Kollektiv Broke.Today über Verdrängung in München

"Kurz bevor gentrifiziert wird, sind wir Künstler da"

Das Kollektiv Broke.Today bespielt in München leerstehende Häuser mit Kunst, im Moment das "Dying.House" in der in der Maxvorstadt. Wir haben mit einem Mitglied über steigende Mietpreise, die Verdrängung der Kunstszene und "gute" Projektentwickler gesprochen

In der Landeshauptstadt Bayerns leben Sie gerade den "Münchner Traum", ein Projekt in einem Haus in der Maxvorstadt. Können Sie eine Chronologie der Ereignisse skizzieren?

Die Geschichte hinter dem "Münchner Traum" beginnt im August letzten Jahres mit dem "Dying.House". Wir, das Kollektiv Broke.Today, machen so etwas immer wieder: leerstehende Objekte bespielen, transformieren und wiederbeleben mit Kunst und Kultur. Warum also nicht auch da, in der Zieblandstraße 5?

Wem gehörte das Haus zu der Zeit?

Das Haus wurde diverse Male verkauft, immer von der Presse begleitet, weil es ein Spekulationsobjekt par excellence ist. Es entstand Kontakt zu den neuen, privaten Besitzer, und die waren sehr offen für unsere Vorschläge. Sie haben uns sogar eine finanzielle Unterstützung gegeben, damit wir unsere Ideen umsetzen konnten. Also man sieht: Auf diesem Immobilienmarkt sind nicht alle schlecht. Es geht auch anders.

Es geht in beide Richtungen anders.

Natürlich! Wir haben in der Vergangenheit auch Projektentwickler kennengelernt, die klassische "Haie" sind. Mit denen arbeiten wir einfach nicht zusammen.

Das Kollektiv Broke.Today ist mit diesem Projekt nicht zum ersten Mal in Erscheinung getreten. Sie haben bereits in der Vergangenheit in München Orte "bespielt, neu belebt und transformiert", wie Sie sagen. Wofür steht das Kollektiv ein?

München wie in den 1970ern. Als die Schickeria nicht die schicken Leute waren, wie man das heute abschätzig bezeichnet. Sondern die Schickeria. Das waren die Ausgegrenzten, die Künstler und Sonderlinge.

Diese Entwicklung fand parallel an vielen Orten auf der Welt statt. Orte, an denen sich Hybride aus Schaffenden und Verstoßenen herausbildeten …

Ich war auch schon immer ein großer Warhol-Fan. Begeistert von dieser Idee der Factory. Die Möglichkeit, an einem Stahltor zu klopfen und dich darauf verlassen zu können, dass hinter diesem Stahltor etwas Verrücktes passiert. Und du eingeladen bist, mitzumachen.

München war auch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Ort für Kreative und Kunstschaffende, man denke an den Blauen Reiter, Kandinsky, Marc und andere Avantgarden dieser Zeit.

Es ist auch einfach eine schöne Stadt, die korrumpiert wurde durch diverse Entwicklungen. In München haben wir wenige Zwischennutzungskonzepte, Künstler gibt es hier auch nicht so viele wie beispielsweise in Berlin. München ist nicht Berlin, verglichen werden die Städte trotzdem immer wieder. München bewahrheitet sich selbst in dem Klischee, dass hier überall Polizisten sind, die alles unterbinden, was irgendwie ein bisschen freier ist.

Sind Ihre Projekte eher Protest oder Anbiederung an den Immobilienmarkt?

Man kann Projekte realisieren, bei denen man niemanden an den Pranger stellt und trotzdem auf Problemstände aufmerksam macht. Unsere Projekte bewegen sich dazwischen. Bei dem "Dying.House" sind wir angeeckt, weil wir die Fassade mit Forderungen nach kostenlosem Atelierraum bemalt haben. Und das passt nicht in das idyllische Münchner Stadtbild hinein. Vor allem hier, in der Maxvorstadt.

Wie ist das bisherige Feedback zu Ihren Aktionen? Gibt es vor allem Unterstützung oder Gegenwind?

Die Leute sind weitestgehend happy, wenn wir da sind. Es gibt zwar Orte von Subkultur, aber das sind isolierte Inseln für Gruppen, die dann geschlossen bleiben. Unser Credo folgte immer der Öffnung: Alle einzuladen. Natürlich gibt es manchmal Nachbarn, denen die Lautstärke der Musik nicht zusagt. Aber wir sagen dann immer: Lieber Künstler von Nachmittag bis Abend hören als eine Hochtiefbaustelle ab 7 Uhr morgens.

Sind die Künstler und Künstlerinnen mit ihrer Musik Vorboten der Presslufthämmer?

Das ist Realität. Kurz bevor gentrifiziert wird, sind wir da, sind Künstler da. Das war auch schon immer so in dieser Stadt - und wahrscheinlich auch überall sonst. Bis sich kein Künstler mehr leisten kann, in dem Viertel zu leben. Und dann zieht man halt weiter. Wir treiben diese Hyperdynamik auf die Spitze und haben diese Gentrifizierungsprozesse zu unserer Projektbasis gemacht.

Der kürzere Dienstweg oder der Weg des geringeren Widerstands?

Natürlich ist es einfacher, wenn du so ein Haus auf Zuruf bekommst. Wir reden über Laufzeiten von sechs Wochen von dem Initialmoment bis zum Opening. Da bekommst du keine städtische oder staatliche Förderung für solche Projektvorhaben. So schnell hat den Antrag nicht mal jemand gelesen in den Behörden. Aber das ist auch nicht schlimm. Es hat seine eigenen Vorteile, dass öffentliche Vorhaben ausgeschrieben und ausgiebig geprüft werden. Das kann ja parallel existieren.

So eine Argumentation hört man selten. Normalerweise ist die Forderung eher: "Die Stadt müsste mehr machen." Ihre Partner sind aber vor allem Privateigentümer. Wie ist denn Ihre grundsätzliche Haltung zu der Verteilung von Wohn- und Gebäudeflächen? Die Studie "Wem gehört die Stadt" der Rosa-LuxemburgStiftung hat ermittelt, dass im Jahr 2011 etwa 16,8 Porzent der Gebäude und Wohnungen öffentliches, genossenschaftliches oder gemeinnütziges Eigentum waren. Seitdem hat die Stadt München ein Vorkaufsrecht durchgesetzt in sogenannten Erhaltungssatzungsgebieten. Seit 2021 wiederum häufen sich die Nachrichten, dass die Stadt das Recht nicht richtig wahrnehmen kann, weil es durch Privatinvestoren ausgehebelt wird. Wo verorten Sie sich da?

Wir sind auch intern im Kollektiv nicht einer komplett einheitlichen Meinung, sondern diskutieren diese Fragen immer wieder. Die meisten von uns kommen aus der Street Art, vom Graffiti. Es gibt auch Menschen aus unserem Umfeld, die das kritisch sehen und fragen: "Was macht ihr da? Ihr arbeitet mit den Leuten, die hier gentrifizieren - das ist der Pakt mit dem Teufel." Diese Kritik ist stellenweise berechtigt. Bei den falschen Kooperationsanfragen ist das impact washing - die wollen unsere Kunst nur nutzen.

Dieselben Vorwürfe könnte man den altehrwürdigen Galerien, Museen und Institutionen machen. Es hat seine Gründe, warum Nan Goldin im Guggenheim protestiert, es hat seine Gründe, warum eine "Diversity United" Ausstellung gecancelt wird. Politik ist von Lobbyismus durchsetzt und europäische Fördergelder kommen von demselben Europa, das seine Außengrenzen von Frontex schützen lässt.

Unsere Arbeit können wir wenigstens so gestalten, dass sie ehrlich ist und wir können sorgfältig wählen, mit welchen Partnerinnen wir zusammenarbeiten. Es gibt auch Projektentwickler, Privateigentümerinnen oder Immobilienunternehmen, die fair sind. Muss es ja auch geben! Sollen denn alle Gebäude sonst bleiben, wie sie sind und irgendwann marode in sich zusammenfallen? Wenn wir das Gefühl haben, da will jemand durch uns einfach einen soziokulturellen Mehrwert ziehen, machen wir das einfach nicht.

Aber ist "die Stadt" denn nun das Feindbild?

Um Gottes Willen, nein! Die Prozesse einer solchen Entität wie "der Stadt" sind ja auch nachvollziehbar. Die haben’s auch nicht leicht! Es passiert derart viel in einer Stadt. Da ist es doch klar, dass manche Dinge länger dauern.

Kommen wir nochmals zum Münchner Traum. Was erwartet die Besucher:innen am bevorstehenden Wochenende?

Empfangen werden Sie von einem Türsteher, der aussieht wie Sven Marquardt. Gesichtstätowierungen und Berghain-Attitüde. Das ist ja der Traum von jedem Münchner: Dass München wie Berlin ist (lacht). Im Innenhof war die ganze Woche das Vandali Kollektiv. Performance, alle maskiert, niemand redet. Wie der Name schon sagt, sind das Vandalen - die zerstören alles, von Musik begleitet, sukzessive auch die Ausstellung. Es gibt auch einen auf Kreislaufwirtschaft beruhenden Markt für Möbel und Objekte. Es gibt eine offene Straßenkünstlerbühne, denn in München darf man ohne Genehmigung nicht auftreten. Auf der anderen Seite geht es wiederum um die Rolle der Stadt und Kritik an Wohnungspolitik in der Ausstellung von Eliot the Super: Aus Beton gegossene Investment-Goldbarren kann man da für den Quadratmeterpreis kaufen. In Anlehnung an die aktuellen Verhandlungen zur Anhebung des Mietspiegels in München, seit den jüngsten, geschichtsträchtigen Steigerungen. Weil die Mieten um mehr als 20 Prozent gestiegen sind - und das eigentlich illegal ist - diskutiert man nun, ob man einfach den Mietspiegel anhebt.

Und eine Wohnung wird auch vermietet?

Ja, eine Maklerin ist am Sonntag da für Besichtigungen. Wir brauchen keine Schufa, keine Einkommensnachweise, es muss nur menschlich passen.

Wird die Wohnung denn auch über die Ausstellungslaufzeit hinaus vermietet? Was soll sie denn kosten?

Wie gesagt: Es muss nur menschlich passen.