Streaming-Tipps

11 Kunst-Filme, die Sie im September nicht verpassen sollten

Maler Amoako Boafo in seinem Studio 
Foto: (c) Niclas Reed Middleton für art/beats

Maler Amoako Boafo in seinem Studio in Accra, aus dem Dokumentarfilm "Bilder im Kopf"

Unsere Filme im September folgen einer kometenhaften Malerkarriere, schauen hinter die Kulissen der Londoner National Gallery und begleiten Comiczeichnerinnen aus der arabischen Welt


Das Erfolgsgeheimnis des Amoako Boafo 

Die Geschichte des jungen Malers aus Ghana, der allein zum Kunststudium nach Wien kam und von dort aus eine steile Karriere machte, ist ziemlich unglaublich - und nun Gegenstand einer Kunstdokumentation der Deutschen Welle. Amoako Boafos Werke sind so gefragt, dass seine Auktionspreise alle Erwartungen überragen. Sein Stil und seine Motive - er porträtiert ausschließlich people of colour - ist eigenständig und doch anschlussfähig an die europäische Maltradition. Für seine Porträts trägt er die Farbe der Gesichter und Körper mit dem Finger auf, modelliert und schattiert sie in einer ganz eigenen, unverkennbaren Weise. 

Auch das Modehaus Dior hat schon mit ihm gearbeitet: Kim Jones machte eine ganze Kollektion mit Boafos Motiven. Doch der Künstler, der auch den Titel der Monpol-Septemberausgabe ziert, hat sich wieder in seiner Geburtsstadt Accra niedergelassen, wo er eine Kunstschule für seine Community aufbaut. "Ich glaube, das ist es, was ich aus Wien mitgenommen habe", sagt Amoako Boafo im Interview. "Kommunikation und das Lernen, wie man sich gegenseitig kritisiert und austauscht, um besser zu werden, das will ich hier ermöglichen." Das Team um Filmemacher Felix von Boehm erzählt diese fast schon unwahrscheinliche Story in ruhigen Bildern, sprach mit Weggefährten und Förderern und dem Künstler selbst.  

In Ghana, sagt Amoako Boafo, war Künstler kein Beruf, von dem man leben kann. Also wurde er nach der Schule zunächst erfolgreicher professioneller Tennisspieler und betrieb Kunst als Hobby. Heute sei es umgekehrt, sagt der sympathische Maler lakonisch. "Malen ist mein Beruf, und Tennis mein Hobby." 

"Amoako Boafo. Bilder im Kopf", Mediathek der Deutschen Welle 

Maler Amoako Boafo
Foto: Niclas Reed Middleton für art/beats

Maler Amoako Boafo

 

Komplexe Familienbande 

Mit gewissen Parallelen zu Anton Tschechows "Drei Schwestern"  inszeniert der türkische Filmemacher Emin Alper das Zusammentreffen dreier Schwestern in einem anatolischen Dorf. Wie Olga, Mascha und Irina sich bei Tschechow nach Moskau sehnen, haben sich Reyhan, Nurhan und Havva eher unfreiwillig im Haus ihres Vaters Şevket eingefunden. Sie haben in unterschiedlichen Familien in urbanen, eher komfortablen Verhältnissen gelebt. Hier auf dem Land, in trostloser Umgebung, wollen sie eigentlich nicht bleiben. Das Verhältnis der Schwestern zueinander schwankt zwischen Zuneigung und Rivalität.

Emin Alpers Drama über junge Frauen auf der Suche nach Identität und Heimat beruht auf der (fast verschwundenen) "Besleme"-Tradition in Anatolien: Arme Familien brachten ihre halbwüchsigen Kinder in fremden Familien unter, die besser für sie sorgen konnten. Eine Besleme verrichtet die Aufgaben einer Hausangestellten, kümmert sich gegebenenfalls auch um den Nachwuchs, wird aber durchaus als Familienmitglieder betrachtet. "Die Psyche einer Besleme schien mir immer schon interessant, weil sie einen starken Konflikt in sich trägt und in dieser Ambivalenz lebt", hat Regisseur Alper gesagt. In "Eine Geschichte von drei Schwestern" brechen diese inneren Konflikte auf und bringen, nachdem jede der drei Frauen aus den Gastfamilien sozusagen exkommuniziert und zurück aufs Land geschickt wurde, eine dramatische Entwicklung in Gang. Das poetische wie spannende Drama ist bis 23. September in der Arte-Mediathek verfügbar.

"Eine Geschichte von drei Schwestern", Arte-Mediathek, bis 23. September 

"Eine Geschichte von drei Schwestern", zu sehen bei Arte
Foto: Arte

"Eine Geschichte von drei Schwestern", zu sehen bei Arte


Einblicke in einen Kunsttempel

Ein Museum ist ein Ort des Hinsehens. Und obwohl von allen Seiten etwas erklärt und vermittelt wird, ist es doch die eigene Wahrnehmung, die den Eindruck eines Besuches am stärksten formt. Diesen Ansatz verfolgt auch der US-Filmemacher Frederick Wiseman, der in seiner Dokumentation "National Gallery" von 2014 den Betrieb des renommierten Londoner Museums begleitet - sämtliche Schlussfolgerungen aber seinem Publikum überlässt. Der Film hat keine strukturierte Handlung und dauert beinahe drei Stunden. Klingt langweilig? Wer Wisemans Arbeiten über das Ballett der Pariser Oper, die New York Public Library oder die Elite-Uni Berkeley kennt, weiß, dass seine Beobachtungen nicht nur bilden, sondern auch unterhalten.

In dem ihm eigenen Stil ohne Kommentare und Interviews zeigt der Regisseur ausgestellte Bilder, Museumsbesucher beim Schauen, Führungen für Kinder und Erwachsene, Kunstkurse für Sehbehinderte, Diskussionen über Ausrichtung und Öffentlichkeitsarbeit der Institution und die Arbeit eines Konservators. Natürlich muss man sich einlassen auf dieses Mosaik aus Eindrücken, langsamen Schnitten und viel Stille, denn auf Hintergrundmusik verzichtet Wiseman. Wer möchte, dem erlaubt "National Gallery" einen tiefen Einblick in den Kunstbetrieb. Ganz nebenbei ist der Film auch noch ein Crashkurs in Kunstgeschichte und -interpretation. Und er macht Lust auf einen Besuch dieses weltberühmten Londoner Museums. 

"National Gallery", auf Mubi



Außerirdische Sichtungen mit Paul Maheke 

Das Kunstfestival Afterness in Orford Ness an der englischen Ostküste verbindet eigentlich raumgreifende Installationen von internationalen Künstlerinnen und Künstlern mit der rauen Landschaft der Grafschaft Suffolk. Aus Pandemiegründen findet die Ausstellung jedoch in hybrider Form statt. Online ist beispielsweise der Film "Mauve, Jim and John" des französischen Künstlers Paul Maheke zu sehen, der sich auf Berichte von UFO-Sichtungen in der Region aus dem Dezember 1980 bezieht.

In der Arbeit erwachen zwei unbekannte Figuren im Wald, ein düster wabernder Soundtrack lässt auf mysteriöse Geschehnisse schließen. Langsam ertasten und ertanzen sich die beiden Körper die Umgebung, wanken aneinandergeschmiegt durchs Unterholz und wirbeln über den windigen Strand. Vielleicht Außerirdische, die ihr neues Territorium erkunden, oder verwirrte Einheimische, die ihre Eindrücke verarbeiten? Die Intention der schweigsamen Protagonisten bleibt in Mahekes meditativem Film offen, während ihrer Streifzüge entfaltet sich jedoch der Beginn einer queeren Romanze. 

Neben Paul Maheke haben auch Rachel Pimm und Graham Cunnington sowie Brian d'Souza Arbeiten für Afterness Online entwickelt, die bis Ende Oktober auf der Website des Festivals zu sehen sind. 

Paul Maheke "Mauve, Jim and John", Afterness Online, bis 30. Oktober 



Christo, der Meister der Großprojekte

Woran glauben wir eigentlich noch? In einer durchrationalisierten Welt bleibt uns bloß die Kunst. Berühmtheiten wie Marina Abramovic oder Ai Weiwei werden, wenn nicht gerade geschmäht, zu Erlöserfiguren stilisiert. Auch der im vergangenen Jahr verstorbene Christo zählt zu den mutmaßlichen Heilsbringern. Er selber sah das gewiss nicht so. Insofern steckt im Filmtitel "Christo: Walking on Water", der auf das Matthäus-Evangelium anspielt, auch etwas Ironie.

Andererseits entspricht die Überschrift dem Inhalt. 16 Tage lang konnten Besucher des oberitalienischen Iseosees wie Jesus übers Wasser gehen. Andrey Paounovs Dokumentarfilm beschreibt die Genese der "Floating Piers"-Außeninstallation: ein System von schwimmenden Stegen ohne Geländer, drei Kilometer lang, gefügt aus 220.000 Kunststoffwürfeln und bespannt mit orangefarbenem Polyamidstoff ("dahliengelb"). Zwischen dem 18. Juni und dem 3. Juli 2016 verliefen die Piers vom Ufer des Iseosees zu der großen Insel Monte Isola und von dort zur kleinen Isola di San Paulo. Dramaturgisch geschickt enthüllt Paounov die verzweigte Gesamtanlage erst in den finalen Minuten. Christo steigt in einen Hubschrauber, um sein Werk aus großer Höhe zu betrachten.

Respekt vor dem Künstler und seinen Intentionen sieht man "Walking on Water" in jedem Filmbild an. Christo, der seit dem Tod seiner Ehefrau Jeanne-Claude 2009 die Großprojekte solo betrieb, erscheint im Film weder als Heiland noch Zauberer, sondern als Realisator eines hochkomplexen, von technischen, witterungsbedingten wie lokalpolitischen Hindernissen erschwerten Vorhabens. Gerade wird in Paris der Arc de Triomphe verhüllt - das erste jahrzehntelang geplante Großprojekt, das ohne die Übersicht und den Perfektionismus des Meisters auskommen muss. 

Andrey Paounovs Film wirkt durch klug austarierte Kontraste: Arbeit an der Kunst und öffentlichkeitswirksame Auftritte. Konzentrierte Stille und unvermeidbarer Trubel. Rückschläge und Etappensiege. Doch bietet "Christo: Walking on Water" weit mehr als ein filmisches Surrogat des verpassten Kunsterlebnisses. Es zeigt die Mühen der Realisierung und  – Teamarbeit hin oder her – warum Künstler eigentlich doch Ausnahmemenschen sind. "Künstler sein ist kein Beruf", erklärt Christo am Filmbeginn einer Schülergruppe. "Es gibt keine festen Arbeitszeiten. Du bist keine Sekunde lang nicht Künstler."

"Christo - Walking On Water", auf Mubi

Besucher auf den "Floating Piers"
Foto: Wolfgang Volz

Besucher auf den "Floating Piers"


Der Zeichenstift als Waffe

Als die Zeichnerin Lena Merhej einige Monate nach der verheerenden Explosion vom August 2020 in ihre Heimatstadt Beirut zurückkehrte, war sie schockiert vom Ausmaß der Schäden - fasste jedoch sofort einen Plan. Durch ihre Bilder wollte sie die Stadt, die schon so oft von Krieg und  Zerstörung gebeutelt wurde, wieder auferstehen lassen. Der Dokumentarfilm "Mit dem Stift in der Faust" (2021), der nun in der Arte-Mediathek zu sehen ist, widmet sich dem Comic als Ausdruck des Politischen. Er stellt vier Zeichnerinnen aus der arabischen Welt vor, die ihr Medium nutzen, um Protest gegen die herrschenden Verhältnisse zu formulieren. "Zeichnen hilft, es kanalisiert meine Wut", sagt Lena Merhej.

Neben der Deutsch-Libanesin porträtieren die Regisseurinnen Lizzie Treu und Eloïse Fagard die Marokkanerin Zainab Fasiki, die Ägypterin Deena Mohamed und Nadia Khiari aus Tunesien. Zehn Jahre nach Beginn des sogenannten "Arabischen Frühlings" erzählen die Künstlerinnen von ihren Erfahrungen in Zeiten des Umnbruchs und vom Einfluss des politischen Geschehens auf ihre Arbeit. So erzählt Nadia Khiari eindrücklich von ihrer eigenen "künstlerischen Revolution", als sie sich 2011 auf einmal ohne Zensur völlig frei ausdrücken konnte. Damals habe sie sich gefühlt wie ein Baby, das seinen ersten Schrei ausstößt.  

"Mit dem Stift in der Faust: 4 Comiczeichnerinnen aus der Arabischen Welt", Arte-Mediathek, bis Juli 2024

"Mit dem Stift in der Faust: 4 Comiczeichnerinnen aus der Arabischen Welt", zu sehen auf Arte
Foto. Courtesy Arte

"Mit dem Stift in der Faust: 4 Comiczeichnerinnen aus der Arabischen Welt", zu sehen auf Arte


Nick Caves 20.000 Tag auf dieser Erde

Die Jahre, die ein Mensch auf der Erde verbringt, werden von den meisten Gesellschaften akribisch gezählt. Die Anzahl der Tage, an denen man aufgestanden ist, gegessen, gearbeitet, gestritten, gelacht und geliebt hat, geraten da schon eher aus dem Fokus. Außer natürlich man ist Nick Cave, Musiker, Philosoph, Schriftsteller und Gesamtkunstwerk. Seinem 20.000 Tag auf dieser Erde (nach ungefähr 54,5 Jahren) widmete der Australier 2014 sogar einen ganzen Film. Am Anfang steht das Erwachen, dann jedoch fächert sich das Werk des Regieteams Jane Pollard und Iain Forsythe in ein Mosaik aus alltäglichen Momentaufnahmen, Reflektionen über das Leben, Musikeinlagen und Begegnungen mit alten Weggefährten (Kylie Minogue, Blixa Bargeld) auf. 

Nick Cave erlaubt seinem Publikum einige private Einblicke, wenn er zum Beispiel mit seinen Söhnen Fernsehen schaut (den Tod eines seiner Kinder im Alter von 15 Jahren thematisiert er im Film "One More Time With Feeling" von 2017). Im Großen und Ganzen bleibt er jedoch eine geisterhafte Figur, die in allen seinen Handlungen Kunst auszudünsten scheint. Und es drängt sich der Verdacht auf, dass ein Tag im Leben von Nick Cave mehr Stunden hat als der von anderen Menschen.

"20.000 Days on Earth", Arte-Mediathek, bis 30. September 


Was geschah wirklich mit Vincent van Goghs Ohr?

23. Dezember 1888, Tatort: Árles in Südfrankreich. Ein Mann schneidet sich sein Ohr ab, wickelt es in Zeitungspapier und macht sich auf den Weg von seiner Wohnung zu einer Prostituierten. Er überreicht ihr das blutige Zeitungspapier und verschwindet. Ihre Identität ist umstritten, seine eindeutig: Vincent van Gogh - Schöpfer von einigen der bekanntesten und teuersten Gemälde in der Geschichte der Kunst. Aber eben auch offensichtlich getrieben von seinen Dämonen. Bis heute ranken sich Rätsel um diese Verzweiflungstat: Zahlreiche Unstimmigkeiten lassen Experten seit über 100 Jahren darüber streiten, was wirklich geschah. Die britische Autorin Bernadette Murphy machte sich auf die Suche nach der Wahrheit über das Künstlerohr und veröffentlichte die Ergebnisse in ihrem Buch "Van Gogh's Ear: The True Story".

Der daraus entstandene Dokumentarfilm "Wahn, Wut oder Wollust? Das Ohr von Vincent van Gogh" erzählt über die arbeitsreichen Monate des Malers in Árles und untersucht die hellen und die dunkelsten Momente im Leben des Künstlers.

"Wahn, Wut oder Wollust? Das Ohr von Vincent van Gogh", ZDF-Mediathek, bis 4. September

Vincent van Gogh "Selbstbildnis mit verbundenem Ohr und Pfeife", 1889
Foto: gemeinfrei / Kunsthaus Zürich

Vincent van Gogh "Selbstbildnis mit verbundenem Ohr und Pfeife", 1889


Privatvideos als Kunstgattung

Manche Medienformate muss man als Zombies bezeichnen, die einfach nicht totzukriegen sind, immer wieder in neuer Gestalt unser Bewusstsein infiltrieren und uns von der Gegenwart erzählen. Home Videos flimmerten früher in krisseliger VHS-Ästhetik in TV-Shows über die Bildschirme, Plattformen wie Youtube waren vor ihrer Professionalisierung vor allem eine Fundgrube für skurrile Amateurfilme, und Social-Media-Plattformen wie TikTok oder das Format Reels von Instagram sind ideale Verbreitungskanäle für beiläufig aufgenommene Privatfilmchen.

Dass das Bedürfnis, seinen Alltag filmisch festzuhalten, jedoch viel älter ist, zeigt die Sammlung "Private Lives Public Spaces" des New Yorker MoMAs, in dem das Museum Privataufnahmen sammelt. In der Auswahl, die das MoMA nun online zugänglich gemacht hat, finden sich berühmte Persönlichkeiten wie der Künstler Salvador Dalí’, der ein Kätzchen triezt und mit einem Tierschädel spielt, der Komiker Charlie Chaplin oder die Schauspielerin Mary Pickford in scheinbar normalsterblicher Umgebung. Während bei Prominenten immer ein Sendungsbewusstsein an ein imaginiertes Publikum mitschwingt, filmen sich weniger berühmte Menschen, um sich ihrer selbst zu vergewissern und besondere Ereignisse und Orte festzuhalten (zumindest bevor das Internet dazu führte, dass potenziell die ganze Welt ein Home Video sehen kann).

Dass aus vielen Einzelerlebnissen irgendwann ein kollektives Bildgedächtnis und Zeitgeschichte wird, zeigt die MoMA-Sammlung eindrücklich. Und Spaß macht das Stöbern in fremden Leben ebenfalls.

"Virtual Views: Home Movies", MoMA Online


Streit um Bob Ross' Erbe

Bis vor wenigen Wochen war Bos Ross`s Nachruhm in ein ähnlich sanftes Licht gehüllt wie jene Landschaften, die er auf abertausende Leinwände zauberte. Mit seiner Sendung "The Joy of Painting", in der er mit Prediger-Stimme die Freuden des Pinselns auf Leinwand verkündete, war der Fernsehmaler nicht nur äußerst erfolgreich. Er war auch ein darling der internationalen Popkultur. 

Für Unruhe sorgt jetzt die neue Netflix-Dokumentation "Bob Ross: Glückliche Unfälle, Betrug und Gier", in der der Streamingdienst "das düstere Geheimnis von Bob Ross" zu lüften verspricht. Was insofern etwas irreführend ist, als es vor allem um Bob Ross' Vermächtnis geht, genauer gesagt: seine posthume Vermarktung. "The Joy of Painting" war ein gigantischer TV-Erfolg, den Ross genoss. Begleitend zu den Malkursen vertrieb die 1982 von Ross und seinen Geschäftspartner Annette und Walter Kowalski gegründete Firma Bob Ross Inc. Farben, Pinsel, Videos und Bücher. Ross selbst sei es dabei darum gegangen, möglichst vielen Menschen das Kunstmachen zu  ermöglichen – seinen Geschäftspartner hingegen nur um Kommerz. Das jedenfalls ist die zentrale These der Netflix-Doku, die sich hauptsächlich auf lange Interviewpassagen mit Ross' Sohn Steve und alten Freunden stützt.

Ist der Dokumentarfilm ein Rachefeldzug? Fraglos beleuchtet Regisseur Joshua Rofé den Fall sehr einseitig, was auch mit der Weigerung der Kowalskis zu tun haben könnte, vor die Kamera zu treten. Nach der Premiere des Films auf Netflix warfen die Kowalskis dem Filmemacher in einem Statement eine "ungenaue und stark verzerrte Darstellung unseres Unternehmens" vor. Sie gaben außerdem an, dass Bob Ross Inc. nach Medienberichten über die Veröffentlichung des Films im Sommer 2021 erfolglos versucht hat, die Filmemacher zu kontaktieren, um eine Stellungnahme abzugeben.

Bob-Ross-Fans können die Doku bedenkenlos schauen, ihr Idol wird nicht zerlegt, kein "düsteres Geheimnis" gelüftet. Der Film flüchtet sich, nachdem viel angedeutet, viel gemutmaßt wurde, am Ende in ziemlichen Kitsch: Da erzählen Menschen, wie ihnen Ross' Malkurse buchstäblich das Leben rettete, da sehen wir, wie sein Sohn in kleinen Community Centers Kunstunterricht erteilt. Das wahre Erbe von "The Joy of Painting", so die Botschaft, kann niemand zerstören. 

"Bob Ross: Glückliche Unfälle, Betrug und Gier", auf Netflix

Bob Ross in einer Szene der Netflix-Doku "Bob Ross: Glückliche Unfälle, Betrug
Courtesy Netflix

Bob Ross in einer Szene der Netflix-Doku "Bob Ross: Glückliche Unfälle, Betrug und Gier"

 

Was tun mit dem steinernen Erbe der Nazis?

Was ist mit Künstlern, die im Nationalsozialismus gefeiert wurden, nach dem Krieg passiert? Die DHM-Ausstellung "Die Liste der 'Gottbegnadeten'" in Berlin kreist um diese Frage. Dort werden einige Gemälde und Plastiken der NS-Zeit präsentiert. Es handelt sich vielfach um Kunst, die sich vergleichsweise problemlos im Archiv entsorgen lässt. Im Fall von Werken im öffentlichen Raum ist das nicht möglich – und schon gar nicht bei Architekturen des Nationalsozialismus. Die Journalistin Nicole Blacha hat sich in ihrem Film "Propaganda aus Stein - Was tun mit den Bauten und Denkmälern der Nazis?“ einem noch heute sehr umstrittenen Thema gewidmet.

Die anstehenden Sanierungen vieler NS-Bauten haben die Debatte um die Denkmäler neu entfacht. So findet der Berliner Ex-Stadtentwicklungssenator Peter Strieder es "inakzeptabel", dass im Fall des Berliner Olympiageländes aufwändig wiederhergestellt werde, "was die Nazis für ihre Propaganda gebaut haben". Strieder ist erbost darüber, dass die Maifeldtribüne samt Glockenturm auf dem Berliner Olympiagelände zurzeit für 21,8 Mio. Euro saniert wird. Der Landeskonservator und Direktor des Landesdenkmalamtes Berlin Dr. Christoph Rauhut ist anderer Ansicht: "Das ist keine Pflege von nationalsozialistischer Ideologie, sondern das sind Erhaltungsvorgänge, die dazugehören. Und ich bin davon überzeugt, dass wir dieses Erbe auch erhalten müssen, um es zu erklären."

Wie umstritten der angemessene architektonische Umgang mit Gebäuden aus der NS-Zeit ist, zeigt die Debatte um das Haus der Kunst in München. Der britische Star-Architekt David Chipperfield schlug für die Sanierung des Gebäudes vor, der "grüne Vorhang" vor dem ehemaligen Nazi-Kunsttempel müsse weg, die Treppe zurück. Was einer Rückführung des Baus in seinen ursprünglichen Zustand von 1937 gleichkommt, wird von der Präsidentin der Israelitischen  Kultusgemeinde München Dr. Charlotte Knobloch heftig kritisiert. Die Holocaust-Überlebende spricht von einer "Verherrlichung der Nazi-Vergangenheit".

Wie aber wirkt man der Verherrlichung, die bestimmte Bauten einfach mitbringen, entgegen, wenn man sie nicht einfach abreißen will? Nicole Blacha führt Beispiele zeitgenössischer Kunstwerke als Gegenkommentar an, über die wiederum gestritten wird. So wurde auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg ein regenbogenfarbener Anstrich der Säulen der Zeppelintribüne – vorgenommen von einem anonymen Künstlerinnenkollektiv – nach zwei Tagen mit Hochdruckreinigern wieder entfernt. Nun soll das Zeppelinfeld samt Tribüne für 85,1 Millionen Euro saniert, begehbar gemacht sowie um vertiefende Vermittlungskonzepte ergänzt werden.

Was ist nun besser geeignet, die Bauwerke der Nazis um neue Bedeutungsschichten zu ergänzen: temporäre oder permanente Gesten? Also anmalen, kommentieren – oder komplett umbauen? Der Film "Propaganda aus Stein“ zeigt anhand aktueller Beispiele, dass über solche Fragen alles andere als Einigkeit herrscht.

"Propaganda aus Stein", 3-Sat-Mediathek, bis August 2025