Medienschau

"Wer boykottiert, kann sich nicht einmal mehr streiten"

artikelbild_monopol-medienschau

Der "Spiegel" wünscht sich stillere Künstler, Candida Höfer zum 80. und die vielen Gesichter der Nofretete: Dies ist unsere Presseschau am Montag

Debatte

"Ist die Freiheit der Kunst tatsächlich in Gefahr?", fragt Tobias Rapp im "Spiegel" angesichts der im Zuge des Nahostkonflikts in Deutschland abgesagten Ausstellungen, gecancelten Preisverleihungen und duch die Kampagne "Strike Germany" boykottierten Kulturinstitutionen. "Eher scheint es so, dass die Spitzen von Universitäten, Museen und Festivals verunsichert sind, weil ein bestimmtes Produktionsmodell unter Druck geraten ist: die Idee, dass im Namen der Weltoffenheit sämtliche Positionen in Deutschlands Kulturbetrieb Platz haben müssen. Weil die Bundesrepublik neutral wie die Schweiz über den Dingen schwebt und gute Beziehungen zu allen pflegt. Dieses Land aber gibt es nicht mehr, und es wird nicht wiederkommen – was überall ein gründliches Umdenken erfordert." Was Rapp dann aber empfiehlt, erscheint dann doch etwas zu einfach: "Niemand muss sich einig sein, aber wer boykottiert, kann sich nicht einmal mehr streiten. Und wer inmitten dieser lauten, überdrehten Debatten auch mal schweigen kann, macht zumindest nicht alles falsch."

Schweigen will Ai Weiwei jedenfalls nicht und hat die Absage seiner Ausstellung in London mit Maßnahmen während der Kulturrevolution in China unter Mao Tsetung verglichen. "Ich bin mit dieser heftigen politischen Zensur aufgewachsen", sagte der 66-Jährige am Sonntag dem britischen TV-Sender Sky News. "Mir wird jetzt klar, dass man im Westen heute genau dasselbe tut."

Die israelische Bestsellerautorin Zeruya Shalev ("Liebesleben") hat nach dem Angriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 nach eigenen Worten mit dem Schreiben von Literatur aufgehört. Sie habe nicht einmal mehr das Dokument für das Buch geöffnet, das sie gerade angefangen hatte, sondern sofort Artikel für Zeitungen und Reden verfasst, sagte die Schriftstellerin der "Berliner Zeitung". Literatur sei gerade nicht wichtig. "Ich wünschte, ich könnte einfach zu meinem Roman zurückkehren, aber das ist unmöglich. Wie kann man sich Geschichten ausdenken, wenn das Land voller schrecklicher Geschichten ist." Zur Lage in Israel sagte Shalev der Zeitung, Ministerpräsident Benjamin Netanjahu stehe unter Druck, ein großer Teil der Bevölkerung vertraue ihm nicht. "Es fühlt sich an, als wären wir auch Geiseln. Von Netanjahu und seiner schrecklichen Regierung." Shalev war selbst 2004 bei einem Bombenanschlag in Jerusalem schwer verletzt worden. Die Taten vom 7. Oktober seien aber "so viel größer, so viel schlimmer", sagte sie. 

Die "FAZ" kommentiert den Rücktritt des italienischen Kulturstaatssekretär Vittorio Sgarbi und beleichtet dessen Verhältnis zum Kulturminister Gennaro Sangiuliano: Kunstkritiker Sgarbi habe keinen Hehl daraus gemacht, dass er sich dem Politiker intellektuell überlegen fühlte, schreibt Karen Krüger: Er plädierte für freien Eintritt in alle Museen – für Sangiuliano, der sogar Elon Musk bei dessen Rom-Besuch ein Ticket für das Pantheon (fünf Euro) in Rechnung gestellt haben soll, absolut unvorstellbar. Die Ablehnungen quittierte der Kulturstaatssekretär, indem er den Minister einen 'Formalisten' und 'Spießer' nannte; Sangiuliano wiederum sprach von Sgarbis 'Unverträglichkeit gegenüber Regeln'." 

Fotografie

Das Etikett "Becher-Schule" ist längst zu klein für sie, denn Candida Höfer gehört als Fotografin zur internationalen Avantgarde. Mit unbestechlichem Blick dokumentieren ihre fotografischen Serien menschenleere Innenräume: Bibliotheken, Theater, Museen. "Wir treten ein in eine Welt jenseits von Privatmythologien, die Welt der Kultur, in der alles gestaltet ist und genutzt werden will", schreibt Patrick Bahners in der "FAZ" zu ihren Bildern anlässlich des 80. Geburtstags der Künstlerin am 4. Februar. "Veränderungen können zugerechnet werden, Zeitdruck ist keine Ausrede."

Film

Berlinale-Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek wird den Internationalen Filmfestspielen Berlin sechs Monate länger als geplant zur Verfügung stehen. "Ich bleibe noch für ein halbes Jahr bei der Berlinale, in beratender Funktion. Tricia Tuttle hat mich darum gebeten", sagte die 76-Jährige dem "Tagesspiegel" in Berlin. Die 53 Jahre alte US-Amerikanerin Tuttle übernimmt im April die Leitung der Berlinale. Die Spitze der Festspiele wird komplett umgebaut. Tuttle folgt auf das bisherige Leitungsduo aus Carlo Chatrian (52) und Rissenbeek. Kulturstaatsministerin Claudia Roth hatte im vergangenen Jahr angekündigt, die Berlinale solle künftig nur noch von einer Person geleitet werden. Chatrian kündigte daraufhin an, das Festival nach der Ausgabe 2024 zu verlassen. Rissenbeek hatte bereits zuvor ihr Ausscheiden angekündigt. Erstmals in der Geschichte des Filmfestivals hatten sie als Doppelspitze im Juni 2019 übernommen, Chatrian die künstlerische Leitung und Rissenbeek die geschäftsführende Leitung. Tuttle soll mit der Rückkehr zum Intendanzmodell beide Funktionen übernehmen. Die Berlinale zählt neben Cannes und Venedig zu den großen Filmfestivals. Die nächste Ausgabe läuft vom 15. bis zum 25. Februar 2024.

"Killers of the Flower Moon"-Star Lily Gladstone freut sich, dass Filmpartner Leonardo DiCaprio sich mit Ratschlägen an sie zum Umgang mit Ruhm zurückgehalten hat. "Was ich wirklich schätze ist: Da ist nicht diese behütende, patriarchale Art in Richtung 'Lass mich dir einen Rat geben, Kind'", erklärte die 37-Jährige dem "The New Yorker". "Jedes Mal, wenn Leo es getan hat, war er sich dessen völlig bewusst und hat es scherzhaft gemacht. Er ist ein ziemlicher Spinner und ein Klugscheißer." Gladstone hat für ihre Rolle in dem Film "Killers of the Flower Moon" den Golden Globe als beste Schauspielerin gewonnen und ist für den Oscar nominiert. In dem Film von Regisseur Martin Scorsese spielt sie eine Angehörige des indigenen Stammes der Osage Nation. Ihre Hollywood-erfahrenen Filmkollegen DiCaprio, Scorsese und Robert De Niro gehen ihr beim Umgang mit der großen Aufmerksamkeit, die ihr plötzlich zuteilwird, "mit gutem Beispiel voran", wie die Schauspielerin erklärte. "Das hat mich am meisten geerdet, weil ich in der Lage war, in der Nähe von Leuten zu sein, die das so gewohnt sind." Das neue Leben und die Begegnungen mit anderen Stars sei auch "nicht so groß oder beängstigend", wie sie gedacht habe.

Das besondere Kunstwerk

Sebastian Conrad, Professor für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin, erklärt im "Spiegel", welche Symbolik und politische Erwartungen mit der Nofretete verbunden sind - die bis zu popkulturellen Referenzen von Beyoncé und Rihanna reichen: "Einmal ist da die europäische, weiße Nofretete, die zum Bestandteil der europäischen Kulturtradition gemacht wurde. Dann gibt es die ägyptische Nofretete: die Vorstellung, das antike Ägypten habe unmittelbare Bezüge zum gegenwärtigen Ägypten. Die Beyoncé-Nofretete, die jetzt für 'Black is Beautiful' und für "Female Empowerment' steht, ist eine neue Projektion. Welche der drei korrekt oder besser ist, ist eine müßige Frage. Aber es gibt uns aufschlussreiche Einblicke, wie eine Ikone globalisiert wird." Sollte Deutschland die Büste an Ägypten zurückgeben? "Man könnte über eine Variante nachdenken, die herausführt aus dem Streit, ob sie nun in Berlin bleiben oder nach Ägypten zurücksollte. Statt ihr Eigentum an einen Nationalstaat zu koppeln, könnte man eine internationale Organisation damit beauftragen, die Büste zu verwalten. Dann könnte ihr Ausstellungsort auch wechseln."