Künstler Sven Johne über Putinversteher

"Ausdruck der Krise des Westens"

Vor fünf Jahren hat Sven Johne einen Kurzfilm über einen sächsischen Putin-Fan gemacht. Wir haben mit dem Berliner Künstler über dieses Werk gesprochen – und zeigen hier "Lieber Wladimir Putin" in voller Länge

Sven Johne, in Ihrem Film "Lieber Wladimir Putin" zeigen Sie einen Putinversteher, wie das hierzulande heißt. Macht Sie das zu einem Putinversteherversteher?

Ok, meinetwegen. In diesem Film geht es darum, die eigene Blase zu verlassen und sich für 17 Minuten einem Menschen anzunähern, der sich vom Westen abgewandt hat. Meine Figur hat der Demokratie, der Marktwirtschaft und der offenen Gesellschaft abgeschworen und füllt diese Lücke mit einem politischen Gegenentwurf aus. Ich zeige aber nicht mit dem Finger moralinsauer auf sie, sondern versuche nachzuvollziehen, wie ihr Denken funktioniert. Ich hätte auch einen Orban-Versteher, einen Höcke-Jünger oder Le-Pen-Fan zeigen zeigen können. Der Zuspruch für diese autoritären Typen ist doch Ausdruck der Krise des Westens.

Wie kamen Sie auf die Idee einen Putinfan – der hier von einem Schauspieler dargestellt wird – zum Gegenstand eines Films zu machen? 

Nachdem ich damals auf den Montagsdemos wiederholt russischen Fahnen gesehen habe und diese selbstgemalten Plakate: "Putin, wird's richten!" Aber wichtig zu wissen: Mein Film ist von 2017. Ich denke, die Situation ist heute eine andere. Es gibt diese ungebrochene Sehnsucht nach der Person Putin so wohl nicht mehr. Wohl aber nach dem autoritären Staat mit seiner vermeintlichen Klarheit.

Kennen Sie selbst Putinversteher?

Ja. Ansonsten würde ich mir nicht zutrauen, einen solchen Text zu schreiben. Und wenn wir mal das Schlagwort "Putin" weglassen, sondern "nur" Demokratieskepsis oder "Mal-hart-durchgreifen-Parolen" nehmen, dann gibt es da draußen sehr, sehr viele Menschen. Neoliberale, auf Effizienz getrimmte Gesellschaften – Stichwort "schlanker Staat" –  produzieren zwangsläufig rechtspopulistische Erfolge. Überall im Westen. Das scheint eine Abwehrreaktion zu sein. Leider.

In Ihren Arbeiten geht es häufig um politische Stimmungen in Ostdeutschland. Der Mann in "Lieber Wladimir Putin" war früher Trassnik, ein DDR-Bürger, der an Erdgas-Trasse Druschba in der Sowjetunion mitarbeitete. Ist seine Geisteshaltung – Ablehnung der aktuellen politischen Institutionen und Nostalgie für die Sowjetunion – häufig in Ostdeutschland? 

Da kommen verschiedene Punkte zusammen. Zum einen gibt es diese große Enttäuschung vom Westen. Ich erlebe das immer wieder in der ostdeutschen Provinz. Die Art und Weise der Abwicklung der Biografien in der Nachwendezeit spielt dabei eine große Rolle. Das Problem wird sich auch nicht auswachsen, sondern im Gegenteil vererben sich die in den 1990er-Jahren gemachten Erfahrungen. Zum anderen enttäuscht dieser "Westen" – als Synonym für den neoliberalen Kapitalismus – durch seine Krisenanfälligkeit, ganz einfach weil er sich selbst über Jahrzehnte kaputtgespart hat: Verwaltung, Bahn, Infrastruktur, da erlebt man eine Entzauberung des Westens. Gut möglich, dass man da das verblasste Früher eines durchgreifenden Staates idealisiert. Man darf ja nicht vergessen: Die Jugend ist aus der Entfernung fast immer schön. Meine Kindheit als linientreuer Thälmannpionier war auch super. Aber ich weiß, dass das nicht für jeden galt.

Warum geht Sowjetnostalgie nicht ohne Schwärmerei für Putin? Anders gefragt: Was hat Putin mit der Sowjetunion zu tun?

Bekanntermaßen hat Putin den Zerfall der Sowjetunion als größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Ich denke, es geht dabei nicht um die kommunistische Idee, sondern um die seltsame Idee von Stärke, Respekt, Akzeptanz. Die schlimmen Jelzin-Jahre sitzen den Russen noch immer in den Knochen, die Idee des Imperiums wird nun als Aufwertung eines von der Geschichte gedemütigten Landes benötigt. Ich bin nur Küchenpsychologe, aber auf mich wirkt das irgendwie komplexbeladen. Russland ist ja wirtschaftlich gesehen ein Zwerg, aber es hat Rohstoffe – und den roten Knopf.

Gibt es auch eine westdeutsche Form von Putinverstehern?

Orbanversteher in der CSU, Putinversteher in der SPD oder bei den westeuropäischen Rechtspopulisten. Diese Sehnsucht nach dem starken Mann, die gibt es selbstverständlich auch im Westen.

Der Film ist von 2017. Könnte der Ukrainekrieg etwas an der Sichtweise des von Ihres Trassniks ändern?

Spekulieren wir mal: Ja, dieser Krieg dürfte meinen Trassnik von seiner Liebe zu Putin geheilt haben. Er kennt ja sicherlich viele Ukrainer von früher, es verbinden sich somit viele Erinnerungen. Aber von der Idee eines starken, durchgreifenden  Staates ist er nicht geheilt.

Er erwähnt in dem Film auch die Ukraine und "Faschisten" in der Ukraine. Tatsächlich gibt es in der Ukraine militante Neonazis, aber woher kommt die Idee, dass die Ukraine von Faschisten regiert wird?

Das ist einerseits ein perfides Putin-Narrativ, dass auf den Großen Vaterländischen Krieg referiert – nämlich dem Besiegen des Hitlerfaschismus. Diese jetzige "Spezialoperation" soll so moralisch legitimiert werden. Anderseits bietet die Ukraine tatsächlich gewisse Angriffsflächen. Stichwort Regiment Asow. Der Auftritt Selenskis kürzlich im griechischen Parlament finde ich sehr problematisch. Und dass der Botschafter Andrij Melnyk Blumen am Grab von Stepan Bandera abgelegt hat, ist für mich schwer zu verstehen.

Hier sehen Sie Sven Johnes "Lieber Wladimir Putin" in voller Länge: