18. Architekturbiennale

Venedig mit Modellcharakter

Die von Lesley Lokko kuratierte Architekturbiennale mit ihrem Fokus Afrika überwindet viele Barrieren im Denken – und stößt an Grenzen des Machbaren. Außergewöhnlich viele Länderpavillons sind Lokkos Vorbild nachgekommen

Die Eröffnung der 18. Architekturbiennale in Venedig war ein Tag wie jeder andere. Seit neun Monaten wurde intensiv darauf hingearbeitet, seit 15 Monaten lag die Verantwortung bei Chefkuratorin Lesley Lokko, die schon ihr "ganzes Leben lang an dem Konzept geschrieben" hatte, als Architektin und als Schriftstellerin. All diese Anstrengungen waren nun endlich geschafft, aber sie richten sich gar nicht auf das Heute, wie man zuerst meinen könnte, sondern auf eine ferne Zukunft. Es geht in Venedig um die Architektur des 22. Jahrhunderts, die das Biennale-Team und -Publikum wohl nicht mehr selbst erleben werden.

Diese Zukunft sollen die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Biennale mitbestimmen, die zum Teil gerade erst ihr Architektur-Studium abgeschlossen haben. Eine wichtige Rolle kommt dabei dem "jungen" afrikanischen Kontinent zu, dessen Bevölkerung im Durchschnitt gerade einmal 19 Jahre alt ist. Teile der Ausstellung könnten im Anschluss in ein afrikanisches Land weiterziehen und dort ihre ganze Wirkung entfalten – und die Erkenntnisse aus der Biennale werden sowieso wieder in die Forschung des von Lokko erst 2020 gegründeten African Futures Institut in Ghana eingespeist. Alles steht also noch ganz am Anfang. Im Grunde ist die Ausstellung gegen jede Kritik immun. Ihre wahre Bedeutung könne heute gar nicht richtig gewürdigt werden, sagt eine begeisterte Besucherin: Ihr werdet es schon noch verstehen.

Lesley Lokko hat polarisiert. Sie musste ihre Vision gegen viele Zweifler verteidigen. Am häufigsten wird ihr von der Presse vorgehalten, dass es ab dieser Ausgabe keine Architektur-Ausstellung mehr sei, weil es keine Architekturmodelle zu sehen gebe. Das stimmt einfach nicht. Vor allem im zentralen Pavillon der Biennale reiht sich ein Modell ans andere. Walter Hood und Alma du Solier bauen in Sumpfgebieten mit wiederverwendbarem Holz, ihre filigranen Dächer sind von den Ornamenten des Korbflechtens inspiriert. Sean Canty zeigt die typischen Hütten und Kneipen der afroamerikanischen Tradition, deren überdimensioniertes, asymmetrisches Dach viele Außenbereiche schafft und mit seinen Besonderheiten von Schwarzer Kultur erzählt. Dazwischen ragen Monumentalbauten wie Kathedralen, Museen oder Bibliotheken auf.

Zwei großen Ziele: Dekolonisierung und Klimaschutz

Mit der gleichen Ernsthaftigkeit wird ein Film auf ein Wahrsagerbrett projiziert oder ein Gefühl als fertiges Produkt angeboten. Kabage Karanja und Stella Mutegi zeigen ihr Audioarchiv und führen in ihre mündliche Architektur-Praxis in Nairobi ein, bei der sie in ständigem Kontakt mit nichtmenschlichem Leben stehen. Die Hauptausstellung "Laboratory of the Future" im Arsenale beginnt zwar mit ein paar anschaulichen Beispielen (James Morris fotografierte die markante Lehmarchitektur der Sahelzone), doch sie weigert sich manchmal einfach, auf etwas Reales in der Welt da draußen zu verweisen. Das abgekapselte Arsenale wird dann sein eigener Kosmos, in dessen Dunkelheit die verstreuten Wandtexte schwer zu lesen sind. Es darf hier auch um Verlorenes oder Fiktives gehen. Manche Bereiche der Ausstellung schwingen sich sogar zu abstrakten Installationen auf, was ihr den Ruf einer Kunstschau eingebracht hat.

Das Versprechen, dass diese Architektinnen und Architekten Vorbilder für mehr Klimaschutz seien, wird jedenfalls eingelöst. Aber es meint genauso oft ihre Mentalität wie ihre Materialien. Die einzelnen Stationen sind Werkstätten zum Umdenken. Eine Verschnaufpause bietet da der grenzenlose Gebetsraum Musallah (Office 24-7) ein, der an die Vertreibung von Muslimen aus Johannesburg erinnert und mit dessen rasselnden Perlenvorhängen die Kinder spielen, was den "Raum" jedes Mal kurz verschwinden lässt. Das entgrenzende Ausstellungsdesign im Arsenale wurde direkt von der letzten Kunstbiennale von Cecilia Alemani übernommen. Neben dem Recycling-Aspekt war das eine konzeptuelle Entscheidung. Alles soll hier halbdurchlässig sein, mit einem weichen Übergang zwischen dem Drinnen und dem Draußen, deren Trennung ja eigentlich die erste Aufgabe der Architektur war.

Die zwei großen Ziele Dekolonisierung und Klimaschutz (die für Lesley Lokko Hand in Hand gehen müssen) überfrachten das Arsenale leider ein wenig. Das Doppel-Thema wirkt an manchen Stellen erzwungen oder widersprüchlich. Für ehemalige Kolonien, die weiterhin auf ihr Wirtschaftswachstum angewiesen sind, lässt sich das doppelte Ziel wohl nur mit viel Technologieoffenheit erreichen. In deutsche Begriffe übersetzt ist das ein wenig so, als müsste man die Linke und FDP im Kopf zusammenbringen.

Der politische Ehrgeiz dahinter (mehr als die Hälfte der Teilnehmenden kommt aus dem globalen Süden) ist an seine Grenzen gestoßen. Einige Teilnehmer aus Accra haben vor der Eröffnung keine Visa von der italienischen Botschaft erhalten, obwohl immer wieder der Wille zur Zusammenarbeit mit Ghana bekundet wurde. Lokko, die ghanaische und schottische Wurzeln hat, schien das als persönliche Niederlage zu empfinden. Sie forderte von der Presse, dass das nicht die gesamte Ausstellung überschatten dürfe – und sie korrigierte den Eindruck, dass den Behörden nur ein dummer Fehler unterlaufen wäre: Diese Art von Ablehnung sei für ihre Kolleginnen und viele andere Schwarze Menschen kein Einzelfall, sondern Alltag. Der "Boshaftigkeit" der Welt dürfe nicht nachgegeben werden, gerade in schweren Zeiten müssten alle jetzt mitanpacken.

Stadt in der Stadt

Außergewöhnlich viele Länderpavillons sind dem Ruf der Hauptausstellung gefolgt. Im deutschen Pavillon (kuratiert vom Magazin Arch+, sowie den Architekturbüros Summacumfemmer und Juliane Greb) werden ebenfalls Grenzen überwunden und Ressourcen eingespart. Statt eine herrschaftliche Treppe zum Pavillon zu erklimmen, steigen die meisten Besucher jetzt quer über die Bahnen der barrierefreien Rampe nach oben, die sich so gut in den Bau einfügt, als wäre sie schon immer dort gewesen. Innen wurden für die gesamten sechs Monate Ausstellungsdauer eine Teeküche und eine umweltfreundliche Toilette eingerichtet; außerdem eine Werkstatt, in der Venedigs Infrastruktur repariert werden soll. Dazwischen lagert wie ein bunter Parcours das ausgediente Material der vergangenen Kunstbiennale. Es ist in erster Linie viel Holz (das auch ohne die deutsche Rettungsaktion noch recycelt worden wäre).

Der US-amerikanische Pavillon geht den umgekehrten Weg, mit einer fingierten MoMA-Ausstellung aus viel Plastik, dem zur Ewigkeit verdammten Material. Hier ist alles menschenfeindlicher. Die Besucher müssen zwischen den Räumen eine doppelte Schicht Türvorhang aus schwerem Kunststoff überwinden. Am israelischen Pavillon gibt es derweil gar keinen Eingang mehr, weil er in eines dieser bunkerähnlichen, umweltschädlichen Datencenter verwandelt wurde, wie Google und Amazon sie in Israel errichten. Der ägyptische Pavillon tüftelte zusammen mit einer großen Zahl von Wissenschaftlern (was sehr nah an Lokkos Motto "Laboratory of the Future" ist) an Zukunftsvisionen für den Nil und seine Ufer. Im uruguayischen Pavillon ist das Forstwirtschaftsgesetz zum Leben erwacht, es singt eine Oper mit Rap-Einlagen. Und der brasilianische Pavillon gewann den Goldenen Löwen für eine Beschäftigung mit indigenem Wissen.

Nur Österreich hat seinen Kampf verloren. Eine Hälfte des österreichischen Pavillons ist abgesperrt und steht leer. Sie wäre für die nette Nachbarschaft von Sant’Elena gedacht gewesen, die in Sichtweite hinter der nordöstlichen Grenzmauer der Giardini wohnt und bei der Biennale trotzdem außen vor ist. Das Kollektiv AKT und der Architekt Hermann Czech hätten ursprünglich gern die Mauer durchgebrochen oder sie zumindest mit einer Brücke überwunden. Mit einem strengen Nein der Biennale-Direktion hatten sie insgeheim schon gerechnet, nur die leicht absurden Begründungen des Denkmalamts konnte niemand auf dem Zettel haben. Jetzt sind es diese Absage und der lange Prozess der vergangenen Monate, die ausgestellt werden. Die lokale Bevölkerung durfte bei alldem mitreden, und der Dialog mit ihr geht in den kommenden Monaten entlang der trennenden Mauer weiter.

Mit dem Recycling von Ausstellungs-Material ist es also noch nicht getan. Jede Biennale hinterlässt viele leere Räume in der Stadt, die dann oft keine Verwendung für das restliche Jahr finden. Seit der Gründung hat sich das Rahmenprogramm immer weiter ausgedehnt in alle möglichen Gebäudetypen und sogar in verlassene Privatwohnungen. Auf jeden Besucherrekord des Kunsttourismus folgt ein neuer Tiefstand der Einwohnerzahl, mittlerweile leben hier weniger als 50.000 Menschen. Kontrovers besprochen wird unter Venezianern nicht unbedingt die Ausstellung, sondern das Biennale-Grundstück als ganzes, das ein Zehntel der Altstadt einnimmt; diese Stadt-in-der-Stadt in öffentlicher Hand, ringsum abgeriegelt mit hohen Mauern und stark bewaffnetem Polizeischutz, aber eines Tages vielleicht so kraftlos wie eine Pappkulisse. Die Zukunft wird dem österreichischen Beitrag sicher recht geben müssen.