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10 Kunst-Filme, die Sie im September nicht verpassen sollten

Ai Weiwei "Coronation", 2020 (Film Still)
Foto: Courtesy Ai Weiwei Studio

Ai Weiwei "Coronation", 2020 (Film Still)

Die Filme im September werden detektivisch: Sie wollen zum Ursprung der Corona-Pandemie, zur Wurzel des Denkmälerstreits und zu den künstlerischen Anfängen des Christoph Schlingensief   
 

Wohin führen die neuen Denkmalstürze?

Dass Straßen und Plätze umbenannt und Herrscherdenkmäler gestürzt werden, gehört historisch zu jedem Regime-Wechsel. Was die derzeitige Bewegung zur Revision von Gedenkorten besonders macht, ist, dass die Forderungen aus der Bevölkerung kommen. Durch die "Black Lives Matter"-Bewegung ist wieder einmal ins öffentliche Bewusstsein gesickert, dass in vielen Städten der sogenannten westlichen Welt Sklavenhalter und Kolonialherrscher mit Statuen und Straßennamen geehrt werden, aber so gut wie keine Würdigung der Opfer des rassistischen Kolonialregimes im öffentlichen Raum stattfindet. Die Dokumentation "Der große Denkmalsturz" zeigt Beispiele von Aktivisten, die den Abbau kolonialer Denkmäler selbst in die Hand genommen haben und spricht mit denen, die ihre Geschichte eben nicht von der derzeitigen Erinnerungskultur repräsentiert sehen. Der Film will der Frage auf den Grund gehen, ob der derzeitige Ikonoklasmus Geschichte auslöscht, oder gerade erst die Möglichkeit eröffnet, die Historie differenzierter und klarer zu betrachten.

"Der große Denkmalsturz", 3-Sat-Mediathek, bis August 2021

"Decolonize Berlin" ist auf das mit Farbe beschmierte Bismarck-Nationaldenkmal in Berlin gesprüht
Foto: dpa

"Decolonize Berlin" ist auf das mit Farbe beworfene Bismarck-Nationaldenkmal in Berlin gesprüht


Keith Haring und der politische Pop

Viele Jahre lang hat der internationale Museumsbetrieb den New Yorker Künstler Keith Haring nur mit sehr spitzen Fingern angefasst. Zu kommerziell fand die Szene seine Strichmännchen, -babys und -hunde. Mit einer großen Retrospektive ehrt nun das Folkwang Museum in Essen den Pop-Maler, der 1990 an den Folgen von Aids starb. Zunehmend wird nun auch nicht mehr nur die dekorative, sondern auch die politische Dimension seiner Arbeit gewürdigt. Keith Haring, der seine grafischen Motive zuerst auf leere U-Bahn-Werbetafeln in New York zeichnete, wollte, dass seine Kunst zu den Menschen kommt. Er engagierte sich für Schwulenrechte, gegen Polizeigewalt und die Gleichgültigkeit der Regierung gegenüber der Aids-Epidemie. Der Film "Street Art Boy" erzählt vom kometenhaften Aufstieg des jungen Künstlers im New York der 1980er, aber auch von seiner zunehmenden Politisierung. Dazu spricht Ben Anthony mit Zeitzeugen und Angehörigen und zeigt auch unveröffentlichte Bilder aus der Keith Haring Foundation.

Ein ausführliches Feature über die neue Rezeption von Keith Haring lesen Sie in der Juni-Ausgabe von Monopol.

"Keith Haring: Street Art Boy", Arte-Mediathek, bis 25. November


Der Herr der Brücken

Seinen Namen kennen heute nur noch wenige, seine Bauwerke haben aber bereits unzählige Menschen bestaunt, und die Sehnsuchtsmetropole New York wäre in ihrer heutigen Form ohne seine Arbeit nicht möglich. Der Schweizer Ingenieur Othmar H. Ammann (1879 - 1965) ist für mehrere spektakuläre Hängebrücken in der Bucht um New York verantwortlich, die die Verkehrsanbindung einer modernen Metropole erst ermögicht haben - darunter die George Washington Bridge, die Bayonne Bridge und die Verrazzano Narrows Bridge, die damals (1964) längste Hängebrücke der Welt. Auch an der Planung und dem Bau der Golden Gate Bridge in San Francisco war er beteiligt.

Ammanns Karriere steht auch für den Höhepunkt des Fortschrittsglaubens zu Beginn des 20. Jahrhunderts und der rasanten Urbanisierung in den USA. Gleichzeitig lässt sich am gigantomanen Brückenbau die Ausbeutung der Ureinwohner ablesen, die die Errungenschaften der Ingnieurskunst unter gefährlichsten und teils tödlichen Bedingungen umsetzen mussten. Der Film über Othmar H. Ammann erzählt die Biografie eines Visionärs, ist aber auch ein Stück Architektur- und Zeitgeschichte.

"Gateways To New York - Othmar H. Ammann und seine Brücken", 3-Sat-Mediathek, bis 24. September


Die Jahrhundertkünstlerin Käthe Kollwitz

"Schon in meiner Kindheit war klar, dass ich zeichnerisch veranlagt war", schrieb die Künstlerin Käthe Kollwitz einmal in ihr Tagebuch. "Leider war ich ein Mädchen." Wie Kollwitz es trotzdem schaffte, gegen alle Widerstände eine der bedeutendsten deutschen Künstlerinnen zu werden, zeigt (nicht ganz ohne Pathos, aber mit vielen biografischen Details) die Dokumentation "Ein Leben in Leidenschaft". Käthe Kollwitz, 1867 geboren, 1945 gestorben, erlebte in ihrem Leben die Kaiserzeit, die Weimarer Republik, das NS-Regime und zwei Weltkriege. Diese Dichte an Erfahrung schlägt sich auch in ihrem Werk aus Zeichnungen, Gemälden und Skulpturen nieder, das politisches Bewusstsein mit persönlicher Empfindung verknüpft.

"Kollwitz - Ein Leben in Leidenschaft", ARD-Mediathek, bis 2. September, 23:59

Die Büste der Künstlerin Käthe Kollwitz in der Walhalla
Foto: dpa

Die Büste der Künstlerin Käthe Kollwitz in der Walhalla


Ai Weiwei auf den Spuren des Coronavirus

"Sieg für Wuhan, Sieg für Hubei, Sieg für China", skandieren die Jungkommunisten unter ihren Mund-Nasen-Masken. Man könnte es auch so formulieren: Noch mal gutgegangen – für die Stadt, die Provinz und die Volksrepublik. Aber stimmt das? Anfang April 2020 wurde der Lockdown für Wuhan, wo die globale Covid-19-Epidemie ihren Anfang nahm, aufgehoben. Neben der verordneten Begeisterung gab und gibt es viel Trauer, Wut, Verzweiflung in der Hauptstadt der Provinz Hubei. Der Künstler Ai Weiwei hat nun einen Dokumentarfilm über Wuhan produziert. Das Videomaterial stammt von Menschen, die in der Millionenstadt eingeschlossen waren und ihren alltäglichen Corona-Wahnsinn (zum großen Teil) mit Mobiltelefonen gefilmt haben.

Hin und wieder muss man sich beim Zuschauen kneifen: Das ist nicht "Outbreak" oder ein anderer Seuchenhorrorthriller, der Stoff ist ja die Wirklichkeit. "Coronation" – wörtlich übersetzt Krönung, hier eher eine Wortverfilzung aus "Corona" und "Nation" – ist ein bitterer, mitunter dystopisch anmutender Film geworden.

Seine Intensität verdankt sich der Innenperspektive der Betroffenen: Ein coronasicher vermummter Arzt läuft minutenlang durch endlose Flure der in Rekordzeit erbauten Riesenklinik von Wuhan. Unerträglich öde eigentlich – unerträglich spannend im Zusammenhang des dramaturgisch klug aufgebauten Films.

Eine ausführliche Review über "Coronation" lesen Sie hier.

Ai Weiwei "Coronation", zum Ausleihen oder Kaufen bei Vimeo on Demand


Die frühen Filme des Christoph Schlingensief

Vor zehn Jahren starb der Filmemacher und Konzeptkünstler Christoph Schlingensief. Dass er fehlt, zeigen die vielen Würdigungen zum Todestag. Gerade sind ein Buch mit Gesprächen und eine Filmbiografie erschienen (Reviews dazu hier und hier). Nur wenige dürften jedoch seine frühen Kurzfilme kennen, die schon Schlingensiefs Begeisterung für die Wunder des Kinos, die Lust am Klamauk und seine Doppelbödigkeit offenbaren. Arte zeigt nun die beiden Filme "What happened to Magdalena Jung?" (1983) und "My wife in 5" (1985). In ersterem Werk beginnt eine junge Frau plötzlich entgegen aller Vernunft zu fliegen, im zweiten benutzt der Regisseur bereits alle Mittel der musikalischen Inszenierung und Verfremdung, die später seine Opern kennzeichnen sollten.

Christoph Schlingensief: "What hapened to Magdalena Jung?" und "My wife in 5", Arte Mediathek, bis 20. September


Sally Rooneys Bestseller "Normal People" als BBC-Serie

Die uralte Erzählung von den zwei Königskindern, die nicht zueinander finden, funktioniert immer wieder, aber in jüngster Zeit wurde sie von niemanden so schön melancholisch erzählt wie von der jungen irischen Schriftstellerin Sally Rooney in ihrem Roman "Normal People" (2018). Inzwischen hat die BBC aus der Geschichte von Connell und Marianne eine Serie gemacht, die jetzt auch in Deutschland beim Streamingdienst Starzplay zu sehen ist. Connells Mutter arbeitet in ihrer Heimatstadt in West-Irland als Putzkraft im Haus von Mariannes Mutter. Die beiden Teenager kommen zusammen, halten ihre Liebe aber geheim, da Marianne unbeliebt in der Schule ist. An diesem Versteckspiel zerbricht die Liebe, doch die beiden finden auf dem College in Dublin wieder zusammen. Hier kommt Connell wiederum nicht gut zurecht, und erneut trennen die Connell und Marianne sich. Was zunächst trivial klingt, wird einfühlsam erzählt, es schwingt immer die Klassenfrage mit und das Bewusstsein von verschenkten Chancen mit. Schön ist die Jugend? Von wegen! Es ist ein einziger Kampf um Anerkennung und um ein Zuhause.

"Normal People" läuft auf Starzplay

Connell (Paul Mescal) und Marianne (Daisy Edgar-Jones) in einer Szene der Serie "Normal People"
Foto: Element Pictures/Enda Bowe

Connell (Paul Mescal) und Marianne (Daisy Edgar-Jones) in einer Szene der Serie "Normal People"


Wie Theaster Gates Chicago rettet

Theaster Gates ist ein Retter und Wiederbeleber. Im Süden Chicagos, wo fast nur Schwarze leben und verlassene Immobilien eher verrammelt statt verkauft werden, begann er vor einem Jahrzehnt, ein Holzhaus aus dem 18. Jahrhundert zu renovieren. Mittlerweile ist rund um das Haus auf der Dorchester Avenue ein ganzes Kulturzentrum entstanden, mit Bücherei, Kino und einer großartigen Vinylplattensammlung, mit Restaurant, Raum für Konzerte und Nachbarschaftstreffen.

Mehr als zwei Dutzend Menschen arbeiten in seiner Rebuild Foundation mittlerweile an seinen Projekten – darunter die Revitalisierung eines alten Bankgebäudes in unmittelbarer Nachbarschaft, das die umfangreichen Archive zur Kultur des schwarzen Amerikas aufnehmen soll, die Gates gesammelt hat. Der gelernte Urbanist und Bildhauer verschränkt dieses Engagement untrennbar mit seiner Kunstproduktion. Seine Bilder und Installationen entstehen häufig aus Material, das er in den alten Häusern aufspürt, sie beziehen ihre Aura aus der Patina und der gelebten Geschichte dieser Orte – oder auch aus der Geschichte seiner Familie: Die "Tar Paintings" zum Beispiel transformieren den schweren Teer, wie ihn sein Vater vor Jahrzehnten auf die Dächer seiner Stadt aufbrachte, in abstrakte Gemälde. In der zweiten Folge der Doku-Serie "Home", die in Deutschland den irreführenden Untertitel "Faszinierende Traumhäuser" trägt, wird das Wirken des 47-Jährigen vorgestellt. Theaster Gates wird hier fast wie ein Superheld inszeniert. Aber ein bisschen ist er das ja auch.

"Home - Faszinierende Traumhäuser" läuft auf Apple TV +

 

Purer Camp mit Sasha Velour

Die Drag-Künstlerin Sasha Velour gewann 2017 die neunte Staffel von "RuPauls Drag Race", der Emmy-gekrönten Reality-Show, die Drag mit Wucht in die Mainstream-Popkultur katapultierte (2019 erschien zum ersten Mal auch das deutsche Pendant "Queen of Drags"). 

Live auf Youtube feiert Sasha Velour nun das fünfjährige Jubiläum ihrer eigenen Drag-Variety-Show "Night Gowns". Per Video-Chat mit verschiedenen Cast-Mitgliedern werden die besten Lipsync-Performances - eine der Königsdisziplinen für Drag Queens - aus dem Archiv gekramt. Drei Stunden purer Camp und LGBTQ-Pride.

"Night Gowns Forever", verfügbar auf Youtube

Die Eröffnungs-Performance von "Night Gowns Forever"
Screenshot: Youtube/House of Velour

Die Eröffnungs-Performance von "Night Gowns Forever"

 

Jonas Mekas bei den Kennedys

Nach der Ermordung John F. Kennedys wollte seine Witwe Jackie eine Filmkamera kaufen, um sich und die Kinder abzulenken. Der Fotograf Peter Beard schlug daraufhin vor, einen Profi mit ins Boot zu holen und lud den legendären Filmacher Jonas Mekas (1922 - 2019) als Unterstützung ein. Mekas verbrachte daraufhin mehrere Sommer mit den Kennedys. Sein Film "This Side of Paradise" (1999) entwickelt den typisch rhythmischen Mekas'schen Bildersog, der intime Einblicke ins Leben der Jackie Kennedy, später Onassis, gewährt. Auch prominente Gäste kommen vor, unter anderem hat Andy Warhol einen Auftritt.

"Jonas Mekas: This Side of Paradise", verfügbar auf Mubi