Medienschau

"Zwischen trauriger Schulaufführung und Ketamin-überladenem Berliner Rave"

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Die 100 besten Kunstwerke des ersten Viertels des 21. Jahrhunderts, Kunstministers Markus Blumes Verfehlungen und Anne Imhofs Mega-Performance in New York: Das ist unsere Presseschau am Donnerstag

Ranking

Ein Quartal des gerade eben noch neuen Säkulums ist um, "ArtNews" nimmt das zum Anlass, die 100 besten Kunstwerke des 21. Jahrhunderts aufzulisten. Mit dabei sind auch viele deutsche Künstler und Kunstwerke, die in Deutschland enstanden, etwa Anne Duk Hee Jordans Installation "Culo de Papa" im Berliner Humboldt Forum (Platz 98), Tino Sehgals Performance "This Is So Contemporary!" für den deutschen Pavillon in Venedig (Platz 87), Isa Genzkens "Fuck the Bauhaus #4" (Platz 84), Asad Razas Installation "Diversion" im Frankfurter Portikus (Platz 31), Maria Eichhorns "5 Weeks, 25 Days, 175 Hours" (Platz 17), Harun Farockis "Eye/Machine I" (Platz 9) und Hito Steyerls "How Not to Be Seen: A Fucking Didactic Educational .MOV File" (Platz 4). Platz drei belegt Kerry James Marshalls Gemälde "Untitled (Studio)" von 2014, eine laut "ArtNews" fast "angeberisch" gute Studioansicht, die den Schwarzen Künstler in die bisher von weißen Künstlern wie Courbet und Matisse dominierte Tradition des Malens von Atelieransichten einreiht. Adrian Piper belegt mit ihrer Videoarbeit "Adrian Moves to Berlin" von 2007 den zweiten Platz. Die einstündige Arbeit zeigt Piper, unterlegt von 2000er House-Musik, am Berliner Alexanderplatz tanzen und steht für die Jury sinnbildlich für Pipers Fähigkeit, sich einerseits mit ernsten und anspruchsvollen Themen auseinanderzusetzen, aber gleichzeitig ihre Leichtigkeit nicht zu verlieren. Den ersten Platz belegt Arthur Jafas Videoarbeit "Love Is the Message, The Message Is Death" von 2016. Sie stellt komprimiert auf sieben Minuten die Reichweite von Ereignissen und Erfahrungen der Schwarzen US-Bevölkerung dar. Sein Mix aus unter anderem Aufnahmen von Notorious B.I.G., Polizeigewalt, Mahalia Jackson und Black Lives Matter Protesten, unterlegt mit Kanye Wests Gospel-inspiriertem 'Ultralight Beam', wechselt zwischen Lebensfreude und größte Trauer."

Performance

"Das Kunstwerk der Stunde" sei Anne Imhofs New Yorker Mega-Performance "Doom" in der Park Avenue, findet Tobias Timm in der "Zeit": "eine Geschichte des drohenden Untergangs, aber auf ihre Weise auch eine der unbedingten Zuversicht. Ein 'Drill für die Liebe', so hatte es Imhof schon vor einem Jahr angekündigt, solle das werden. Sie habe gespürt, in welche Richtung sich die Dinge in den USA entwickeln würden; so etwas vorauszusehen, sei sie in der Kunst trainiert. Einfach hat sie es sich mit dieser Performance nicht gemacht: Das Stück ist eine komplexe und nicht lineare Neuerzählung von Shakespeares Romeo und Julia, teils Theaterstück und Ballett, teils Punkkonzert und Installation – voll mit Zitaten aus anderen Kunstgenres." In manchen Momenten verheddere sich das Geschehen zwar etwas tief in seinen Shakespeare-Zitaten, "aber als drastische Realitätsüberschreibung setzt es das Publikum nicht nur physisch in Bewegung: Imhof will die Hoffnung anregen, wie man Liebe und Familie neu denken, wie man ganz neue Formen von Gemeinschaft bilden kann." Negativer urteilen die US-Kunstmedien über die bislang größten Performance der deutschen Künstlerin. Nach einem "ArtNews"-Verriss (siehe Medienschau von gestern), schreibt "Hyperallergic" nun, das Werk fühle sich an wie "eine schlechte Balenciaga-Werbung": "DOOM: House of Hope ist auf skurrile Weise unpolitisch und tragisch hohl hinter dem ganzen Hype", findet Hakim Bishara. Die Stimmung des Stücks schwanke "zwischen einer traurigen Schulaufführung und einem Ketamin-überladenen Berliner Rave". Die rund dreistündige Performance in der Park Avenue Armory - einer Veranstaltungshalle so groß wie 13 Tennisplätze - ist von Klaus Biesenbach, Direktor der Neuen Nationalgalerie in Berlin, kuratiert und noch bis zum 12. März zu sehen.

Museen

Was da vor sich geht, ist ja längst nicht mehr vermittelbar", schreibt Tobias Timm in der "Zeit" zum NS-Raubkunst-Skandal in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen – und er versucht dann doch, Updates zu dem Fall zu geben: "Im Bayerischen Landtag wurde vergangene Woche beschlossen, dass Ministerium und Museen bis zum Sommer die Missstände aufklären müssen. CSU-Kunstminister Markus Blume entschuldigte sich und kündigte – 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, drei Jahre nach seinem Amtsantritt – mehr Tempo, Transparenz und Stellen für Provenienzforschung an. Und teilte frech gegen die Presse aus: Die habe mit den Berichten bei den Museen Schaden angerichtet. So einen Schulhof-Move muss man sich erst mal ausdenken – Blumes Ministerium kann Rückgaben einfach anordnen. Die Recherchen zu vielen der Werke sind längst öffentlich. Es ist jetzt an Blumes Ministerium, den Schaden nicht noch größer werden zu lassen. Die alte Liste ist ja noch nicht mal vollständig." Derweil rückt für "SZ"-Redakteur Jörg Häntzschel, der mit der geleakten Liste die Debatte erst losgetreten hat, auch Bernhard Maaz in den Fokus: Der Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen soll schon vor vier Jahren von seinen Stellvertretern in einem Brandbrief scharf kritisiert worden sein für seinen Umgang mit NS-Raubkunst, schreibt Häntzschel.

Peter Richter spricht für die "SZ" mit Bernd Ebert, dem neuen Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. In dem Interview geht es auch um den Umgang mit einer irgendwann möglichen Regierungsbeteiligung der AfD: "Ich habe persönlich überhaupt keine Erfahrung in der politischen Auseinandersetzung mit der AfD, und das würde ich ehrlich gesagt auch auf mich zukommen lassen. Ich würde das Gespräch suchen zu allen Parteien und vor allem zu den Menschen vor Ort. Natürlich müssen wir schauen, wie Kunstwerke oder Kulturinstitutionen politisiert werden können. Und natürlich liegt die Hoheit darüber, wie über diese Objekte erzählt wird, bei uns, beim Museum. Es ist ganz klar, dass es eine Herausforderung ist, auch zur Kolonialgeschichte Stellung zu nehmen, und zwar nicht nur in den ethnologischen Sammlungen, sondern etwa auch bei den alten Holländern. Wenn Sie da Schwarze auf den Bildern sehen, müssen Sie das kontextualisieren. Aber ehrlich gesagt sind wir noch nicht so weit, dass es da eine Lösung gibt. Wir erarbeiten viele Lösungen, wie wir das dem Publikum näherbringen können, ohne Menschen zu verletzen."

Ausstellung

Eine kleine Kulturgeschichte der Nachspeise schreibt Hubertus Butin in der "FAZ" entlang der Schau "Grand Dessert" im Kunstmuseum Den Haag. "In der Kunst sind Süßspeisen seit Jahrhunderten ein beliebtes Motiv. Um 1600 taucht Zuckerwerk vermehrt in Dessertstillleben etwa von Georg Flegel oder Clara Peeters auf." Für die Zeitgenossen des Künstlers war das Gemälde "ein Ausdruck sinnlicher Freude an solchen Köstlichkeiten und damit ein Zeichen für ein genussreiches Leben im Wohlstand. Es konnte aber ebenso als moralisierende Mahnung zur Mäßigung und Symbol für die Vergänglichkeit alles Irdischen aufgefasst werden." Zu bemängeln hat Butin an der Ausstellung eigentlich nur, dass im Museumscafé "nichts angeboten wird, was annähernd an die Qualität der musealen Desserts heranreicht".