Biennale-Flops

9 Dinge, die man in Venedig verpassen sollte

Auf der Venedig-Biennale kann man Kunst bis zur absoluten Überforderung anschauen. Also heißt es selektieren. Ein paar Orte und Phänomene, die man sich sparen sollte


Brasilianischer Pavillon

Jonathas de Andrade hat schon viele großartige Arbeiten gemacht, er beobachtet genau und verbindet den anthropologischen Blick oft mit einem tiefen Humanismus. Umso enttäuschender ist allerdings sein Projekt für den brasilianischen Pavillon. Es beginnt damit, dass man durch ein riesiges Ohr in den Pavillon hineingehen muss – hallo, begehbare Metapher! Drinnen sieht alles aus wie auf einer etwas angejahrten Expo, mit noch mehr  schrecklich aussehenden Körpermodellen, für die "Skulptur" nicht das richtige Wort ist, und einem Film, der Redewendungen ins Bild übersetzt.

Sein Thema sind Sprachbilder im Brasilianischen, die Wandtexte übersetzen die Idiome brav. Jetzt weiß man beispielsweise, was für einen Schatz an Ausdrücken es in dieser Sprache rund um den menschlichen Anus gibt – was ja keine schlechte Sache ist. Aber kombiniert mit Riesenohr und Co wird das Ganze leider zum Kalauer.

Jonathas de Andrade "With the heart coming out of the mouth", brasilianischer Pavillon, Giardini


Die Omnipräsenz von Aperol Spritz

Die letzten guten Tage von Aperol Spritz waren vor ziemlich genau zehn Jahren, im Juni 2012. Bis dahin hatte es Spaß gemacht, ein bauchiges Glas in der Hand zu halten, in dem die Eiswürfel "klonk" machen und in das die Sonne so hineinscheint, dass die tieforangefarbene Flüssigkeit von selbst zu leuchten scheint. Was ist eine bessere Entschuldigung für daydrinking als dieser optische Reiz.

Dann, am 29. Juni 2012, versammelten sich mehr als 2000 Aperol-Fans auf dem Markusplatz in Venedig, um den Weltrekord für den "Größten Aperol-Spritz-Toast" aller Zeiten aufzustellen und ins Guiness-Buch der Rekorde zu kommen. Seither wird in Venedig offenbar versucht, diesen Rekord Tag für Tag aufs Neue zu brechen. Vielleicht hat der wachsende Eifer, mit dem der Aperpol Spritz getrunken wird, mit Instagram zu tun. Denn am Geschmack kann es nicht liegen. Fühlt man sich doch je nach Mischung gelegentlich, als stürze man nach einem erschöpfenden Biennale-Marathon eine heiße Bluna hinunter. Zu süß, zu ölig, und ja, auch zu orange, scusi. Eleganter: das tiefe Rubinrot und die Bitternoten eines Campari Soda.

Die guten Tage von Aperol Spritz in Venedig sind vorbei - Campari Soda, übernehmen Sie!
Foto: Silke Hohmann

Die guten Tage von Aperol Spritz in Venedig sind vorbei - Campari Soda, übernehmen Sie!

 

Dänischer Pavillon

Wenn Ihnen schlecht werden soll auf dieser Biennale, besuchen Sie den dänischen Pavillon. Er ist in eine dunkel-düstere Scheune verwandelt, mit schmutziger Erde und Pferdemist gefüllt. Drei hyperrealistische, tote Mischwesen aus Mensch und Pferd liegen darin, der eine Kentaur baumelt mit einem Strick um den Hals von der Decke.

Der Pressetext beschreibt das Ganze ungefähr so: Die Zentauren haben mit den Herausforderungen unserer sich ständig verändernden Realität zu kämpfen, sie verkörpern einen Zustand des Aufruhrs zwischen Verzweiflung und Hoffnung und spiegeln die tiefgreifende Ambiguität der heutigen Welt wider. Wir hoffen hingegen, dass sich hinter dem Künstlernamen Uffe Isolotto in Wahrheit der Regisseur Lars von Trier befindet, der hier das Set für seinen nächsten ultrabrutalen Film eingerichtet hat. Arbeitstitel: Tod in Venedig, Dogma-Style. Mit einem Setdesign von Gunther von Hagens.

Uffe Isolotto "We Walked The Earth", dänischer Pavillon, Venedig-Biennale, Giardini

Uffe Isolotto "We Walked The Earth", dänischer Pavillon, Venedig-Biennale, 2022
Foto: Saskia Trebing

Uffe Isolotto "We Walked The Earth", dänischer Pavillon, Venedig-Biennale, 2022


Venedig-Wetter im April

Wir verstehen es ja. Die Biennale hat durch die Verschiebungen während der Pandemie viel Geld verloren und muss die Kassen auffüllen, dafür braucht sie Eintrittsgelder. Und nach hinten kann die Ausstellung nicht mehr verlängert werden, sie geht schon bis November, und danach ist bei einer Location ohne Heizung wirklich Schluss. Aber trotzdem ist es nicht besonders erhebend, im April bei 13 Grad durch den Regen zu stapfen. Wenn schon venezianische Pfützen, dann doch warme. Kann die Biennale bitte beim nächsten Mal wieder im Mai eröffnen? Danke.

Venezianischer Frühling 2022
Foto: Elke Buhr

Venezianischer Frühling 2022


Mal-Roboter AI-Da vor den Giardini

Dass die Venedig-Biennale zuverlässig krudes Nebenprogramm anzieht, ist bekannt - in diesem Jahr geht man auf dem Weg zu den Pavillons in den Giardini beispielsweise an bunt lackierten Gorilla-Skulpturen vorbei, die mit Ölfässern werfen. Besonders ärgerlich ist jedoch die Ausstellung des Mal-Roboters AI-Da direkt vor dem Biennale-Eingang.

Nicht nur, dass die Kunstmaschine, die vor Publikum mit ihrem Roboterarm Farbe auf Papier aufträgt, wie eine Sexpuppe aussieht. Ein starr vor sich hin stierender Android, der von geschäftstüchtigen Menschen durch die Kunstmanege getrieben wird, ist außerdem das Gegenteil einer Malerin und höchstens ein besseres Grafikprogramm. In ihrer Ausstellung erforscht AI-Da nun - natürlich - das Metaverse. Wenn so die Zukunft aussieht, dann bitte ohne uns.

“Ai-Da Robot: Leaping into the Metaverse”, Concilio Europeo Dell’Arte, InParadiso Gallery, Giardini

Mal-Roboterin AI-Da in Venedig
Foto: Saskia Trebing

Mal-Roboterin AI-Da in Venedig


Isländischer Pavillon

Der kleine Inselstaat war eigentlich immer dafür bekannt, dass seine Venedig-Pavillons bunt ausstaffierten, fluffigen Höhlen gleichen, in denen Fabelwesen aus der nordischen Folklore ihr Unwesen treiben. In diesem Jahr herrscht technoide Sachlichkeit. Sigurður Guðjónssons Installation besteht aus einem sechs Meter langen, vertikalen Bildschirm, über den extrem vergrößerte Aufnahmen von Metallstaub laufen. Der Staub verändert seine Form, glitzert in dem abgedunkelten Raum wie ein kleines Planetensystem, aber viel mehr als eine gelungene Knoff-Hoff-Show ist das Ganze nicht.

Sigurður Guðjónsson "Perpetual Motion'', isländischer Pavillon, Arsenale


Toiletten-Situation

Männer- und Frauenklos werden so geplant, das beide Geschlechtern die gleiche Fläche zugeteilt ist. Das ist gerecht, wenn man nicht auf die Toilette muss. Dann aber sieht es in der Praxis so aus, dass es vor Frauentoiletten unfassbar lange Schlangen gibt (zu beobachten in den Giardini zwischen dem belgischen und dem niederländischen Pavillon). Diese schauen zerknirscht zu Boden oder nervös nach vorn in die Schlange oder woanders hin, immer in dieser demütigen "Wir wissen ja, wir brauchen halt länger, weil wir uns lieber hinsetzen, darum haben wir es nicht anders verdient, hmf"-Haltung.

Währenddessen an der Pforte der Herrentoilette: In lockerer Abfolge spaziert ein Uomo nach dem anderen bester Laune herein und heraus. Liebe Damen, die einem böse hinterherrufen, wenn man aus der Schlange ausschert und zum herrlich leeren, aber ganz gerecht gleich großen Herren-WC geht: Gott vergelt’s, ihr dürft es auch benutzen. Und an alle Architektinnen in der Schlange: Macht halt mal was.

Länger als vor den Pavillons sind die Schlangen in Venedig nur noch vor den Damen-Toiletten
Foto: dpa

Länger als vor den Pavillons sind die Schlangen in Venedig nur noch vor den Damen-Toiletten


Die üblichen Verdächtigen im Rahmenprogramm

Anselm Kiefer im Palazzo Ducale, Heinz Mack in der Biblioteca Nazionale Marciana, Georg Baselitz im Palazzo Grimani: Bei manchen Ausstellungen im Rahmenprogramm der Biennale könnte es auch 1970 sein. Nichts gegen deutsche Klassiker, aber bei einem Venedig-Ausflug will man doch Neues entdecken, anstatt die üblichen Verdächtigen zu treffen. Also: lieber verpassen und Zeit für Geheimtipps und neue Lieblingskünstler gewinnen.

Heinz Mack im Dezember 2021 vor einer im gleichen Jahr entstandenen "Chromatischen Konstellation"
Courtesy Archiv Atelier Mack

Heinz Mack im Dezember 2021 vor einer im gleichen Jahr entstandenen "Chromatischen Konstellation"

 


Australischer Pavillon

Marco Fusinato ist in puncto Ausdauer die Marina Abramovic der diesjährigen Venedig-Biennale. 200 Tage lang will der selbsternannte "Noise Artist" im australischen Pavillon sitzen und mit seiner Gitarre - nun ja - Krach erzeugen. Der Soundtrack des Kunstwerks "Desastres" ist so ohrenbetäubend, dass die Aufsichten alle Kopfhörer tragen. Zu Fusinatos Improvisationen laufen auf einer Leinwand von einem Algorithmus ausgewählte Schwarz-Weiß-Bilder, die sich grob um Krieg, Kunst und Mythologien drehen und die das Publikum laut Ausstellungs-Statement am besten selbst interpretieren soll. Bei allem Repsekt vor Fusinatos Durchhaltevermögen: Eine solch brutale Attacke auf alle Sinne kann man auf der ohnehin überfordernden Biennale nun wirklich nicht gebrauchen.

Marco Fusinato "Desastres", australischer Pavillon, Giardini