Jahresrückblick

Die Klamotten-Falle

Bilder von Klimaprotesten waren auch in diesem Jahr allgegenwärtig. Dabei fiel erneut auf, dass Aktivistinnen mehr als andere Frauen nach ihrer Kleidung beurteilt werden. Für Luisa Neubauer & Co. bedeutet dieser Fokus ein Balanceakt

Stellen Sie sich eine Klimaaktivistin vor. Was sehen Sie? Ob im Fernsehen, auf Buchcovern, in der Zeitung oder auf Instagram – Fotos von Umweltschützern waren in diesem Jahr omnipräsent, auch vor dem Rummel um die einseitige Palästinaunterstützung von Greta Thunberg und der internationalen Fridays-For-Future-Bewegung. Die Aufmerksamkeit, die sie erhalten, liegt aber längst nicht nur an ihren öffentlichen Aussagen, Protesten und Zielen, sondern geht weit darüber hinaus. Würde man mich fragen, wie ich mir eine Klimaaktivistin vorstelle, dann würde ich in etwa so antworten: eine Person in einem in ausgeleiertem Pullover (am besten von Oma gestrickt), in Jeans, mit Wollmütze und festen Schuhen, im Sommer mit Sandalen. Outdoor, "öko", alternativ. 

Die Kleidung eines Menschen kann viel über seine oder ihre soziale Zugehörigkeit erzählen. Auf Fotos der Anti-Atomkraft-Bewegung tragen Demonstrierende Sandalen mit Socken, bunte Tücher und farbenfrohe Shirts. Ab 1975 wurde die Bewegung in Deutschland populär, es formte sich die Subkultur der "Ökos", die sich vor allem von den Poppern und der Discoszene abgrenzte. Die Ästhetik der Umweltbewegung im Westen Deutschlands entwickelte sich aus der Hippie-Gemeinschaft. Mitglieder trugen Naturmaterialien, selbstgemachtes Batik-Muster, ließen ihre Haare lang wachsen und zeigten sich betont leger. 

Die Grünen der 1980er-Jahre fielen dadurch auf, dass sie mit selbstgestrickten Pullovern und Jeans im Bundestag saßen. Sie fügten sich nicht in den Krawatte-Anzug-Aktentasche-Look ein, sondern eckten mit ihrer vermeintlich individuellen Grünen-Uniform an. Mitglieder der Umweltbewegung bedienten bestimmte Kleidercodes, mit denen sie sich von der Mehrheitsgesellschaft und anderen Subkulturen abgrenzten, vorbei an Trends und "angemessener" Kleidung. Birkenstock-Sandalen waren fester Bestandteil ihres Repertoires, lange bevor diese mit Barbie oder Dior kooperierten und an die Börse gingen

Der Subtext: Ich bin so wie ihr

Blickt man in den aktuellen Bundestag, würde man weder Annalena Baerbock noch Robert Habeck anhand ihrer Kleidung als Grüne erkennen. Mit ihren Kleidern und Anzügen heben sie sich stilistisch nicht von ihren Kolleginnen und Kollegen anderer Parteien ab. Auch die Grünen haben sich an den Business-Look der Politik angepasst, heute erwartet niemand mehr, dass sie in Strickpullovern zu Sitzungen und Wahlpartys erscheinen. 

Anders ist die Erwartung, schwenkt man den Blick weg von politischen Amtsträgern hin zu jungen Aktivistinnen und Aktivisten auf der Straße. Greta Thunberg ist zumeist mit Mütze, in unauffälligen Pullovern und dicken Jacken zu sehen. Ihre Kleidung bietet wenig Anlass, darüber irgendwie weiter nachzudenken. Eben damit besteht sie eine erste optische Probe. Bilder von Thunberg in Skinny Jeans oder engen Kleidern würden irritieren, passen sie doch so wenig in das Bild der Umweltschützerin. Trotz steigender Bekanntheit bleibt Thunberg bei ihrem Look, der außer den geflochtenen Zöpfen nicht viel bietet, was zum Markenzeichen taugt.  

Auf dem deutschen Spielfeld der Umweltaktivistinnen ist vor allem Luisa Neubauer bekannt, die Galionsfigur der deutschen Fridays-For-Future-Bewegung. Ihr Gesicht ziert das Cover des Podcasts "1,5 Grad", sie ist regelmäßiger Talkshow-Gast und hat über 460.000 Follower auf Instagram. Klickt man sich durch ihre Fotos, dann sieht man Neubauer in grünen Jacken, weißen T-Shirts, ab und an in Blusen. Nichts daran ist besonders extravagant. Die meisten ihrer Outfits wirken, als könne sie darin problemlos aus ihrem Talkshow-Sessel aufstehen und sich mehr oder weniger unauffällig der nächsten Klima-Demo anschließen. Der Subtext: Ich bin so wie ihr. 

Zerreißprobe auf der Suche nach Integrität

Im April diesen Jahres tauchten dann aber Fotos von Luisa Neubauer auf, auf denen sie in Gucci, Hugo Boss und Jimmy Choo zu sehen ist. Darüber ihr Zitat: "Wir alle wissen, dass der Kapitalismus nicht funktioniert." Was nach purer Häme klingt und zu sofortigen Aufschreien in den sozialen Medien führte, war nicht mehr als eine Fälschung. Das Foto von Luisa Neubauer in den Luxusartikeln ist nur eine Fake-Collage.

Dennoch wurde Neubauer sofort Doppelmoral vorgeworfen. Scrollt man auf der Instagram-Landingpage weiter, dann tauchen viele Fotos von jungen Menschen in Luxus-Mode auf. In den meisten Fällen würde sich niemand darüber echauffieren. Aktivistinnen dagegen werden unweigerlich nach ihrer Standhaftigkeit beurteilt: Wer sich öffentlich für Klimaschutz einsetzt, soll es bitte auch auf ganzer Linie tun. Wer Videos von Umwelt-Demonstrationen postet, kann keine Luxuskonzerne unterstützen. Wer als Klimaaktivistin bekannt ist, muss auf jeder Ebene nachhaltig leben. Ohne Ausnahme, ohne Verzeihen. 

Die Kleiderwahl von Umweltaktivistinnen ist mehr als ein modisches Statement. Wir machen sie zur Zerreißprobe auf der Suche nach Integrität und Authentizität. 

Das letzte Hemd der "Letzten Generation"

Lea Bonasera, Mitglied der "Letzten Generation" erhielt zuletzt durch das Erscheinen ihres Buches "Die Zeit für Mut ist jetzt" mediale Aufmerksamkeit. Bekannt wurde sie durch ihren Hungerstreik 2020, auf Fotos aus dieser Zeit trägt sie große Vintage-Pullover hat sie einen roten Jumpsuit an, dazu einen schwarzen Rollkragenpullover und einen beigefarbenen Blazer. Ein beschwichtigender, ernsthafter Look, der bei einer Blockade der Gruppe auffiel. Ihre Kleiderwahl ruft danach, ernst genommen zu werden. 

Sehe ich Bilder von Aktivistinnen, frage ich mich sofort, woher ihre Kleidung kommt. Sie würden doch etwa kein Fast Fashion tragen? Keine Wegwerfartikel für ein Fotoshooting shoppen? Sieht die Kleidung alt und gebraucht aus, bin ich beruhigt. Auch Klamotten von Armed Angels würden mich schnell besänftigen, die produzieren schließlich nachhaltig. Ich stelle strengere Maßstäbe an sie, als an meine anderen Mitmenschen. 

Nicht ohne Grund schreibe ich in diesem Text ausschließlich von weiblichen Aktivistinnen. Denn diejenigen, deren Aussehen besonders betrachtet, kritisiert und beurteilt wird, sind Frauen. Im Patriarchat haben wir uns an das pretty privilege gewöhnt. Der männliche Blick dominiert, Aussehen ist Kapital. Nur geht das für Klimaschützerinnen so nicht ganz auf. Für stereotypisch "gutes" Aussehen werden sie nicht nur bewundert, sondern beäugt. Schönheit scheint ihre Ernsthaftigkeit infrage zu stellen. Ein bisschen hübsch darf eine Aktivistin zwar sein, aber auf keinen Fall darf es gewollt wirken. Die klare Priorität sollte schließlich beim Klima liegen, auf keinen Fall bei Gedanken um das eigene Aussehen. 

Öko-Business-Casual

Sowohl Lea Bonasera, als auch Luisa Neubauer müssen in diesem Spagat unterschiedliche Erwartungshaltungen bedienen. Bekannt wurden beide durch ihren Protest auf der Straße, in Hoodies und Sneakern. Dieses Bild soll weiterleben: Sie zeigen sich bodenständig, nah an den Interessen ihrer Mitstreiterinnen und Mitstreiter, weiterhin bei Protesten dabei. Längst sind sie aber nicht mehr nur auf der Straße unterwegs, sondern auch im politischen Berlin. Bei steigender Bekanntheit verändern sich die Anforderungen an die Aktivistinnen, ihre Aufgaben und damit auch ihr Aussehen. 

Anders als in den 1970er- und 1980er-Jahren grenzen sich Umweltschützerinnen durch ihre Kleidung immer weniger von der Mehrheitsgesellschaft ab. Die Öko-Outfits schwinden, zu sehen ist immer mehr business casual. Aktivistinnen nähern sich den Kleidercodes der Politikerinnen zumindest an, statt diese zu ignorieren oder das genaue Gegenteil dessen anzuziehen, wie noch in den 1980er-Jahren. Das mag nötig für sie sein, um ernst genommen zu werden.

Durch ihr öffentliches Einstehen für Umweltschutz werden die Klimaaktivistinnen zur willkommenen Projektionsfläche. Dabei ist es jeder selbst überlassen, wie viel Zeit, Geld und Gedanken sie in das eigene Aussehen stecken will und sollte nicht im Widerspruch zu Intelligenz und Ernsthaftigkeit stehen. Sowohl die Mode als auch der Klimaschutz und die Rollen, die prominente Figuren darin einnehmen, haben sich in den letzten 40 Jahren verändert. Heutige sind Aktivistinnen  in der Lage, ihr Bild durch soziale Medien selbst zu formen. Von der Hippie-Ästhetik ist nur noch wenig zu sehen, die Segregation von anderen Gruppen durch Kleidung schwindet.