Bedrohte Uferhallen in Berlin-Wedding

Wem gehört die Stadt?

Die Künstlerinnen und Künstler in den Uferhallen im Berliner Stadtteil Wedding befürchten, Opfer von Gentrifizierung zu werden. Besuch in einem umkämpften Gebiet 

Vor dem Eingangstor der Halle liegen große Styroporblöcke in einem verrosteten Boot. Planen, Wasserbehälter, Container, ein alter Bus. Bei Sculpture Berlin in den Berliner Uferhallen werden Kunstwerke produziert, und zwar im großen Stil. 300 Quadratmeter bräuchten sie schon, sagen die Männer in Arbeitsklamotten und werkeln an einer lebensgroßen S-Bahn-Front aus Styropor herum. Ab und an werde hier auch was für Katharina Grosse gefertigt, sagt Peter Dobroschke, und dass er es schätzt, dass man sich auch mal eine Säge ausleihen könne.

Dobroschke ist Künstler, aber auch Aktivist – notgedrungen. Er würde nämlich gerne hierbleiben: in seinem Atelier in den Uferhallen in Berlin-Wedding, ehemaliges Gelände der Großen Berliner Straßenbahn AG. Er ist seit zehn Jahren auf dem Hof, hat sich das Atelier ausgebaut, eine Leiter führt nach oben in ein kleines Kabuff, er hat die Fenster isoliert, an den Wänden hängen Fotoarbeiten. Es riecht nach Ölfarbe vom Kollegen nebenan. Dobroschke engagiert sich seit fünf Jahren für den Erhalt des Ganzen.

Der Künstler Peter Dobroschke in seinem Atelier
Foto: Maximilian Gödecke

Der Künstler Peter Dobroschke in seinem Atelier

Denn 2017 wurden über 95 Prozent der Aktien der Uferhallen AG an eine Firma verkauft, die im Zusammenhang mit einem der Samwer-Brüder steht, Gründer von Zalando und Immobilieninvestoren. Mittlerweile ist klar, was die "Marema GmbH" mit dem Grundstück vorhat: Mietwohnungen, hochpreisig, und Büroflächen. Viele Atelierräume müssten abgegeben werden, denn auf ihnen sollen neue Geschosse entstehen. Die neuen Mieter, so eine Befürchtung des Uferhallen e.V., würden sich womöglich über Lautstärke beschweren. Also hat man sich 2019 zu einem Verein zusammengetan, um in Verhandlungen treten zu können.

Gegenüber auf dem großen Hof hängen viele Briefkästen unter einer alten Bushaltestelle. "Favre", "Bianca Kennedy", steht da dran. Oder "So Young Park", "Monica Bonvicini" und "Maria Eichhorn". Mit den zwei, drei größten Namen hätten sich mittlerweile auch die neuen Besitzer des Grundstücks, auf dem etwa 150 Künstlerinnen, Künstler, Kreative wirken, beschäftigt.

Antje Blumenstein, ebenfalls aktive Künstlerin im Verein, sagt, man habe sich wahrscheinlich zu spät zusammengetan. Die Tänzer und Tänzerinnen der Uferstudios nebenan hätten früher geahnt, dass man sich auf einem Spekulationsobjekt bewegt. "Das liegt bildenden Künstlern nicht, die arbeiten ja meist alleine", sagt Blumenstein zwischen Luftpumpe, Tabak, Obst, Toaster – was halt so rumliegt in einem Atelier. Sie erzählt, dass ihnen zwar Ersatzflächen angeboten wurden, vorwiegend in der großen Halle, die lange Zeit für Veranstaltungen genutzt wurde. 2500 zusätzliche Quadratmeter sind das etwa, 1000 davon Ausstellungsfläche, alles unter Denkmalschutz. Aber es sind schwierige Räume, wie heizt man, wie lüftet man? Wie teilt man auf?

Antje Blumenstein mit einem ihrer Kunstwerke
Foto: Maximilian Gödecke

Antje Blumenstein mit einem ihrer Kunstwerke

Den Innenausbau würden sie gerne selbst machen. Weil sie den Ort und die Bedürfnisse besser kennen. Hansjörg Schneider vom Vereinsvorstand steht in seinem Atelier und sagt: "Wir bräuchten jetzt schon die Info, ob wir Förderungen dafür bekommen. Damit wir eine Basis haben für unsere Verhandlungen." Man müsste mit allen Beteiligten gemeinsam am Tisch sitzen. Aber stattgefunden hat das bislang nicht. Was nach einer guten Lösung für die Künstler klingt, ist gleichzeitig eine sichere Mieteinnahme und eine ideelle Aufwertung für die Besitzer. Was ist eigentlich so ein Kulturstandort – wie es in der Sprache der Herrschenden heißt – wert?

Hansjörg Schneider in seinem Atelier
Foto: Maximilian Gödecke

Hansjörg Schneider in seinem Atelier

Zur Berlin Art Week findet hier eine passende Ausstellung statt: "On Equal Terms", kuratiert von Sophia Gräfe und Arkadij Koscheew. Der Fokus liegt auf den Uferhallen, gezeigt wird parallel vom Neuen Berliner Kunstverein auch eine Dokumentation zu den von Künstlerinnen und Künstlern gestalteten Kunstaktien, die zur Erhaltung der Uferhallen verkauft wurden, aber auch andere Berliner Kunstschaffende sind dabei. "Was ist Augenhöhe?", soll die entscheidende Frage sein.

Arkadij Koscheew ist einer der Kuratoren der Ausstellung "On Equal Terms", die zur Berlin Art Week in den Uferhallen eröffnet
Foto: Maximilian Gödecke

Arkadij Koscheew ist einer der Kuratoren der Ausstellung "On Equal Terms", die zur Berlin Art Week in den Uferhallen eröffnet

Für die Organisatoren der Berlin Art Week ist die Frage nach den Räumen für die Kunst sogar so wichtig, dass sie das Festivalzentrum an die Uferhallen verlegt haben. Im BAW-Garten kann man sich von Mittwoch bis Sonntag bei freiem Eintritt zu Talks, Workshops, Performances und Veranstaltungen treffen. Vielleicht kommen ja auch die neuen Besitzer vorbei – Redebedarf ist da.

Dieser Text erschien zuerst im Berlin-Art-Week-Sonderheft, das Monopol 9/2022 beiliegt