Monopol-Sommer-Tipps

Was wir im Urlaub hören, lesen und schauen

The Legend of Zelda: Tears of the Kingdom
Still: Nintendo

Es ist vermessen zu denken, dass ein Sommerurlaub reichen würde, um dieses Meisterwerk in seiner Vielfalt und Komplexität durchzuspielen: "The Legend of Zelda: Tears of the Kingdom" ist ein neues Open-World-Abenteuer für die Nintendo Switch

Wenn die Ruinen erwandert und die Museen besichtigt sind: Die Monopol-Redaktion und ihre Kolumnistinnen und Kolumnisten verraten ihre Lieblings-Ferienbegleiter in diesem Sommer

Elke Buhr, Chefredakteurin

Hören: Anohni and the Johsons "My Back Was A Bridge For You To Cross"

Anohni besitzt eine der berückendsten Pop-Stimmen der Gegenwart, gleichzeitig zerbrechlich und stark, komplex genug für die Abgründe der Gegenwart und schön genug, um uns darüber hinweg zu trösten. Wenn sie ein neues Album ankündigt, ist das immer ein Grund für Entzücken. Für "My Back Was A Bridge For You To Cross" zeichnet Anohni and the Johnsons verantwortlich – früher waren es Anthony and the Johnsons – doch der Vibe geht deutlich mehr in Richtung Soul als in Richtung elektronische Clubmusik: Marvin Gayes Song "What’s going on" sei ihr Ausgangspunkt gewesen, ließ die Sängerin verlauten. Dazu passt, dass sie den Soul-Produzent Jimmy Hogarth mit dazu holte, der unter anderem mit Amy Winehouse, Duffy und Tina Turner gearbeitet hat. Und wie bei Marvin Gaye, findet sich unter den warmen Soul-Klängen der Songs ein brennendes Engagement gegen Umweltzerstörung, Rassismus, Diskriminierung. Mit dem Album will sie denjenigen Mut geben, die kämpfen, sagt die Künstlerin. "It must Change" heißt die erste Single – wer würde ihr widersprechen. (erscheint am 7. Juli bei Rough Trade Records)

Lesen: Gabriele Tergit "Der erste Zug nach Berlin"

Seitdem Gabriele Tergits großer Gesellschaftsroman "Die Effingers", erstmals 1951 erschienen, vor ein paar Jahren neu herausgegeben wurde, erobert die 1894 in Berlin geborene jüdische Schriftstellerin endlich den Platz in der Geschichte der deutschsprachigen Literatur, der ihr gebührt. "Die Effingers" begleitet eine jüdische Familie über Generationen, durch Assimilation und Aufstieg bis in die Katastrophe des Holocaust. Wer das gelesen hat, will mehr. In diesem Jahr ist nun ein Roman aus dem Nachlass der 1982 in London verstorbenen Schriftstellerin herausgekommen. "Der erste Zug nach Berlin", geschrieben nach der bitteren Erfahrung von zwei Reisen ins Berlin der Nachkriegszeit, ist kurz, satirisch, scharf. Eine junge, naive US-Amerikanerin reist in die Hauptstadt des gerade besiegten Nazireiches, trifft dort auf viele sehr lebendige Nazis und stellt fest, dass selbst die Zimmermädchen immer noch judenfeindlich eingestellt sind. Geschrieben ist der temporeiche Roman in Deutsch und Englisch, und gegen den Horror wappnet er sich mit viel Ironie. (22 Euro, bei Schöffling & Co. erschienen)

Hören: Podcast "Billion Dollar Apes – Kunst, Gier, NFTs"

Podcast ist, wenn zwei Leute labern und irgendwann einer mal einen Jingle abspielt? Kann sein, muss aber nicht. Der  Podcast "Billion Dollar Apes – Kunst, Gier, NFTs", den Deutschlandfunk Kultur und ZDF Kultur gerade herausgebracht haben, hat mit Jasna Fritzi Bauer eine veritable Tatort-Kommissarin als Erzählerin und ist mit den aufwendigsten Sound-Effekten produziert, die ein Hörspielstudio heute so hergibt: Kopfhörer auf, Dolby Atmos einschalten und ins Kopfkino entgleiten. Die Story, recherchiert von Laura Helena Wurth, Jan Lindenau und Daniel Ziegener, ist im Übrigen auch gut. Es geht um den "Bored Ape Yacht Club" und alberne Affen, die plötzlich als NFTs bei Sotheby’s für Millionenbeträge versteigert wurden, um den Hype und den Absturz der Kryptokunst und um eine mögliche Zukunft der Affen im Metaverse. (unter anderem bei DLF Kultur)


Sebastian Frenzel, stellvertretender Chefredakteur

Hören: "TNT" von Tortoise

Irgendwann war der CD-Player kaputt, irgendwann hatte der Laptop kein CD-Laufwerk mehr, aber seit ich mir einen alten Volvo angeschafft habe, kann ich endlich wieder meine CDs von früher hören. Das meiste entpuppt sich rückblickend als ziemliche Enttäuschung, das Album TNT von der US-Band Tortoise hat mich neulich aber so geflasht wie vor 20 Jahren: eine Stunde elektronisch-jazzige Improvisation, cool, schwelgerisch, nie stressig. Sonnenuntergangs-, Sonnenaufgangsmusik.

Schauen: "Arbeit: Was wir den ganzen Tag machen"

Barack Obama begleitet in den vier Folgen dieser Doku verschiedene Menschen in ihrem Arbeitsleben. Wenn der Ex-Präsident und seine Frau Michelle Obama eine Serie für Netflix produzieren, sitzt natürlich alles etwas zu gut: das Script, die Mischung der Protagonisten (schwarz, weiß, reich, arm, urban, ländlich, Service Jobs, Start-ups), die wohldosierten historischen Einspieler, wirtschaftswissenschaftlichen und soziologischen Exkurse. Diese leicht nervige Überproduktion abgerechnet, bleibt dann aber doch: ein ziemlich interessanter Einblick in die Lebensentwürfe echter Menschen.  (Im Stream auf Netflix)

Lesen: Rainald Goetz "Johann Holtrop"

Mit der toxischen Männerriege des Springer-Konzerns kann man natürlich gar nicht oft genug abrechnen, schon daher: Nichts gegen Benjamin von Stuckrad-Barres jüngst erschienenes, viel gelobtes Buch "Noch wach?". Gnadenloser und lustiger zerlegte Rainald Goetz schon 2012 den völlig gestörten Mindset von (Medien-)Machtmenschen, die immer nur mehr wollen und am Ende nichts haben als ihre grenzenlose Paranoia, irgendetwas verlieren zu können. (10 Euro, erschienen bei Suhrkamp)

 

Jens Hinrichsen, Redakteur

Hören: Sinfonie Nr. 2 von Gustav Mahler

80 Minuten Ekstase. Vom grimmigen Trauermarsch bis zur Auferstehung mit Pauken, Trompeten und Chor. Zwischendrin ein ergreifendes Altsolo: "O Röschen rot, Der Mensch liegt in größter Not, Der Mensch liegt in größter Pein, Je lieber möcht' ich im Himmel sein". Mahlers Zweite ist wie eine Autowaschanlage für die Seele. Es gibt eine ganze Reihe toller Aufnahmen, die von Otto Klemperer von 1961/62 ist mir die liebste geblieben, weil der Dirigent Strenge mit Feinstofflichkeit verbindet. Und er hat mit Elisabeth Schwarzkopf und Hilde Rössl-Majdan die tollsten Solistinnen, was spätestens im Finale ohrenfällig wird, wenn Sopran und Alt im brachialen Orchester-Gegenwind stehen und – "Auferstehn, ja auferstehn wirst du" (nach Klopstock) – ihre Leuchtraketen zünden. Auferstehn? Ja, diesmal ist es wahr!

Lesen: Iwan Turgenew "Väter und Söhne"

Russland hatte gerade die Ukraine überfallen, als ich im Nordseeurlaub diesen Roman aus einer Grabbelkiste fischte. Warum nicht endlich mal den bekanntesten Roman von Iwan Turgenew lesen? Der Autor von "Väter und Söhne" (der Titel müsste eigentlich mit "Väter und Kinder" übersetzt werden) kann nullkommanichts für Putins Verbrechen. Erzählt wird von einem Generationenkonflikt, liberale Slawophile gegen junge, westlich orientierte Nihilisten. Turgenew schildert seine Figuren so farbig, dass sie wirklich lebendig werden. So fasst einen die Kälte des angehenden Mediziners Jewgeni an, der es nicht erträgt, dass seine Eltern ihn abgöttisch lieben; derselbe Jewgeni, der sich halsüberkopf in die junge Gutsbesitzerin Anna verliebt, was aufgrund seiner Rationalität eigentlich nicht sein kann und nicht sein darf. Dass Jewgeni an dieser Liebe – Anna lässt ihn abblitzen – kaputtgeht, berührt so stark, weil der Typ der Anti-Romantiker schlechthin ist. Ein umwerfendes Buch. (erhältlich u.a. als Insel-Taschenbuch für 10 Euro)

Sehen: "Bates Motel"

Anders als bei "Psycho" – eine Dusche, ein Fleischmesser, you know the drill – kann man nicht von einem Klassiker sprechen. In Deutschland zumindest kam die Serie nicht gut an, mangels Quote brach der Sender Vox 2015 mitten in der zweiten Staffel die Ausstrahlung ab. Voll fies. Die fünf Staffeln von "Bates Motel" erzählen aus der Jugendzeit von Norman Bates (begnadet befremdlich: Freddie Highmore), versetzen das Prequel zum Hitchcock-Schocker aber in die Jetztzeit und von Kalifornien nach Oregon. Das berüchtigte Set bleibt: ein länglicher Motelbau, hinter dem das von einem Edward-Hopper-Gemälde inspirierte Horrorhaus aufragt. Trotz einiger Hexenküchenpsychologie und gewissen Slasher-Routinemomenten ist "Bates Motel" viehisch unterhaltsam, nicht zuletzt, weil eine ganze Reihe interessanter bis finsterer Figuren dazuerfunden wurden. Und: Eine grandiose Vera Farmiga als Norma Bates holt unglaubliche Nuancen aus einer Rolle heraus, die in "Psycho" nicht wirklich vorkommt, denn Mutter (Achtung: Spoiler!) ist bei Hitchcock schon ausgestopft. Hitch und Alma hätten "Bates Motel" gemocht. (u.a. bei Magenta TV)


Ji-Hun Kim, Kolumnist 

Hören: Cloth "Secret Measure“

Wenn Zwillinge Musik machen, entstehen oft ganz besondere Energien. Aaron und Bryce Dessner von The National, Maurice und Robin Gibb von den Bee Gees, Kelley und Kim Deal von The Breeders, einige würden auch Bill und Tom Kaulitz oder Luke und Matt Goss von Bros nennen, aber belassen wir das dabei. Die Geschwister Paul und Rachael Swinton aus Glasgow sind Cloth und haben nach ihrem selbstbetitelten Debüt von 2019 dieses Jahr ihr zweites Album "Secret Measure" veröffentlicht: eine präsente und eindringliche Platte, die ihre Energie durch das Dezente entwickelt. Keine E-Gitarren, die ausbrechen. Drums, die gedämpft aufgenommen wurden und Arrangements, die durchweg minimalistisch sind, dafür in den richtigen Momenten aufmachen und strahlen dürfen. Es könnte Showgaze sein, ist dafür aber zu eindeutig und klar. Auch ist es nicht so verwässert wie Dream Pop und zu fein und poppig für Post-Rock. Es ist ein eigener Sound, der hier entwickelt wurde. Die Songs sind sanft, einfühlsam und liebenswert. Für mich eine der glücklichen Überraschungen und Highlights, die das Musikjahr 2023 bislang aufs Tapet gebracht hat und den Sommer perfekt begleiten wird.

Lesen: Mohamed Mbougar Sarr "Die geheimste Erinnerung der Menschen"

Im vergangenen Jahr erschien die Übersetzung von "Die geheimste Erinnerung der Menschen" des senegalesischen Autoren Mohamed Mbougar Sarr. Im Jahr zuvor erhielt er dafür den Prix Goncourt. Ein junger Schriftsteller entdeckt den verschollenen Autor T.C. Elimane, der in den 1930er-Jahren ein gefeiertes Buch schrieb und dann plötzlich von der Bildfläche verschwand. Der Protagonist begibt sich auf die Suche. Es geht um Postkolonialismus, Identitätspolitik, aber es ist auch eine Kriminalgeschichte, die für das Pageturnen im Urlaub bestens geeignet ist, so zumindest meine Hoffnung. Die Kritik liebt das Buch – und so oft liegt sie sie ja nicht daneben. Die Erwartungen liegen daher hoch und die Vorfreude ist groß, aber ich bin gewiss, dass sie nicht enttäuscht werden. (27 Euro, bei Hanser erschienen)

Sehen: "The Legend of Zelda – Tears of the Kingdom"

Filme und Serien sind ja ziemlich passive Medien, was man von Games nun wirklich nicht behaupten kann – was prima ist. "The Legend of Zelda – Tears of the Kingdom" ist der Nachfolger des unfassbar großen Spiels "Breath of the Wild" und es soll noch besser, weil offener und kreativer sein. Der Held Link kann nun in der Welt von Hyrule eigene Vehikel und Werkzeuge erfinden, der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt und es ist vermessen zu denken, dass ein Sommerurlaub reichen würde, um dieses Meisterwerk in seiner Vielfalt und Komplexität auch nur ansatzweise durchzuspielen. Die noch verschweißte Hülle des Switch-Games lächelt mich aber jeden Tag an und das gemeinsame Abenteuer mit klugen Rätseln in den Schreinen, fantastischen Grafiken und spannender Story wird bald beginnen. Denn ein Jahr mit Zelda kann gar kein schlechtes Jahr sein. (69,99 Euro, Nintendo Switch)


Oliver Koerner von Gustorf, Kolumnist

Hören: Fleetwood Mac, "Landslide"

Ich würde hier gerne was Schickeres hin schreiben, aber ich höre gerade ganz viel Soft-Rock und Rockballaden aus den 1970ern und frühen 1980ern, Air Supply, "All Out of Love" und solche Sachen und fühle mich dabei sommerlich wie ein Virgin Suicide. Mit Stevie Nicks und "Landslide" ist es aber noch etwas anderes. Dieser Song ist heilig für mich, Gottesdienst. Ich will eines Tages mal so etwas schreiben wie sie: "Oh, mirror in the sky/ What is love?" Das öffnet mit das Herz, lässt es richtig bluten, dieses Bild - und natürlich wie Stevie Nicks das singt, "Oh-oh, take my love, take it down", diesem Song, der entstand, als sie 1975 alleine in einem Blockhaus in Aspen saß und an ihren Gefühlen für Lindsey Buckingham verzweifelte.

Lesen: Thomas Brasch "Der schöne 27. September"

Nostalgie, Teil 2: 2023 war für mich das Jahr, in dem ich DDR-Literatur wiederentdeckte, vor allem Bücher von Frauen, wie Brigitte Reimann " Die Geschwister", "Franziska Linkerhand" oder Maxie Wanders "Guten Morgen, du Schöne" ,Tonbandprotokolle mit Frauen aus dem Osten, die über Liebe und Sexualität, Politik und Alltag sprechen. Ich hatte das Buch als feministischer Schüler in den späten 1970ern gelesen. Aber was für ein Schock, heute zu erkennen, wie progressiv diese Zeit im Hinblick auf Emanzipation und sexuelle Befreiung schon war, und gleichzeitig so repressiv, völlig gespalten. Und da fällt mir mein Teenie-Traum ein, der als Sexsymbol in meinem Olymp gleich neben Stevie Nicks sitzt: Thomas Brasch. Ein bleierner, paranoider Gott, dessen Gedichte, wie in dem Band "Der schöne 27. September" trocken, hart und sehnsüchtig sind, wie Berlin, die alte Frontstadt: "Die Wetter schlagen um: sie werden kälter. Wer vorgestern noch Aufstand rief, ist heute zwei Tage älter." (18 Euro, Suhrkamp)

Sehen: "Evil", Staffel 1-3 

Nostalgie, Teil 3: Wer "Rosemary's Baby" und "The Exorcist" mag, wird diese Serie von den "The Good Wife" und "The Good Fight"-Machern lieben. Gruselig, lustig und trashig befördert sie den Teufel ins 21. Jahrhundert. Ein High-Tech-Experte, eine Psychologin und ein Priester untersuchen für den Vatikan Fälle von Besessenheit. Satan arbeitet in einem Bitcoin-Unternehmen, das Böse ist ein Algorithmus oder sieht aus wie eine blonde Influencerin, die Schulkinder in den Suizid treibt. Natürlich sind da auch die klassischen dunklen Blau-und-Braun-Töne der Horrorfilmen des New Hollywood, die kaputten Familien, die Neurosen, jede Menge retro. Letztendlich ist "Evil" aber eine bitterböse Parodie über die westliche, liberale Gesellschaft, die buchstäblich zur Hölle fährt. (u.a. bei bei Paramount Plus)


Silke Hohmann, Redakteurin


Hören: Dead Bob "Life Like"

Hinter dieser Platte steckt John Wright, einer der beiden Brüder der legendären Punkband Nomeansno, die sich vor sieben Jahren aufgelöst hat. Es ist das erste Lebenszeichen seitdem, und es steckt Material von ungefähr drei Jahrzehnten darin. Punk wäre hier als Genre zu eng gefasst, es geht um mehr. Denn mit Einfachheit solche Intensität zu erzeugen, ist schwer und kunstvoll. Produziert und aufgenommen in den stillen Weiten von British Columbia, sollte "Life Like" dennoch laut gespielt werden.

Lesen: Nell Zink "Avalon"

 Es ist unglaublich, wie gut die US-amerikanische, in Brandenburg lebende Autorin Nell Zink die Geschichte des kalifornischen Teenagers Bran erzählt – ein Mädchen, das wie eine Leibeigene von seiner Stieffamilie ausgenutzt wird. Ihre Mutter, die sich erst in eine spiritistische Sekte flüchtete und dann starb, hinterließ ihr nichts als drei Fantasyromane, die Zauberinsel Avalon spielt darin eine Rolle. Bran klagt nie. Sie erzählt ihre eigene Geschichte mit Witz, Härte, Geschwindigkeit und Stoizismus. Ein bisschen wie Stewart O'Nans unvergessene "Speed Queen", aber diese fantastische Renegatin und ihre intelligenten, verschrobenen Außenseiterfreunde sind absolut auf der Höhe der Zeit.

Sehen: "Succession", letzte Staffel

 Viele hielten die Serie über eine Medien-Dynastie für eine verbrämte Murdoch-Story, aber dann wurde schnell klar, dass hier Shakespeares König Lear nach Manhattan in die Entscheideretagen der Medienwelt versetzt wurde. Man kann sich im Urlaub vielleicht nettere Gefährten vorstellen als die gierige, dreiste und moralisch verkommene Bande aus vier Geschwistern, die ihren Vater stürzen wollen. Aber weil sie so fantastisch ausgearbeitet sind, sie ihre Dialoge so brillant führen und in ihrer Persönlichkeit dann doch auch immer irgendwo eine gute Facette glänzt, gewöhnt man sich an ihre Gesellschaft und freut sich auf die nächsten Aufgaben dieser durchweg hervorragenden Schauspieler.

 

Daniel Völzke, Leitung Online

Hören: Zé Ibarra "Marquês, 256."

Es ist total heiß, man geht auf gar keinen Fall raus, sondern reißt die Fenster auf und lässt die weißen Vorhänge im Sommerwind flattern. Dazu läuft Zé Ibarra – der perfekte Hitzetag. Der brasilianische Sänger ist 25 Jahre alt, hat mit seiner Band Bala Desejo einen Latin Grammy gewonnen und klingt wie Caetano Veloso, den er auch gerne covert und mit dessen Sohn er abhängt. Jetzt hat Ibarra mit "Marquês, 256." sein erstes Soloalbum herausgebracht: Akkustikgitarre, Tremolo, viel Hall, weil es offenbar im Treppenflur aufgenommen wurde, wie ein Video zeigt. Melancholisch, sweet und lazy. 

Lesen: Frank Fischer "Der Louvre in 20 Minuten"

Kontemplation ist im Louvre nicht mehr zu finden, stehen doch in dem größten und meistbesuchten Kunstmuseum der Welt hektisch fotografierende Touristen vor den Bildern. Egal, der Louvre ist eh am besten zu durchrennen, wie der kürzlich verstorbene Regisseur Jean-Luc Godard in seinem Klassiker "Bande à part" gezeigt hat. Auch schön: wie Phoenix-Sänger Thomas Mars auf Rollschuhen durch die Säle gleiten. 2011 hat Frank Fischer, Herausgeber des exzellenten Avantgarde-Feuilletons "Der Umblätterer", heute Professor an der Freien Universität Berlin, das wirklich sehr schmale Bändchen "Der Louvre in 20 Minuten" veröffentlicht, das jetzt neu aufgelegt wurde. Darin wird gar nicht groß erklärt, warum man das Museum rennend erfahren muss, es leuchtet sofort ein: Was in Jahrhunderte langer Arbeit mühsam zusammengepinselt und -gesammelt wurde, rast hier vorbei wie ein Fiebertraum, das ist eine selbstermächtigende Rezeptionshaltung, und nach 19 Seiten ist das Buch schon vorbei. Das kriegt man im Urlaub garantiert durch. (für 3 Euro bei Sukultur erhältlich)

Sehen: Hannah Gadsby "Something Special"

Die Ausstellung "Pablo-matic" am Brooklyn Museum, die Hannah Gadsby mitkuratiert hat und die sich mit der Frauenfeindlichkeit Picassos auseinandersetzt, wird gerade von der Kritik zerrissen, aber als Komiker*in ist Gadsby weiter unschlagbar. Auf Netflix läuft jetzt Gadsbys dritter Stand-up: "Something Special" soll ein "Feel Good"-Programm sein, das "schulde ich euch", sagt Gadsby dem Publikum. Denn in der fulminanten Show "Nanette", mit dem Hannah Gadsby 2018 weltweit berühmt wurde, und auch im Nachfolger "Douglas" geht es um Traumata, homophobe Gewalt, Picasso, Autismus. "Something Special" aber dreht sich um Gadsbys Heirat: um das Kennenlernen, den Antrag, die Torte, die Schwiegereltern, Exfreundinnen - und um das Glück. Schon fast ein bisschen zu hollywoodmäßig, zu heteronormativ, dass sich in der Ehe alle Konflikte auflösen sollen, aber Hannah Gadsby waren ideologische Stellungskriege schon immer egal. Heiraten kann offenbar sehr befreiend sein. (auf Netflix)

 

 

Anne Waak, Kolumnistin

Hören: "Smithereens" von Joji

Das Album "Smithereens" des Musikers Joji habe ich in meinem letzten Winterurlaub entdeckt und ein halbes Jahr später will ich die ultraschönen, soften, endlos melancholischen Lovesongs immer noch zu jeder Tag- und Nachtzeit hören. Ansonsten beeindruckt es mich jedes Mal wieder, wie Sam Fragoso es in seinem Podcasts "Talk Easy" schafft, wirklich intime, berührende Gespräche mit Menschen wie Margaret Atwood, David Byrne oder Oscar Isaac zu führen. Und weil ich nach dem Ende der besten Serie der Welt immer noch unter Entzugserscheinungen leide, habe ich mir als Methadon-Programm den offiziellen "Succession Podcast" verschrieben, in dem die Schauspielerinnen und Showrunner jede einzelne Folge sezieren und durchanalysieren.

Lesen: Johanne Lykke Holms "Strega"

Die Bücher des AKI-Verlages sind jedes für sich besonders, zuletzt habe ich Johanne Lykke Holms weirden, dunkel funkelnden Roman "Strega" gelesen und geliebt. Die Handlung des schon im Titel verheißungsvoll sommerlichen "Augustblau" von Deborah Levy um eine Konzertpianistin und ihre vermeintliche Doppelgängnerin setzt in Athen ein und hat mich schon nach 20 Seiten hypnotisiert. (erschienen bei AKI Verlag / Kampa Verlag)

Sehen: "The Bear: King of the Kitchen"

Im Urlaub anderen dabei zuschauen, wie sich sich in ihren Jobs abrackern – das klingt nur fies, solange es sich nicht um Film und Fernsehen handelt. Letzten Sommer habe ich "The Bear“ geschaut, jetzt kommt pünktlich zu den großen Ferien die zweite Staffel der kammerspielhaften Serie um eine Küchencrew in einem runtergewirtschafteten Chicagoer Familienrestaurant heraus – mit dem tollen Jeremy Allen White, der in seiner Rolle als heimgekehrter Chef Carmy im Alleingang dem weißen T-Shirt neuen Sexappeal verliehen hat. Danach schaue ich mir an, was passiert, wenn andere Urlaub machen: Charlotte Wells’ Debütfilm "Aftersun" über einen jungen Vater, dessen elfjährige Tochter und ihre gemeinsamen endlosen Tage an einem türkischen Hotelpool steht schon viel zu lange auf meiner Watchlist. (im Stream auf Disney Plus)