Medienschau

"Wir leben in schwierigen Zeiten als Künstler"

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Isabelle Graw über Hierarchien beim Galerie-Dinner, die "FAZ" beklagt das Schweigen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und eine ratlose Tania Bruguera: Dies ist unsere Presseschau am Donnerstag

Performance

Sören Kittel war für die "Berliner Zeitung" eine Nacht lang im Berliner Museum Hamburger Bahnhof, wo die kubanische Künstlerin und Dissidentin Tania Bruguera ihre Lese-Performance von Hannah Arendts 1951 erschienenem Hauptwerk "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" gestartet hat. "Für den wohl ehrlichsten und nachdenklichsten Moment dieser sehr langen ersten Lese-Nacht sorgt trotzdem die Künstlerin selbst, rund 20 Minuten nachdem sie mit ihrer Lesung begonnen hat. Da unterbricht sich die Künstlern Tania Bruguera wieder und sagt: 'Wir leben in schwierigen Zeiten als Künstler, wenn gleichzeitig derart schlimme Gewalt passiert.' Dann zählt sie verschiedene Dinge auf: 'Regierungskritik, Antisemitismus, antirepublikanisches Verhalten, Rassismus, …' Sie stockt, ringt mit den Worten und sagt: 'Ich bin selbst wirklich verwirrt und weiß manchmal nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hat. Bitte helfen sie mir an den kommenden Stunden, das herauszufinden.'" Die Performance läuft noch bis Sonntag um 23 Uhr. "Es ist ein Test", sagt Bruguera im Gespräch mit dem "Tagesspiegel". "'Mich interessiert, was Kunst in der aktuellen Situation bewirken kann. Vielleicht zeichnet sich ein Bild der politischen Stimmung im Land ab.' Till Fellrath, Direktor des Hamburger Bahnhofs, sieht sein Museum als 'Haus der Begegnung'. Angst vor schwierigen Diskussionen hat er nicht."

Museen

Wie von Monopol hier und hier berichtet, hat die Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Frühjahr 2022 drei bedeutende Gemälde an die Sammlerfamilie Marx zurückgegeben: Andy Warhols "Do it yourself (Seascape)" und "Ten-foot flowers" sowie Cy Twomblys "Empire of Flora". "Die Familie Marx mag Druck ausgeübt haben, aber Hermann Parzinger trägt für den Verlust der drei Bilder und für den neuen Vertrag die Hauptverantwortung, da er zu beidem seine Einwilligung gegeben hat", kommentiert Hubertus Butin in der "FAZ". "Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz sollte endlich Rechenschaft über ihre Entscheidungen ablegen und nicht weiter suggerieren, es sei alles in Ordnung. Den Staatlichen Museen zu Berlin ist schon jetzt ein massiver Schaden in der Sammlung zugefügt worden, der kaum wiedergutzumachen ist."

Vier Jahre nach dem Diebstahl eines Gemäldes von Vincent van Gogh wird das Bild jetzt wieder ausgestellt, berichtet AFP (via "The Guardian"). Bei einem nächtlichen Einbruch in das Museum Singer Laren bei Amsterdam war die Leihgabe des Groninger Museum mit dem Titel "Frühlingsgarten. Der Pfarrgarten von Nuenen" aus dem Jahre 1884 gestohlen worden. Das Museum war zu der Zeit wegen der Corona-Krise geschlossen. Der Kunstdetektiv Arthur Brand hatte bei der Wiederbeschaffung des Gemälde eine Schlüsselrolle übernommen, die Polizei war in alle Phasen eng eingebunden. 2021 wurde bereits ein Verdächtiger - ein aus Frankreich stammender Kunsträuber und Berufskrimineller - festgenommen, der danach verurteilt wurde. "Am unteren Rand der Leinwand ist ein tiefer weißer Kratzer zu sehen", heißt es nun im "Guardian". Der Schaden sei wahrscheinlich darauf zurückzuführen sei, dass das Gemälde gegen etwas Hartes gestoßen sei. Das Gemälde soll bis zu sechs Millionen Euro wert sein und wurde dem Detektiv damals in einer Ikea-Tasche überreicht.

Fotografie

Am Montag starb Helga Paris in ihrer Berliner Wohnung im Alter von 85 Jahren. Die Fotografin wurde mit Bildern aus Ostberlin bekannt. "Sie selbst lebte nach dem Mauerfall weiter in Prenzlauer Berg, wo nun rasant die Bevölkerung wechselte, westdeutscher und eindeutig nichtproletarischer wurde", schreibt Peter Richter in der "SZ"."Sie lehrte an der Fachhochschule, machte auch noch neue Bilder, aber es war zunächst keine einfache Zeit. Umso schöner und verdienter die Anerkennung und die Ehren, die sie gegen Ende ihres Lebens doch noch erfuhr, nicht zuletzt von der Akademie der Künste." In der "taz" schreibt Annett Gröschner einen Nachruf, in der "FAZ" Freddy Langer, in der "FR" Ingeborg Ruthe. Eine Würdigung der Fotografin von Heidi Specker lesen Sie hier.

Das Berliner Magazin und Fashionlabel 032c hat jetzt auch eine Künstlerresidenz? Stipendiatin Ana Viktoria Dzinic wirft in ihrer Kolumne "Image Stacks" einen "psychoanalytischen Blick" in die Foto-App von Kunstwelt-Professionals. In der ersten Folge: "Texte zu Kunst"-Herausgeberin Isabelle Graw, die hier "private" Fotos teilt und darüber spricht. Unter anderem auch über Galerie-Dinner: "Wenn man in den 80er und auch noch in den 90er Jahren als Kritiker zu solchen Abendessen eingeladen wurde, saß man oft neben einem potenten Sammler, weil die Galerien dachten, dass dies ein sehr interessantes und nützliches Gespräch sein könnte. Oder man saß neben den ausstellenden Künstlern, weil man als Kritiker Teil der Welt des Künstlers sein sollte. Das hat sich geändert, und der Kunstmarkt hat sich strukturell gewandelt und ist zu einer globalen Industrie geworden. Seitdem sitzen Kritiker und Kunsthistoriker oft am Kindertisch - mit dem Personal der Galerie, was sehr nett und interessant ist, aber man darf nicht mehr neben den Geldgebern sitzen." Mmh, oft genug wird man ja dann doch neben Sammlerinnen und Sammler platziert. 

KI

Der Komponist Detlev Glanert glaubt nicht an die Allmacht von Künstlicher Intelligenz. "Die Kreativität von KI ist begrenzt, sie kann nur das tun, was vorher eingegeben wird. Das Gehirn des Menschen macht so viele irrationale Sprünge, ich glaube nicht, dass KI da jemals darauf kommt", sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Dresden. Computer seien nicht spontan. "Der Mensch kann etwas machen, was aller Vernunft widerspricht. Das kann ein Computer nicht." Glanert zufolge gab es mit dem Aufkommen der Fotografie im 19. Jahrhundert die gleichen Sorgen. "Da hatten Maler Angst, sie könnten arbeitslos werden. Doch sie konnten etwas, was eine Fotografie oder eine KI bis heute nicht können: das Wesen, das Geistige hinter einer Person oder Sache erfassen. Die Fotografie vermag das Äußere abzubilden, nicht aber das Seelische." Möglicherweise seien die Opernbühne oder der Konzertsaal künftig die einzigen KI-freien Orte.  "Vielleicht bin ich zu naiv, aber ich sehe da keine große Gefahr", betonte Glanert. Zumindest für die Musik, die er schreibe, sei Künstliche Intelligenz keine Bedrohung. "Was an meiner Musik für mich und hoffentlich auch für andere interessant ist, ist das Irreguläre, das Spontane, was nicht auf Algorithmen beruhen kann." Für Filmkomponisten oder Popkünstler hingegen dürfte es schwerer werden, ihre Musik könnte demnach leichter durch KI generiert werden. Glanerts aktuelles Werk hat an diesem Samstag in der Semperoper in Dresden Uraufführung - die Oper "Die Jüdin von Toledo" nach dem gleichnamigen Drama von Franz Grillparzer.