen wird. Wie am gestrigen Donnerstag bekannt wurde, kommt dann Andreas Hoffmann auf den Kasseler Chefposten. Bisher war dieser Geschäftsführer des von der privaten Zeit-Stiftung betriebenen Bucerius-Kunstforums in Hamburg: einer durchaus populären Institution mit ambitioniertem Programm und großem Publikumszuspruch. Aber auch mit wesentlich weniger Strahlkraft und politischem Sprengstoff als die Documenta.
Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD), Aufsichtsratsvorsitzender der Kasseler Weltkunstschau, und seine Stellvertreterin im Aufsichtsrat, Hessens Kunstministerin Angela Dorn (Grüne) begrüßten Hoffmann mit den Worten, dass mit seiner Berufung auch eine "Weichenstellung für die Zukunft der Documenta" einhergehe. Das kann man sowohl als gestalterische Herausforderung als auch als eine Drohung lesen. Denn spätestens, nachdem in Kassel im Frühjahr ein neuer Oberbürgermeister oder eine neue Oberbürgermeisterin gewählt ist, wird das politische Zerren um die staatlich finanzierte Documenta so richtig losgehen. Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Die Grünen) hat bereits angekündigt, die weitere Förderung der Ausstellung an die Bedingung zu knüpfen, dass der Bund mehr Mitspracherecht bekommt. Wie das aussehen könnte, ohne, dass die künstlerische Freiheit der Kuratorinnen und Kuratoren eingeschränkt wird, ist bisher jedoch unklar. Was wiederum Bedenken bei Kunstschaffenden schürte, dass hier ein Präzedenzfall politischer Einflussnahme geschaffen werden könnte.
Mehr Verwaltung als inhaltliche Mitsprache
Eine der wichtigsten Aufgaben für Andreas Hoffmann dürfte deshalb sein, einen Puffer zwischen den politischen Playern (Bund, Land Hessen und Stadt Kassel) und der noch zu findenden nächsten künstlerischen Leitung zu schaffen. Eine finanziell gut ausgestattete, gestalterisch unabhängige Documenta 16 in gut vier Jahren zu ermöglichen, ist das mittelfristige Ziel, auf das Hoffmanns Arbeit gerichtet sein muss.
Interessant ist, dass das Amt nun wieder als Geschäftsführer bezeichnet wird, was mehr nach Verwaltung und weniger nach konzeptueller Mitsprache klingt. Sabine Schormann war 2018 unter dem Titel der Generaldirektorin angetreten und hatte sich auch immer wieder inhaltlich positioniert. Unter anderem hatte sie im Namen des indonesischen Kuratorenteams Ruangrupa versichert, es werde auf der Documenta Fifteen keine Werke mit antisemitischer Bildsprache geben. Als diese dann doch auftauchten, war es ihr nicht mehr möglich, die Verantwortung mit Verweis auf die Kunstfreiheit von sich zu weisen.
An ihrer Kommunikation wird die Documenta zukünftig arbeiten müssen. Die Kontroversen um die "Fifteen" haben gezeigt, dass die teils ideologisch verbohrt wirkenden Statements aus Kassel einen produktiven Austausch erschwert haben - obwohl andererseits auch die Kritik an der Documenta zum Teil völlig maßlos war. Hoffmann täte gut daran, die internen Abläufe transparenter zu machen und zum Beispiel auch die Arbeit der Findungskommission besser zu erklären, die die kommende künstlerische Leitung bestimmen wird. So ließe sich verhindern, dass viele sich über Kunstwelt-Geklüngel hinter verschlossenen Türen ärgern und sich wie bei Ruangrupa Theorien über finstere Verschwörungen verbreiten.
Was soll eine Weltkunstschau sein?
Abseits dieses "Tagesgeschäftes" gibt es auch noch andere Baustellen, die Hoffmann beschäftigen dürften. In der Debatte um Antisemitismus auf der Documenta Fifteen wurde immer wieder die Forderung laut, dass die Weltkunstschau nicht nur mit dem Finger auf den "Globalen Süden" zeigen könne, sondern auch eine offensivere Aufarbeitung des eigenen NS-Erbes nötig ist. Auch der Aufbau des Documenta-Instituts, das derzeit noch unter dem Dach der Documenta und Museum Fridericianum GmbH steckt und einen dauerhaften Standort in Kassel sucht, dürfte ein Thema bleiben. Außerdem stellen sich grundsätzliche Fragen an die Weltkunstschau: Wie kann und soll ein so ressourcenaufwändiges Mega-Event in Zeiten der Klimakrise eigentlich aussehen - zumal, wenn Ruangrupa mit ihrem kollektiven Ansatz die Strukturen der Ausstellung ziemlich durcheinandergeworfen haben?
Doch die Documenta zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie unberechenbar ist und jede Ausgabe ihre ganz eigenen und einzigartigen Probleme mitbringt. Andreas Hoffmann ist deshalb auch viel Raum für Flexibilität und Spontaneität zu wünschen. Die Kunstwelt wird jedenfalls ziemlich genau hinschauen.